Interview mit Jean-Marc Rouillan (Mitgründer der Action Directe /AD)
aus telegraph #118/119
Wie kam es zu Ihrer Inhaftierung! Wie sahen die strafrechtliche Verfolgung und die mediale Kampagne gegen Sie aus?
Nathalie, Joëlle, Georges und ich waren im Februar 1987 die letzten Mitglieder der Action Directe die verhaftet wurden. Im Zusammenhang mit der polizeilichen Verfolgung, den Gerichtsprozessen und unseren speziellen Haftbedingungen haben sich neue staatliche Strukturen im „Kampf gegen den Terrorismus“ in Frankreich durchgesetzt. Wir befanden uns damals noch in der Zeit des zweiten Kalten Krieges und am Beginn der grundlegenden Veränderungen von 1989. Es ist sehr wichtig diesen politischen Kontext zu begreifen, um den staatlichen Eifer gegen uns zu verstehen.
Mit der Verabschiedung von Sondergesetzen, der Schaffung von Sondergerichten und besonders mit der Einführung militärpolizeilicher Maßnahmen symbolisierten die Regierenden, dass sie keinerlei militanten Widerstand tolerieren würden. Der Staat plante eine Intensivierung der Erpressung durch Arbeit und eine neue Form der Ausbeutung in den Ländern der südlichen Hemisphäre. Über uns richtete er sich an die gesamte Bewegung, die aus dem Mai 1968 und der darauffolgenden Zeit hervorgegangen war. Er zog eine drakonische Grenze zwischen dem Tolerierbaren und dem Untragbaren. Nach und nach hat sich so ein Konsens des Stillhaltens verfestigt. Dieser überzog das gesamte politische Spektrum bis hin zur linksextremen Bewegung, die die Erlaubnis hat zu demonstrieren, ohne die Machtfrage zu stellen.
Die Repressionen gegen uns bildeten einen neuen Höhepunkt. Die politische Bewegung der 1960er und 1970er Jahre zeigte noch die Widersprüche auf. Aber nun entstand eine Politik, die geprägt war von der permanenten Verschweigung der Widersprüche. Ein neuer „Konsens“ basierte auf der Negation des Antagonismus zwischen imperialistischer Bourgeoisie und transnationalem Proletariat und gleichzeitig auf dem Verschweigen des Gegensatzes zwischen metropolischem Zentrum [France métropolitaine] und unterdrückten Ländern, unter einem Wust modriger Konzepte, die in den Gehirnen von „Weißen“ geboren wurden.
Im ideologischen Herzen dieses Konsenses hat sich schrittweise das Konzept eines äußeren Feindes durchgesetzt. Es wurde also nicht mehr die Gefahr durch den aufmüpfigen Proletarier, den kommunistischen Aktivisten, den Anarchisten dargestellt, denn in diesem Denkschema machte die autochthone Militanz keineswegs das Hauptsujet des Bürgerkrieges (der Bürgerkrieg bzw. der Sozialkrieg wurden selbstverständlich auch geleugnet) aus, sondern stellte lediglich eine nostalgische Pufferzone „vergangener revolutionärer Zeiten“ dar, die die Herrschenden in Reservaten einpferchten oder schamlos auffraßen. Im Laufe der 1990er Jahre ist es auf dieser Art und Weise gelungen, die antike Idee des „Barbaros“ wieder aufleben zu lassen. Wir bemerken das in den „antiislamistischen“ Aggressionskriegen, aber auch während der sozialen Revolten im Herbst 2005 in den französischen Banlieus, die als ethnische Unruhen bezeichnet wurden.
Mit den tolerierbaren „Oppositionellen“ kultivierten die Herrschenden das Einverständnis mit gesellschaftlichen Brüchen und Klassenkämpfen unserer Zeit. Sie erstickten die Hauptperspektiven des Protestes und es ist ihnen gelungen die Kontinuität unseres seit 1968 währenden Kampfes zu unterbrechen. Insbesondere die kritische Kontinuität, die uns seit der Existenz der Vietnam-Komitees, seit der aktiven Unterstützung der Kämpfer im Algerienkrieg, mit dem antiimperialistischen Bewusstsein verband, dem Übergang von einfacher Solidarität zum gemeinsamen Kampf gegen den gleichen Unterdrücker.
In diesem Zusammenhang war die Symbolik unserer Inhaftierung umso wichtiger, als dass die AD eines der wichtigsten Kräfte des gemeinsamen Kampfes repräsentierte. Wir konfrontierten sie mit unseren Vorstellungen einer revolutionären antiimperialistischen Front.
Die Befriedung der Protestbewegung im metropolischen Zentrum hat hauptsächlich dazu beigetragen, das Kräfteverhältnis zu Gunsten der Herrschenden zu entscheiden, sei es auf dem Gebiet der Intensivierung der Arbeit (Prekarisierung) oder in Bezug auf die Niederschlagung von Befreiungsbewegungen im Süden.
Unter welchen Bedingungen wurde die AD gegründet?
AD hat sich in den Jahren 1977/1978 gegründet, ein Moment, den wir als einen der letzten Repliken der Ereignisse der Nach-68er betrachten können. Diese Jahre sind gezeichnet durch eine gewisse politische Autonomie, durch die italienischen Aufstände, durch das Auftauchen der Figur des neuen prekären Proletariats, aber auch durch die Guerillakämpfe in Deutschland und in Italien oder auch durch die europäische Punkkultur. Das kapitalistische System wurde in den Monaten dieses Protestes sehr heftig infrage gestellt. Die Geschichte der Jahre 1977-78 ist sehr viel weniger bekannt als die 1968er, vielleicht weil man 1968 einfacher wiederverwerten konnte. 1968 war voller Hoffnung, 1977-78 war befrachtet mit Dringlichkeit und Gewalt. Wir hatten das Gefühl, einen sehr entscheidenden Moment der Veränderung und des Umschwungs mitzuerleben. Entweder gingen wir zu auf mehr Befreiung – hier im Zentrum aber auch im Süden, wo die letzten Siege über den Imperialismus neue Wege öffneten, wie zum Beispiel in Nicaragua, oder die amerikanische Entwicklung des Neokonservatismus würde der Welt ihre sich als erbarmungslos abzeichnenden Resolutionen auferlegen.
Die Gründung von AD war eine progressive Konvergenz verschiedener Elemente der ehemaligen Nach-68er-Guerilla und junger Autonomer. Diese Fusion war gleichermaßen spontan und voluntaristisch, das heißt, sie ergab sich aus den Notwendigkeiten und Konvergenzen in den Kämpfen der Bewegung. Gleichzeitig aus der Determination uns organisieren zu wollen, um dieser neuen Bewegung ein Instrument des Kampfes zur Verfügung zu stellen, das in der Lage wäre, neue Perspektiven und neue Räume der Zäsur zu eröffnen. Im Laufe der Monate haben die Autonomen, die Libertären, die „Spontex“-Maoisten und die Antiimperialisten, die zu uns stießen, gelernt, zusammen zu handeln. Geeint durch eine gemeinsame Praxis und konkreter Prinzipien.
Welche Ziele verfolgte die AD?
Einerseits agierte die AD auf dem traditionellen Terrain der Organisationen des bewaffneten Kampfes der damaligen Zeit. Die AD radikalisierte die sozialen Auseinandersetzungen. Die Aktionen sollten die Schaffung neuer politischer Räume forcieren, in denen die Aktivisten der Bewegung und des Proletariats die Möglichkeit hätten, sich hineinzuwerfen, um eine Perspektive radikaler Transformation durchzusetzen.
Aber nach der Niederlage der 1977-78er Bewegung wurden unsere Aktionen sofort konfrontiert mit der neoliberalen Gegenoffensive, um den Zusammenbruch des in der Nachkriegszeit geschaffenen Regulierungsmodells zu überwinden. Die Regierenden waren im Begriff, die strikten Merkmale der Ausbeutungsbeziehungen wieder zu beleben: in dem sie die Arbeitsproduktivität erhöhten, die Arbeitskosten senkten – bis hin zur Schaffung einer allgemeinen Prekarisierung und damit einer riesigen Armee von Arbeitslosen und armen Arbeitern. Wie in diesen Fällen üblich, gingen diese Entwicklung einher mit der Verschärfung der Repression und der Planung von kolonialen Bestrebungen im Trikont zur Hebung wichtiger Rohstoffreserven. Das neoliberale Projekt stützte sich im Wesentlichen auf die Wiederherstellung globaler Terminologien der Subordination (ökonomische, finanzielle, militärische, politische und ideologische Unterwerfung).
Unser Hauptziel war es infolgedessen, die Hauptpfeiler dieser Subordination zu bekämpfen, die Gegenoffensive zu sabotieren und zu verhindern, dass sie sich ausbreitet. Die AD hat alles daran gesetzt, die Antagonismen gegenüber Umstrukturierungsplänen der Industrie zu verhärten, gegen die omnipotente Vormachtstellung des militärindustriellen Komplexes zu kämpfen, ihn für die erheblichen Gewinne aus seinen Kriegen gegen den Süden bezahlen zu lassen und die Speerspitze einer neuen Widerstandskultur darzustellen.
Unsere Ideen waren immer von der allgemeinen Orientierung auf Sabotage geprägt. Wir dachten, wenn es durch unseren Widerstand gelingen würde, den „Roll Back“ aufzuhalten, könnten wir die Bedingungen für eine neue Herrschaftskrise schaffen und so das Auftauchen einer neuen Welle der Revolutionen fördern.
Wir wissen leider, was geschehen ist. Die Welle ist niemals gekommen, das neoliberale Regulierungsmodell hat sich nachhaltig stabilisiert, der Zyklus der Nach-68er Kämpfe wurde schrittweise zerstört, fortschrittliche Elemente der antifaschistischen Nachkriegsära, Sozialstaat, Unabhängigkeit der Länder des Südens, verschwanden und es ging sogar soweit, dass verschiedenen sozialistischen Ländern, die mehr schlecht als recht versucht hatten, sich dem kapitalistischen Hegemonialmodell zu entziehen, der Kopf zurecht gerückt wurde.
War die AD Soziale Bewegung oder Revolutionäre Avantgarde?
Als Aktivisten, die 1968 und seine späteren Auswirkungen kennengelernt haben, verweigern wir es, diese beiden Konzepte als einander entgegengesetzt zu betrachten. Es war uns im Gegenteil ein sehr wichtiges Anliegen, die Verbindung zwischen Organisationen und Bewegung zu dynamisieren. Wir waren uns der Wichtigkeit, derer sich die Minderheitenorganisationen annahmen, bewusst. Diese militante Haltung hat die Entwicklung der Protestbewegung ermöglicht und diese neue Protestbewegung wiederum – dank ihrer radikalen Kritik – schuf die Bedingungen für das Auftauchen der sogenannten „Neuen Linken“ und ihrer innovativen Perspektiven.
Die Dynamik Organisationen/Bewegung hat sich in den Jahren des großen Aktivismus bei jedem Schritt nach vorn, bei jedem „qualitativen Sprung“ und jeder Infragestellung wieder neu erfunden. Ich war zum Beispiel mit den Aussagen der Gründer der RAF über die Studentenbewegung einverstanden, von der sie sagten, dass es ihnen gelungen war „die Ziele und Inhalte des antiimperialistischen Kampfes zu benennen, jedoch konnten sie sie nicht auf einem Organisationsniveau durchsetzen, da sie selbst nicht das revolutionäres Subjekt waren.“ Ich bekenne mich auch immer noch zur Idee der Front, die wir Ende der 1970er Jahre gemeinsam mit der RAF entwickelt haben. Es handelte sich um ein neuartiges Verständnis der Verbindung zwischen Guerilla, Organisationen des Widerstands und Bewegung. Aber mit Abstand auf die Antagonismen der 1980er Jahre sahen wir erneut trennende Positionen auf dem Vormarsch, die uns in Bezug auf die Beziehung „Organisation und Bewegung“ als untrennbar erschienen. Es war für uns als AD verständlich, besonders im Hinblick auf unser Selbstverständnis: Wir sahen uns als organisierende Bewegung im Inneren der Revolutionsbewegung. Wir mussten einerseits die Rückkehr der sehr alten Idee des Splittergruppentums, gewürzt mit einem buntgewürfelten Sammelsurium Marxistisch-Leninistischen Erbes, mit ansehen, andererseits beobachteten wir das Auftauchen von ebenso buntgewürfeltem tagtäglichem und lokalem Aktionismus [mouvementisme], der voll von vorgefertigten und kurzsichtigen Ideen war. Im Zuge der Niederlage des großen Elans der Nach-68er und der Durchsetzung des neoimperialistischen Konsenses blieben diese beiden falschen Alternativen des Aktivismus allein auf weiter Flur und verknöcherten. Parteigründungen lassen sich als Splittergruppenroutine zusammenfassen; und die Kontinuität der Bewegung schleppt sich von Mobilisierung zu Mobilisierung, von Kampf zu Kampf: reduziert sich auf seine Kontinuität ohne jemals reale Perspektiven des Widerspruchs in der Metropole zu eröffnen – oder schließt diese sofort wieder, da diese Bewegung nicht in der Lage ist, die für den Kampf um eine wirkliche, radikale Alternative notwendigen Instrumente zu schaffen und zu vertiefen.
Wie sahen die Beziehungen zu den anderen europäischen Bewegungen aus?
Wir haben uns als revolutionäre Bewegung gegründet, die seit ihren Anfängen sehr internationalistisch war: sehr viel internationalistischer als es den meisten seiner Aktivisten bewusst war. Der Neoliberalismus erschütterte den engen Rahmen der Nationalstaaten, in dem er typisch staatliche Apparate und Mechanismen auf kontinentalen und internationalen Niveau konsolidierte. Wir nahmen noch nicht alle Konsequenzen der Globalisierung wahr, aber wir verstanden sofort, dass wir uns nicht mehr mit unseren alten „nationalen“ und mechanischen „internationalen“ Visionen zufrieden geben konnten. Die „Nationalisierung“ der Arbeiter war nicht länger das Herzstück des revolutionären Projektes. Die AD hat sich schon immer als eine a-nationale Bewegung verstanden. Wir hätten das, was wir in Paris machten, auch in Berlin oder London machen können. Wir agierten in offenen Räumen, hauptsächlich in Westeuropa und im Mittelmeerraum: Palästina, Türkei, Libanon. Wir waren keineswegs „die selbsternannte Avantgarde der Klasse auf einem durch strenge Grenzen begrenzten Territorium“, die alleine erst die Bewegung, dann die Klasse und dann das gesamte Volk für sich gewinnen wollte. Angesichts der Gegebenheiten, der Territorien und auch prinzipiell sind wir gezwungen, mit anderen Guerillas und anderen Bewegungen zusammenzuarbeiten und zu agieren. Die Organisationen der vorhergehenden Epoche befürworteten das Einheitsmodell. Wir mussten mit der Vielfalt umgehen und sie noch dynamischer gestalten. Zum Beispiel haben wir gemeinsam mit Primea Linea gekämpft und in den 1980er Jahren haben wir zusammen mit der RAF eine Diskussion angeschoben, auch gab es Aktionen mit türkischen, palästinensischen und libanesischen Genossen.
Wie beurteilte die AD damals die Strategie der RAF?
Die RAF hat die europäische revolutionäre Bewegung gekennzeichnet. Wir haben uns von Anfang an sehr mit den Zielen der RAF verbunden gefühlt. Und im Kontext einer Hauptstadt mit einem hohem Bevölkerungsanteil an Migranten und an Flüchtlingen haben wir sehr schnell auf der Grundlage derselben Orientierungslinie agiert: „Den Kampf in der Hauptstadt gemeinsam mit den Revolutionären der Dritten Welt führen.“
Dennoch muss man sagen, dass wir uns – als aus der Autonomen-Bewegung geborene Organisation – ein relativ falsches Bild von der RAF machten. Diese Verzerrung war ein Ergebnis der starken Prägnanz der antiaufständischen Propaganda, die bis ins Herz der Bewegung hineinreichte. Man muss daran erinnern, dass die RAF der Hauptfeind Nr. 1 der NATO und ihrer Verbündeter war. Das durch die bürgerlichen Medien vermittelte Bild des „sektiererischen Militarismus“ und des nostalgischen Marxismus-Leninismus dienten für viele aus der Bewegung als Alibi, um den bewaffneten Kampf als solchen zu verurteilen. Diese Leute haben aber die Bewegung „2. Juni“ unterstützt, danach die RZ und als die RZ gemeinsam mit den Palästinensern zuschlugen, waren sie auf der Seite einiger lokaler RZ-Gruppen, etc. Opportunisten finden immer „gute Gründe“, sich zu profilieren. Sie mögen radikale Kämpfe, aber weit weg müssen sie sein, so weit weg wie möglich, und sie sollten ohne unmittelbare praktische Konsequenzen bleiben. Die antiimperialistischen Hauptziele der RAF waren also zu explosiv. Denn jeder von der RAF veröffentlichte Text war nicht dazu gedacht, ihre Ideen zu bekräftigen und zeitlose Litaneien ideologischer Satzungen zu wiederholen, sondern um in der historisch bedingten Situation in Politik und Praxis verwendet zu werden. Und keiner der RAF-Texte richtete sich an ein „erträumtes“ Proletariat, sondern buchstäblich an die revolutionäre Bewegung, um zu diskutieren und gemeinsam die antagonistischen Hauptorientierungen zu etablieren.
Als wir über einen längeren Zeitraum hinweg gemeinsam mit der RAF fungierten und die gleichen Strukturen teilten, ist uns klar geworden, wie falsch diese „kritischen“ Behauptungen waren. Und im Laufe unseres gemeinsamen Kampfes ist uns unsere politische Nähe bewusst geworden. Unsere politische Verwandtschaft und Nähe wurde Anfang der 1990er Jahre infrage gestellt, als das Konzept der Front zu Gunsten des Konzeptes des „politischen Gegengewichts von unten“ aufgegeben wurde. Auf Grund unserer Vergangenheit in der Bewegung der politischen Autonomen war es uns unmöglich, in diese Falle zu tappen. Wir haben diesen Prozess, aus unserer Sicht ein Liquidationsprozess, angeprangert.
Unterscheiden sich Ihre Haftbedingungen von denen anderer Gefangener?
Diese Haft unterscheidet sich von der „normalen“ Haft eines sozialen Gefangenen ohne Zweifel. Seit unserem ersten Tag im Gefängnis wurde versucht uns gegen das aufzubringen, wofür wir gekämpft hatten. Mit Hilfe spezieller Haftbedingungen, Isolationshaft moduliert mit Zweier-Isolation, war es während mehr als einem Jahrzehnt erklärtes Ziel, tagtäglich die Erpressung zu konkretisieren: bereuen oder versinken. Und bis heute verlangen sie von uns Reue, um sagen zu können: „Seht, es gibt nichts mehr zu tun, selbst sie – die Allerschlimmsten – geben es zu“.
Wie lange wird Ihre Haftzeit dauern?
Unser Mindeststrafmaß haben wir seit mehr als zwei Jahren abgesessen, aber es kam nie in Frage, die gerichtliche Strafe zu mildern. Die staatlichen Intentionen schwanken heute zwischen zwei Polen, entweder sie lassen uns noch lange im Gefängnis oder sie schließen das Kapitel ab, indem sie uns im Rahmen einer langen Periode des Freigangs und der Bewährung entlassen – als Ausdruck des politischen Bruchs.
Wenn sie uns weiterhin einsperren, verstärken sie die Diskussion über unsere Situation. Beispielsweise führte die Entlassung Brigitte Mohnhaupts in Deutschland hierzulande zu einer Debatte über unsere Haftzeit. Und nun denken sie an unsere „Entlassung“ und bereiten sie vor. Diese Situation wurde durch die Mobilisierung für unsere Haftentlassung beschleunigt. So wie es zurzeit aussieht, wäre unsere Entlassung an eine Vielzahl von Bedingungen geknüpft, die hauptsächlich politischer Natur wären: Verbot sich politisch zu betätigen und Politik in jedweder Art zu betreiben, das Ganze verstärkt durch Hausarreste. Dennoch sollte man weiterhin die Mobilisierung weiterführen, denn – laut des Staatsanwaltes vom Sondergericht – „es handelt sich um eine extrem sensible politische Affäre“ und jede Schwankung der politischen Situation kann eine Veränderung in unserer Aktenlage herbeiführen.
Jean-Marc Rouillan, geboren am 30. August 1952 im französischen Auch ist Mitbegründer der Action Directe. Er wurde 1987 mit anderen Mitgliedern der Organisation, nach einer Serie von Anschlägen in den 70er und 80er Jahren, darunter auf den französischen Generalinspekteur der Armee General René Audran 1985 und auf den Renault-Chef Georges Besse 1986 festgenommen. 1989 zu Lebenslanger Haft verurteilt. In der Zeit vom 17. Dezember 2007 bis 2. Oktober 2008 unter der Auflage „alle Kontakte mit der Presse zu unterlassen“ sowie „Störungen der öffentlichen Ordnung zu vermeiden“ im offenen Vollzug.
Nach einem Interview mit der Zeitung L’Express wurden die Hafterleichterungen wegen „Apologie des bewaffneten Kampfes“ wieder ausgesetzt.
Dieses Interview wurde im Sommer 2007 während der regulären Haft in der Vollzugsanstalt in Lannemezan, in den Pyrenäen durchgeführt und kann deshalb nicht als Verstoß gegen bisherige, aktuelle oder zukünftige Auflagen gegenüber dem Gefangenen verstanden werden.
Das Interview führten Kamil Majchrzak und Emmanuelle Piriot
Übersetzung Heike Schmitt
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