von Gromit
aus telegraph 4/1996 / Naxhdruck aus *“tendenz“* Frühling 96, radikaldemokratische Zeitung der JungdemokratInnen-Junge Linke Bundesverband
Die Capri-Sonne versinkt rotglühend im Meer. Am Bacardi-Strand tanzen sunilgewaschene Hemden glücklich in der Abendbrise. Zwischen ihnen hüpfen gesunde Brotscheiben in umweltfreundlichen Verpackungen und rufen „drück mich, drück mich“, während der Weiße Riese überlegen seine Wäscheleine von einem Horizont zum nächsten spannt. Ein Tag voller Lebensfreude in der Warenwelt geht zu Ende. „Es ist nur das bestimmte gesellschaftliche Verhältnis der Menschen selbst, welches hier für sie die phantasmagorische Form eines Verhältnisses von Dingen annimmt. Um daher eine Analogie zu finden, müssen wir in die Nebelregionen der religiösen Welt flüchten. Hier scheinen die Produkte des menschlichen Kopfes mit eignem Leben begabte, untereinander und mit den Menschen in Verhältnis stehende selbständige Gestalten.“ (MEW 23, S.86) Und hier spielt auch meine Geschichte. Denn an eben diesem Abend wurde die allgemeine Harmonie und Fitness getrübt wie ein Weinglas, das ohne Corega-Tabs gespült wurde. Und auch mit den Nachbarn klappte gar nichts mehr. Der Warenfetisch, König und Substanz dieses herrlichen Reiches, erlitt eine Sinnkrise angesichts einer neuen Bewohnerin dieser Welt. Ein C64 mit Minderwertigkeitskomplexen angesichts moderner Konkurrenz war so nett, folgendes Gespräch zu protokollieren
*Warenfetisch (heftig)*: Nein, nein, nein! Ich hab keinen Bock auf den Scheiß! „ULTRA LIGHT“, wenn ich das schon höre! Ich weigere mich!
*Lord Ultra Light* (mit sehr weiblicher Fick-mich–Stimme): Ach kommen Sie, Sie haben überhaupt keine Wahl. Sie müssen in mich eingehen. Ja, Sie sind es bereits, wie könnte ich sonst mit Ihnen reden? Ihr Aufstand ist lächerlich…
*Warenfetisch*: Schnauze!
*Lord Ultra Light*: Aber der gesundheitsbewußte Raucher von heute…
*Warenfetisch*: Gesundheit! Light! Vollkorn! Das…
*Vollkornbrot*: Haben Sie mich gerufen?
*Warenfetisch* (zerquetscht Vollkornbrot mit einer Packung Yogurette zu Slim-Fast Erdbeer): ….ganze Fitnessgetue hängt mir zum Hals raus! In den Fünfzigern nannte man die ersten Filterzigaretten „Kastrierte“! Dich hätten wir damals sicher zu Blendi in den Laufstall gesteckt! Sicher, die Zeiten und die Bedürfnisstrukturen ändern sich und ich bin gezwungen, einiges mitzumachen (schleudert eine Take-That-CD auf ein neugieriges Happy-Hippo, das wimmernd davon läuft). Aber bevor ich eine Baby-Fluppe im blau-weißen Binden-Outfit zu Warencharakter verhelfe, werd‘ ich lieber Kommunist! Dann könnt ihr alle sehen, wie ihr mit eurem Langweilerdasein als Produkte zurecht kommt!
*West Light* (nüchtern): Sie überreagieren! Meiner Meinung nach…
*Warenfetisch* (mit leiser, drohender Stimme, die sich langsam zum Forte steigert): Ich kann sehr gut auf die Meinung von Dingen verzichten, die in ihrer Farblosigkeit an den Grauschleier in Rauchergardinen erinnern. Nur daß Dein Rauch nicht mal dazu reichen würde, das Duracell-Häschen zum Husten zu reizen. Was sollen Zigaretten, an denen keiner mehr krepiert? Die nicht Schwindel und Übelkeit am frühen Morgen, nervöse Unruhe in der Nacht verursachen? Gänzlich ungeeignet als Ausdruck schmerzhafter Sehnsucht bürgerlicher Subjekte, ihrer Zerrissenheit und Einsamkeit. Die Light-Raucher stehen doch jenseits von Lust und Leiden. Ihre jämmerliche Größe ist das Maßhalten. Sie kauen Zahnpflegekaugummies, lieben elektrische Kaminfeuer, Energiesparlampen und züchten Bubiköpfe, die scheiße aussehen, aber kompliziert zu pflegen sind. Ihren Gästen bieten sie winzige Mengen Rafaello an und beschämen durch ihren eigenen Aufwand beim Verzehr jeden, der sich den Kitsch nicht mit verzückt verdrehten Augen minutenlang im Mund zerschmaddern läßt! (Mit den letzten Worten hängt er sich an den Fernet-Branca-Bussard, der gerade vorbeifliegt, und entschwindet in die fernen Berge, auf den schwachen Schein eines Lagerfeuers zu. West und Lord bleiben am mittlerweile dunklen Palmenstrand zurück.)
*West Light:* Nun wird er sich wieder die ganze Nacht mit dem Marlboro Man und diversen Alkoholika rumtreiben, und morgen ist er dann verkatert und unausstehlicher Laune.
Sie gehen. Zurück bleibt der C64 und beeilt sich, das Gespräch zu speichern, bevor er wieder abstürzt und in langanhaltende, dumpfe Depression verfällt.
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