Der Versuch eines Kommentares zu den Häuser-Räumungen in Berlin

von Willfried B. aus B.
aus telegraph 4/1996

Vorbei die Zeiten, in denen man noch eine vernünftige Begründung oder auch nur eine Rechtfertigung für die Räumung eines besetzten Hauses brauchte. Hausbesetzungen sind illegal, und als solche werden sie auch behandelt, O-Ton des neuen Innensenators und ehemaligen Generals der Bundeswehr, Schönbohm. Vorbei auch die Zeiten, als Gesetze und geltendes Mietrecht auch solchen `illegalen Elemente‘ Schutz gaben. So wurde in einem bemerkenswerten Schulterschluß zwischen Politik, Justiz, Polizei und der Presse kurzerhand das BGB außer Kraft gesetzt. Billigt jenes doch Mensch Meier ein Gebrauchsrecht eines Objektes zu, kann er nachweisen länger als ein Jahr ‚gewohnheitsmäßig‘ dort zu wohnen. Was für Otto Normal auf dem Dorfe gilt, ist noch lange nicht für den Berliner Senat bindend, hat er doch die geballte Kraft des Staates hinter sich. Und Ambitionen. Solcherlei Subkultur und ‚rechtsfreier‘ (=nicht durch Mietknebel reglementierter) Raum paßt einfach nicht in das neue Image der Reichhauptstadt.

Daß eben jener Senat nicht in der Lage ist, Miet-Spekulationen und Verfall ganzer Häuser Einhalt zu gebieten (ob das überhaupt in seinem Interesse liegt, kann bezweifelt werden), ist ein Schönheitsfehler, der mit ein wenig Promotion und einigen neuen Werbefeldzügen für den ‚Standort Berlin‘ wettgemacht wird. Wer sich noch an die Olympia-Pleite erinnern kann, wird sich wie der Autor fragen, wieviele Häuser man von diesem Geld wohl sanieren könnte? Glücklicherweise leiden Wähler und Politiker unter chronischem Mangel an Langzeitgedächtnis.

Aber dahinter steckt doch noch etwas mehr: Es ist dies eine klare Ansage, wer hier im Staate das Sagen hat, und wohin uns der Zug noch bringen wird. Während 35.000 Leute vor dem Rathaus gegen die Sparpolitik und Sozialabbau demonstrieren, werden andere 50-60 Leute auf die Straße gesetzt. Und während die Habseligkeiten der ehemaligen Bewohner aus dem Fenster auf die Straße fliegen, werden die Häuser systematisch unbewohnbar gemacht: Fenster und Klo-Schüsseln zertrümmert, Wasser- und E-Leitungen durchschnitten. Fragt sich Mensch, wie das ein Herr Schönbohm einem Menschen erklären möchte, der seit einem Jahr vergeblich eine Wohnung sucht???

Es ist dies auch ein deutliches Signal an jene kriminellen, subversiven Elemente, inwieweit sie hier in dieser Stadt toleriert werden. Haben sie es doch gewagt, ausgerechnet zu den Osterfeiertagen zu ‚internationalen Häusertagen‘ aufzurufen. Das wollte man nicht auf sich sitzen lassen. Und es ist ein deutlicher Schlußstrich: Die bis dato gültiger `Berliner Linie´, nach der Häuser, die vor dem Oktober 1990 besetzt wurden, geduldet werden, ist ab sofort Vergangenheit. Jenes ungeliebte Kind – damals eine politische Notwendigkeit, um zwischen den `guten´ und `bösen´ Besetzern unterscheiden zu können – paßt nicht mehr so ganz in das neue Hauptstadtkonzept. Die Wende-Zeiten sind vorbei, Schluß mit Lustig, jetzt zieht wieder `Recht und Ordnung´ ein in die Stadt. In dieses Bild paßt auch der zunehmende Druck auf die wenigen verbliebenen Wagenburgen in der Berliner Innenstadt. Zunehmend lauter wird auch hier nach einer gewaltsamen ‚Lösung‘ gerufen, wobei selbst die ältesten und dümmsten Klischees herhalten müßen. z.B: las einer dieser Tage in der „Berliner Zeitung“ eine Stellungnahme des Leiters der Bereitschaftspolizei am Hauptbahnhof, ein nahe der East-Side-Galerie, eine der verbliebenen Wagenburgen im Zentrum Berlins, gelegener Fern- und Stadtbahnhof. Nach Ansicht dieses vorgeblich kompetenten Herren seien die ‚Rollheimer‘ für 80%(!) der innerhalb des Bahnhofs vorgekommenen Straftaten verantwortlich, eine Räumung der East-Side würde eine ‚erhebliche Entlastung‘ darstellen. Von ‚gewaltsamen Betteleien‘ und ‚Belästigungen‘ ist dort die Rede. Ein sicherlich bequemes Erklärungsmodell für die zunehmende Verarmung und Verelendung. Der Kurzschluß Besetzer=Asozial=Kriminell, seit mehr als zwanzig Jahren in den Westmedien propagiert und auch im Osten nicht ganz unbekannt, hält sich hartnäckig. Ein guter Anlaß, mal kurz eine Großrazzia auf der Wagenburg einzuleiten. Daß dabei dann ‚erhebliche Mengen Rauschgift‘ (nach meinen Erfahrungen dürfte es sich dabei vorwiegend um die persönliches Kiff-Vorräte gehandelt haben) beschlagnahmt werden können, paßt dann natürlich augezeichnet ins Bild. Einer der vielen Versuche, unangepaßte Menschen zu kriminalisieren.

Auch darf man den europäischen Kontext nicht außer Acht lassen: In ganz Europa wird zunehmend repressiv gegen Hausbesetzungen vorgegangen. In Athen, London, Paris, Amsterdam …. Das Europa der Bonzen richtet sich nicht nur nach außen, erst wird der Feind im Inneren eliminiert.

Etwas irritierend wirkt da die Reaktion der Medien und der ‚fortschrittlichen Linken‘ in der Stadt. Noch vor zwei Jahren hätte ein Interview mit dem amtierenden Innensenator, in dem dieser die ‚Berliner Linie‘ ad absurdum und bürgerliches Recht für Hausbesetzer als nicht bindend erklärt, einen Aufschrei in der Presse und Rücktrittsforderungen hervorgerufen. In diesen Tagen erscheint eine solche Meldung (wenn überhaupt) nur noch unkommentiert und unreflektiert auf Seite Drei (mit einigen wenigen Ausnahmen, die „Junge Welt“ brachte z.B. eine meiner Meinung nach gut reflektierte ganze Seite (oder zwei?), allerding erst eine Woche später). Nun, dies scheint im Trend der Zeit zu liegen, Hausbesetzer scheinen nun einmal keine Lobby (mehr?) zu haben.

Dies erklärt aber keinesfalls die Gleichgültigkeit und Gelassenheit, mit der eine solche Aktion innerhalb der ‚Linken‘ aufgenommen wird. Wer sich wie der Autor schon des öfteren am Stammtisch anhören mußte, Hausbesetzungen seinen nicht mehr ‚zeitgemäß‘, und man müße sich auf ‚das Machbare‘ konzentrieren, könnte sich fragen, in wie weit ‚die real existierende Linke‘ (oder zumindest Teile derselben) denn noch ‚zeitgemäß‘ ist: Ist die Wohnungspolitik doch eines der besten Beispiele für das Scheitern der Marktwirtschaft beim Verteilen knapper Ressourcen. Kaum ein Gut im (noch) Wohlstandsstaat Deutschland ist so umkämpft, kaum ein Wirtschaftssektor wirft solche Renditen ab wie der Wohnungsbau. Wers nicht glaubt, komme nach Berlin und suche nach einer (womöglich noch bezahlbaren) Wohnung.

Doch genug der Polemik, laßt ins noch ein wenig Informationen rüberbringen. Am 26. März stürmte die Polizei um 8 Uhr morgens die Palisadenstraße 49. Die völlig überraschten Bewohner des Hauses hatten keine Gelegenheit zur Gegenwehr, und kaum Zeit, ihre persönlichen Habseligkeiten in Sicherheit zu bringen. Einige per Infokette mobilisierte SypathisantInnen konnten nur ohnmächtig zuschauen, wie die Einsatzkräfte das Haus unbewohnbar machten und das Eigentum der ehemaligen Bewohner durch die Fenster auf die Straße warfen. Begründet wurde die Räumung mit dem Umstand, die Besetzer hätten zwischenzeitlich das Haus verlassen, und eine neue Gruppe hätte das Haus neu besetzt. Dem wird von den Bewohnern widersprochen. Das Haus sei seit mehr als drei Jahren besetzt, und fiele somit unter die Berliner Linie.

Bereits einen Tag später räumten Einsatzkräfte der Polizei die Kleine Hamburger Straße 5. In diesem Falle nahm die Polizei einen Räumungsbescheid für eine Bewohnerin des Hauses als Anlaß, gleich das ganze Haus zu räumen. Pikanterweise wurden im Vorfeld einige Leute, die dort polizeilich gemeldet waren, ohne ihr Wissen abgemeldet. Wer dafür verantwortlich ist, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden.

Tags darauf fand eine Durchsuchung der Linienstraße 158/159 statt, bei der willkürlich zwei der Bewohner festgenommen wurden, wahrscheinlich weil es sich bei ihnen nicht um deutsche Staatsbürger handelt und somit eine Handhabe gegeben war. Anlaß zur Durchsuchung waren angebliche Steinwürfe auf Bauarbeiter. (Anmerkung: wie ich jetzt hörte, stimmt das nicht so ganz: es soll wohl eine verbale Auseinandersetzung mit o.g. Bauarbeitern gegeben haben; als daraufhin die Polizei auftachte, nahm diese 3 Leute willkürlich mit. Gegen eine von ihnen, einer Nicht-Deutschen Staatsangehörigen, wird der Vorwurf des Landesfriedensbruches erhoben, sie sitzt deshalb heute (vier Wochen später!) noch in Untersuchungshaft. Begründung: Aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit sei Fluchtgefahr gegeben. Ein weiteres pikantes Detail: einige ihrer Freunde, die sie besuchen wollten, wurde dieser Besuch verweigert, obwohl sie entsprechende Papiere beantragt und auch bewilligt bekamen. Ihnen wurde gesagt, sie dürften sie erst nach einem vorherigen Verhör durch die Staatsanwaltschaft besuchen, ‚da gegen ihr Umfeld ermittelt‘ werden würde. Dies lehnten diese ab.).

Diese Durchsuchung der Linienstraße löste heftige Spekulationen über eine baldige Räumung aus.

Bereits am 26. März gab es einige Solidaritätsaktionen für die Palisadenstraße, u.a. eine spontan initiierte Demo. Tags darauf kam es auch zu Straßenblockaden. Einige Schaufenster gingen zu Bruch. Von diesen Aktionen war in den Medien nur spärlich zu hören, und wenn so nur von der „ungeheuren Härte und Brutalität der Anschläge“ (BZ vom 28. März, na ja die les ich halt manchmal). Die Aktionen wurden in keinerlei Kontext zu den Räumungen gebracht.

Auch das Medienecho auf die „internationalen Häuser- und Wagenburgtage“ ist recht kläglich; abgesehen von einigen Erklärungen der Wagenburgler und der Besetzer war in der Presse wenig davon zu lesen.

Dafür wurde dann, wie als Antwort auf solch „anti-berlinisches“ Treiben, am 18. April ein Haus in Alt-Stralau geräumt. Dieses fiel angeblich nicht unter die Berliner Linie, da es noch kein Jahr besetzt sei; auch hier widersprechen die Bewohner. Im Übrigen gebe es eine Baugenehmigung, mit den Bauarbeiten würde in nächster Zukunft begonnen. Tatsächlich wurde noch in den folgenden Tagen ein Baugerüst aufgestellt, seitdem hat sich dort nichts getan. Eine noch am selben Tag stattfindende Soli-Demo wurde von massiven Polizeikräften erst durch die Stadt geleitet, bei der Abschlußkundgebung vor dem Haus dann von der Polizei angegriffen; es kam zu mindestens drei Festnahmen (das Übliche: Widerstand, Sicherheitsverwahrung nach ASOG, etc.)

Diese letzte Räumung war auch Thema im Innenausschuß des Senats, wohl auf Grund der Tatsache, daß einer der Geräumten Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin für die PDS ist. Das wohl einzig bemerkenswerte Ergebnis der Sitzung war ein Kommentar des Innensenators, bei den Bewohnern des Hauses Alt-Strahlau handele es sich nicht um Wohnungsnot, und sie würden durch gegenteilige Behauptungen nur „die echten Wohnungslosen diffamieren“. Insgesamt wurde den Besetzern Böswilligkeit unterstellt. Sie hätten sich als nicht verhandlungswillig erwiesen und durch „utopische Forderungen“ jedwede friedliche Lösung unmöglich gemacht.

Es bleibt abzuwarten, wie es den verbliebenen mehr als 15 besetzten Häusern, die keinerlei Miet- oder Pachtverträge haben, und den (gar nicht mal wenigen, ich glaube so 7 oder 8?) Wagenburgen in der Stadt weiter geschehen wird; mit Spannung wird die Walpurgisnacht und der 1. Mai abgewartet. Bereits im Vorfeld hat der Innensenat durch markige Sprüche und die Polizei durch auffällige Präsenz und offensives Auftreten schon mal die Stimmung angeheizt. Der Prenzlberger Kiez, potentielles Einsatzgebiet für Walpurgisnacht und Abschluß der „revolutionären 1. Mai Demo“ ist bereits bestens von Zivis ausgespäht, die Presse redet von „einer entscheidenden Bewährungsprobe für Innensenator Schönbohm“. Dieser tut, wie ihm geheißen, und wie er es als General der Bundeswehr gelernt hat: Getarnte Kundschafter in vorderster Front und operativ tätige Einsatzkräfte in der Hinterhand, ab heute wird zurückgeschossen! Schließlich will man sich ja vor seinen alten Generals-Kollegen nicht blamieren! (Im Juni findet eine NATO-Konferenz in Berlin statt, es geht das Gerücht um, Ex-General S. wolle dafür schon mal alles klar machen.)

Anmerkung: Heute, Freitag, 28.4. fand eine Pressekonferenz einiger besetzter Häuser statt. Dabei kamen einige Infos rüber, die ich euch nicht vorenthalten möchte:

Es gibt miitlerweile einen festen Termin für eine ‚Teilräumung‘ der Eastside(besagte Wagenburg im Innestadtbereich); was darunter zu verstehen ist, bleibt ein wenig im unklaren; Fakt ist, es existiert ein Kostenvoranschlag der ALBA, einer großen Müll-Entsorgungs-Firma, für die ‚Bereinigung‘ des Geländes über 2,5 Millionen D-Mark… (wer zahlt das eigentlich???) Es ist anzunehmen, das dies nicht nur die Hunde-Scheiße und Zigarettenkippen auf dem Platz beinhaltet, die Bewohner befürchten, daß hiermit ihre Wägen, somit ihr Zuhause, gemeint ist.

Die Repression gegen die B-Häuser nimmt weiter zu; in der Rigaer Str. sollte das Wasser abgestellt werden; dies konnte buchstäblich in letzter Minute verhindert werden.

In der Pfarrstraße gab es einen Toten, eine der Bewohnerinen starb angeblich an einer Überdosis nicht näher bezeichneter Drogen. Dieses tragische Ereignis wurde von der Polizei zum Anlaß für eine Hausdurchsuchung der Pfarrstraße genutzt. Dabei kam es zu einigen sehr unschönen Szenen, zu Beleidigungen und Mißhandlungen seitens der Polizei. Nach Angaben der Hausbewohner verhielten sie sich erst kooperativ, holten Polizei und Notarzt als sie ihre Freundin entdeckten. Nachdem der Notarzt den Tod feststellte und Fremdverschulden ausschloß, zogen Polizei und Kripo erst einmal ab. Insgesamt sollen von der Polizei nur schräge und hämische Sprüche über die Tote und das Haus gemacht worden sein. Kurze Zeit später stürmten Einsatzkräfte der Polizei in voller Demo-Montur das Haus und durchsuchten dieses. Fünf Leute wurden wegen Widerstand, Beleidigung und Landesfriedensbruches festgenommen, sind inzwischen wieder freigelassen worden.


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