NowOSTI

aus telegraph #105

Sozialreport
Die Ostdeutschen beurteilen einer Studie zufolge ihre Situation und ihre Aussichten zunehmend skeptisch. „Die Stimmung im Osten ist gekippt“, erklärte der Wissenschaftler Gunnar Winkler bei der Vorstellung des Sozialreports 2001 über die Entwicklung in den neuen Bundesländern in Berlin.

Nur jeder vierte Bewohner der neuen Länder fühlt sich als Bundesbürger. 59 Prozent sehen sich dagegen weder „voll und ganz“ als Bürger der Bundesrepublik, noch wollen sie die DDR wiederhaben, nach der sich neun Prozent zurücksehnen. Unter diesen sei aber ein hoher Anteil Arbeitsloser, die nicht das alte System, sondern die Sicherheit des Arbeitsplatzes wieder haben wollten.

Die eigene wirtschaftliche Situation wird weniger häufig mit gut oder sehr gut bewertet (42 Prozent) als in den vergangenen zwei Jahren (jeweils 47 Prozent), 15 Prozent beurteilen sie als schlecht.

„Nur vier Prozent sind in den neuen Bundesländern mit ihren Zukunftsaussichten sehr zufrieden“, heißt es in der repräsentativen Erhebung. 29 Prozent seien zufrieden, 20 Prozent unzufrieden. Als einen wichtigen Grund dafür sehen die Sozialwissenschaftler „die Gerechtigkeitslücke Ost-West“. So fühlten sich 75 Prozent der Frauen in der DDR gleichgestellt, während sich gegenwärtig 72 Prozent der Frauen in den neuen Bundesländern benachteiligt sehen.

Bei den Sorgen und Ängsten stehen Arbeitslosigkeit (68 Prozent), Gewalt und Kriminalität (65 Prozent) und Sozialabbau (57 Prozent) vorn. Mehr als die Hälfte, nämlich 58 Prozent aller Befragten zwischen 18 und 60 Jahren, hat Arbeitslosigkeit schon am eigenen Leib erfahren.

Mehr als neun von zehn Ostbürgern halten sowohl soziale Sicherheit als auch Freiheit und Gerechtigkeit für wichtig. Winkler hob hervor, dass 69 Prozent Ausbildungs- und Arbeitsplätze für junge Leute forderten, und verwies auf die anhaltende Abwanderung. So hätten 1999/2000 140 000 Bürger Ostdeutschland verlassen, 77 Prozent davon sind jünger als 25 Jahre. „Die Abstimmung mit den Füßen läuft“, warnte er.

Bei all diesen Indikatoren sprach Winkler von einem Knick seit 2000.
Die Stimmung nähere sich allmählich der tatsächlichen Situation an und folgt der wirtschaftlichen Entwicklung mit einiger Verzögerung: „Die Stimmung ist noch besser als die Lage.“

Winkler gibt an, nach den Befragungen zur Zufriedenheit mit dem Staat und dem demokratischen System lasse sich sagen, dass die Ostdeutschen ihre systemkritische Sicht, die sie in der alten DDR gegen den Staat hegten, nun auf die neuen Verhältnisse übertrügen.

Die Studie belege außerdem, dass „Ostidentität mehrheitlich weder eine die bundesre-publikanischen Verhältnisse akzeptierende noch eine auf Restauration der DDR gerichtete Bewertung einschließt“.
Quelle: Sozialwissenschaftliches Forschungszentrum Berlin-Brandenburg und Hans-Böckler-Stiftung, AP, Ostsee-Zeitung, FAZ, Tagesspiegel, 7. Dezember 2001
Vaterlandsverteidigung 1
Laut einer Umfrage der Konrad-Adenauer-Stiftung habe Deutschland als Staat in der türkischstämmigen Bevölkerung unerwartet großen Rückhalt. Dass es sich dabei nicht nur um Verbalrethorik handele, zeige das Antwortverhalten auf die Frage, ob die in Deutschland lebenden Türken im Fall eines militärischen Angriffs durch Libyen oder Irak (es war bewusst ein islamisches Land genannt worden) zur Verteidigung Deutschlands beitragen sollten. Etwa die Hälfte habe sich für einen aktiven Verteidigungsbeitrag entschieden. 21 Prozent hätten es vorzogen, sich rauszuhalten und ein knappes Viertel könne oder wolle sich in dieser Frage nicht entscheiden.
Quelle: Arbeitspapier herausgegeben von der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.,
Nr. 53/2001, Ulrich von Wilamowitz-Moellen-dorff „Projekt Zuwanderung und Integration
Türken in Deutschland, Einstellungen zu Staat und Gesellschaft“
Sankt Augustin, Dezember 2001


Vaterlandsverteidigung 2

Nur 42 Prozent der Ostdeutschen sind bereit, die Gesellschaftsordnung Deutschlands zu verteidigen (Westdeutsche: 73 Prozent).
Quelle: Noelle-Neumann, E.: Nach der Zeitenwende, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14. November 2001

Ahoi
Gerhard Schröders Konjunkturprogramm macht Fortschritte. Jetzt hat auch sein arbeitsloser Halbbruder Lothar Vossler einen Job bekommen. Von Mitte März an werde er Fremdenführer in einem U-Boot auf Mallorca.“ Das ist eine tolle Chance für mich. Der Vertrag dauert erst mal bis Mitte Juni. Dann kann ich entscheiden ob ich ganz bleiben will“ sagte Vossler der Kölner Zeitung „Express“.
Quelle: FAZ 7.12. 2001, S.10

Kolateralschäden
Nach vorläufigen Bedarfsschätzungen der UN, der Weltbank und der Asiatischen Entwicklungsbank soll, zusätzlich zu den Humanitären Hilfen, die Beseitigung der Kriegsschäden in Afghanistan mindestens 9 Milliarden US-Dollar kosten.
Quelle: FAZ 30.11. 2001, S. 11
Kriegsgewinnler
Die Rüstungsindustrie kann sich freuen. Der amerikanische Verteidigungshaushalt für das Jahr 2002 beträgt 318 Milliarden Dollar. Davon dienen 20 Milliarden der „Terrorismusbekämpfung“.
Quelle: NZZ 10.12. 2001, AP

Trotzdem Gewinner
4,1 Milliarden Mark kostet die Münchner Rückversicherung der Anschlag auf das WTC. Dennoch rechnet die Finanzgruppe auch für das Jahr 2001 mit einem Gewinn.
Quelle: junge Welt, 30.11. 2001

Armer Osten
Trotz des Wirtschaftswachstums in Osteuropa leben dort laut einem UN-Bericht fast 18 Millionen Kinder in Armut. Der größte Teil dieser Kinder, rund 16 Millionen, komme aus den ehemaligen Sowjetrepubliken, heißt es in einer Studie, die vom UNO-Kinderhilfswerk (UNICEF) veröffentlicht wurde.
Quelle: AP, junge Welt, 30.11. 2001

Helferlein
Na, geht doch. Über das „Programm verantwortungsvolle Helfer“ winkt iIllegalen Ausländern, die amerikanischen Ermittlern Hinweise über „Terroristen“ geben, als Belohnung ein Visum zur Einreise in die USA.
Quelle: FAZ, 30.11. 2001

Fundamentalismus 1
Richard Harries, Bischof von Oxford, hat ein Fußballfeld exorziert, auf dem ein böser Fluch zu ruhen schien: Der Club Oxford United hatte darauf eine Serie von Spielen verloren. Wie berichtet wurde, schritt der Bischof – selbst ein Anhänger des Vereins – zusammen mit dem Club-Seelsorger und einem Vertreter der Mannschaft auf das Feld, besprenkelte es mit Weihwasser, sprach zwei Gebete und bat den Allmächtigen: „Schütze diesen Ort vor allem Bösen!“. Oxford United hatte auf dem Feld einen diabolischen Saisonauftakt erlebt. In siebzehn Spielen musste der Drittligaverein 13 Niederlagen hinnehmen. Der Trainer hatte daraufhin erklärt, an ihm liege es nicht: Zigeuner hätten das Spielfeld verflucht, weil sie für den Bau des neuen Stadions ihre Wohnwagen wegfahren mussten. Nach der Austreibung gelang Oxford ein 2:2-Unentschieden gegen York.
Quelle: DPA, FAZ, 8.11. 2001

Fundamentalismus 2
Kurioses aus München: Geht es nach dem Willen von Manfred Bodmeier – seines Zeichens Staatssekretär im bayerischen Innenministerium – sollen Computerspiele wie „Patrizier 2“, „Anno 1503“ und „Sim City“ auf dem Index landen. Der Grund: Die Strategie-Titel würden aufgrund ihres hohen Suchtpotenzials volkswirtschaftlichen Schaden anrichten, da die User kaum mehr zum Schlafen kommen.

Zudem sollen die Spiele heranwachsende Jugendliche in ihrer persönlichen, schulischen und beruflichen Entwicklung behindern. Der absurde Vorschlag Bodmeiers wurde vom Innenminister Beckstein begrüßt und unterstützt. Auch die „Harry Potter“-Verfilmung solle gestoppt werden, da Kinder zur Nachahmung des Okkulten animiert würden.
Quelle: Süddeutsche Zeitung 29.11. 2001

Fundamentalismus 3
Bei einem Streit ums Parken hat ein 35-jähriger Autofahrer in Bremen einen 19-Jährigen erschossen. Nach Polizeiangaben vom Montag hatte sich der Täter am Sonntagabend mit seinem späteren Opfer und dessen 20-jährigem Bruder zunächst heftig gestritten, weil der 35-Jährige mit seinem Pkw ein anderes Fahrzeug auf einem Wendeplatz im Stadtteil Marßel angeblich zugeparkt hatte. Die verbale Auseinandersetzung artete demnach in eine Schlägerei aus, in deren Verlauf der Autofahrer aus Bremen eine Waffe zog und auf seine Kontrahenten feuerte.
Quelle: AFP, 3. Dezember 2001, 13.06 Uhr

Fundamentalismus 4
Journalisten des Springer-Verlags (Bild, Welt) dürfen keine Kritik an den Militärschlägen der USA üben. Denn kurz nach dem 11. September wurde in die Arbeitsverträge die Verpflichtung zu „Solidarität mit den USA“ aufgenommen.
Quelle: DER STANDARD, 19.11. 2001

Schöner Wohnen
Pressemeldungen zu Folge, sind mehrere Beispiele dafür bekannt geworden, dass Obdachlose in deutschen Innenstädten aufgegriffen und jenseits der Ortsschilder wieder abgesetzt worden sind, zur Wahrung der optischen Idylle. In touristisch attraktiven Orten wurden Polizeiverordnungen mit Sonderbestimmungen ergänzt, um dem willkommenen, finanzkräftigen Besuchern einen unbeschwerten Urlaub zu ermöglichen. So sei „Personen mit abstoßenden Krankheiten“ der Aufenthalt in einigen Bodensee-Gemeinden verboten.
Wen wundert es dann noch, dass eine Düssel-dorfer Stadtmarketing-Firma „Berber und Penner“ sowie „Graffiti und Taubenkot“ als störend bezeichnete.
Quelle: Jungle World, 2. 1. 2002

Kill the Cat
Wie jetzt bekannt wurde hat die CIA im Kalten Krieg eine Katze zu einem Geheimagenten mit eingebauter Abhörapparatur umgewandelt. Die „Acoustic Kitty“ sollte auf Fenstersimsen oder unter Parkbänken geheime Gespräche des Gegners belauschen. Das Ganze sei ein grausiges Unterfangen gewesen, sagte ein früherer Offizier der CIA: „Sie haben die Katze aufgeschlitzt, Batterien hineingetan und Kabel verlegt. Der Schwanz wurde als Antenne benutzt. Sie haben ein Monster daraus gemacht.“ Die fünf Jahre dauernde Entwicklung der verkabelten Katze habe umgerechnet über 30 Millionen Mark gekostet. Die Investition habe sich jedoch nicht rentiert, der erste Einsatz des Spions im Jahre 1966 endete tragisch: „Sie haben sie in einen Park gebracht, aus dem Transporter gelassen – und dann ist ein Taxi gekommen und hat sie überfahren. Und sie saßen da in ihrem Lieferwagen mit all ihren Geräten, und die Katze war tot.“
Quelle: Sunday Telegraph, DPA 4.11. 2001

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