von Interview mit Wolfgang Kaleck
aus telegraph #105
Wolfgang Kaleck, Vorsitzender des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV) und Mitinitiator eines Bündnisses von Bürgerrechtsorganisationen gegen das Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus
telegraph: Der Berliner Datenschutzbeauftragte Garska sagte, in Schilys Anti-Terror-Gesetz seien eine Vielzahl von Regelungen enthalten, die sich die Polizei und die Geheimdienste schon immer gewünscht hätten, aber nichts mit Terrorismusbekämpfung zutun haben.
Der Grünen-Abgeordnete Ströbele merkte in diesem Zusammenhang an, dass die geplanten Änderungen im Personalausweis im nächsten halben Jahrhundert sowieso nicht wirksam werden könnten, da mehrere europäische Staaten nicht daran dächten überhaupt Personalausweise einzuführen (z.B. Großbritannien oder die Niederlande(?)). Das Bild von dem, was da mit dem so genannten „Otto-Katalog“ ausgeheckt wurde, ist nicht sehr klar. Stellt er nun, wie es die Bürgerrechtsbewegungen in einer Stellungnahme für den Bundestags-Innenausschuss formulierten, eine Gefahr „mit fatalen Konsequenzen (…)für die Grundrechte von Millionen Bürgern/Bürgerinnen und für die Gesellschaft insgesamt“ dar, ist es der sicherheitspolitische Paradigmenwechsel, übereilter Aktionismus oder einfach innenpolitische Kontinuität? Was kommt da auf uns zu?
Wolfgang Kaleck: Seit dem Ende der Blockkonfrontation und des Kalten Krieges nutzen die westlichen Regierungen innen- und außenpolitisch alle Gelegenheiten, um das Fortbestehen und den Ausbau der immensen Militär-, Geheimdienst- und Polizeiapparate mit dem Hinweis auf neuere Gefahren und Bedrohungen zu rechtfertigen. In Deutschland wurden umfangreiche Geset-zesänderungen mit der Organisierten Kriminalität, der Einheitskriminalität, dem Drogenhandel, dem Rechtsradikalismus, Hooligans und Sexualstraftaten gerechtfertigt. Es wird Gesetzesaktivismus und symbolische Politik im Bereich des Strafrechts und des Polizeirechts betrieben. Andere gesellschaftliche, rationale Lösungen der teilweise unbestritten bestehenden Probleme werden nicht angeboten.
Bezeichnend ist dabei, dass teilweise die Kompetenzen für Polizei und Strafverfol-gungsorgane zunächst nur begrenzt erweitert werden, dass diese aber nach Ablauf der Schamfrist schnell ausgeweitet werden auf andere Bereiche. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass eine strukturelle Kritik dieser Politik und eine umfassende Analyse und Kritik des Repressionsapparates derzeit von niemandem auf die Tagesordnung gesetzt werden. Selbst viele linke Gruppierungen verhalten sich recht blauäugig, wenn sie Beifall klatschen zu Gesetzesverschärfungen, die nur gegen Rechtsradikale oder Sexualstraftäter gerichtet sind.
Selbst mit der Verabschiedung der Sicher-heitspakete von Schily ist damit nicht automatisch ein Überwachungsstaat in dem Sinne geschaffen, dass die gesamte bundesrepublikanische Bevölkerung überwacht werden soll. Allerdings gibt es Tendenzen zu einem Sicherheits- oder Krisenbekämpfungsstaat. Das heißt, anstelle von eng formulierten Eingriffsvoraussetzungen für die Polizei und die Strafverfolgungsbehörden wird diesen nunmehr die Generalvollmacht erteilt, „Sicherheit“ zu schaffen oder „Krisen“ zu bekämpfen. Diese Tendenz gipfelt in den Schilyschen-Sicherheitspaketen.
telegraph: Welche Bereiche werden die sicherheitspolitischen Maßnahmen betreffen?
Wolfgang Kaleck: Die Schilyschen-Sicher-heitspakete zeichnen sich dadurch aus, dass die Trittbrettfahrer aus dem Bundesinnen-ministerium die glänzende Gelegenheit nach dem 11.09. 2001 genutzt haben, um ihre Wunschlisten auf den verschiedenen Gebieten abzuarbeiten.
Dies hat natürlich alles herzlich wenig mit Terrorismusbekämpfung zu tun. Die meisten Maßnahmen sind von vornherein ungeeignet der neuen Bedrohung rational zu begegnen.
Am deutlichsten sichtbar ist dies im Ausländer- und Asylrecht. Die neuen Gesetze werden die Diskriminierung von allen Nicht-Deutschen weiter verstärken. Dem Leitbild der offenen Einwanderungsgesellschaft Deutschland wird das Bild der Wagenburg entgegengesetzt. Nach den Verschärfungen in den Sicherheitsgesetzen und im Einklang mit den entsprechenden Regelungen im Zuwanderungsgesetz werden immer weniger Menschen nach Deutschland einreisen dürfen. Die Nicht-Deutschen, die Visa beantragen, nach Deutschland einreisen oder hier bleiben wollen, müssen in Kauf nehmen, von Geheimdiensten und Polizei durchleuchtet zu werden. Ihre Daten werden gespeichert und fast unkontrolliert weitergegeben. Massenhaft Menschen können auch durch die Neuregelung des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes betroffen werden. Hier bleibt abzuwarten, inwieweit das Gesetz in die Praxis umgesetzt wird. Gleiches gilt für die Aufnahme von biometrischen Merkmalen in die Personalpapiere von Deutschen. Daneben haben insbesondere die Geheimdienste fast uferlose Kompetenzen zur Ermittlung bekommen, ohne dass eine angemessene Kontrolle stattfinden würde. Das Bundeskriminalamt wird zunehmend zur Bundespolizei ausgebaut. Die Trennung von Geheimdiensten und Polizei wird weitgehend aufgehoben.
telegraph: Was kommt noch? Was zum Beispiel tut sich derzeit in diesem Bereich auf europäischer Ebene und wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den USA?
Wolfgang Kaleck: Auf europäischer Ebene ist ebenfalls noch unklar, inwieweit die beschlossenen Änderungen aktuell in die Praxis umgesetzt werden. Bspw. muss die Verpflichtung der einzelnen EU-Staaten Terrorismus zu verfolgen erst von den einzelnen Ländern beschlossen werden. Es ist zu befürchten, dass die sehr undeutliche Terroris-musdefinition auf europäischer Ebene dazu führt, dass auch politische Opposition mit dieser Begründung verfolgt werden wird. Dieser Sommer mit den Protesten in Göteborg und Genua hat gezeigt, wie leichtfertig Regierungschefs wie der belgische und der italienische Premier bereit sind, Terroristen und politische Oppositionelle gleichzusetzen, wenn es ihnen in den Kram passt.
telegraph: Wie geht es weiter mit dem Bündnis nach Inkrafttreten der Maßnahmen? Die ganz überwiegend aus dem Westen stammenden Bürgerrechtsgruppen stellen in ihrer Zusammensetzung, von Chaos Computerclub über Flüchtlingsrat bis zu den Strafverteidigervereinigungen eine interessante Mischung dar. Die Aktivitäten des Bündnisses waren bisher leider sehr parlamentfixiert. Warum setzte man nach den Erfahrungen der letzten Jahre mit Rot/Grün und deren Abstimmungsverhal-ten zu Fragen der inneren Sicherheit und Militäreinsätzen nicht verstärkt auf außerparlamentarische Bereiche und auf Aufklärung? Große Teile der Bevölkerung glauben doch bis heute, dass die außen- und innenpolitischen Veränderungen irgendwelchen Terroristen gelten, ihre Rechte und Freiheiten jedoch nicht sonderlich tangiert werden.
Wolfgang Kaleck: Zurzeit ist es noch unklar, wie die Bürgerrechtsorganisationen auf das Inkrafttreten der Schilyschen-Gesetze reagieren. Alle beteiligten Organisationen haben sich vor dem 11.09.2001 für Bürger- und Menschenrechte für Deutsche und Nicht-Deutsche stark gemacht. Es ist uns dann gelungen, innerhalb von kurzer Zeit ein relativ breites Bündnis gegen die Sicherheitspakete auf die Beine zu stellen. Ich halte es dabei für bemerkenswert, dass das Bündnis weitgehend parteiunabhängig agiert hat. Gerade bei den traditionellen Bürgerrechtsorganisationen scheint mir dies ein recht weitgehender Schritt zu sein. Denn die meisten dieser Gruppierungen waren sicherlich auf die rot-grüne Bundesregierung fixiert.
Das Interview führte Andreas Schreier.
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