von Knobi
aus telegraph #105
Nach den Musik-Büchern jetzt mal wieder alles – querbeet – aus dem letzten Bücherherbst. Hier war die Ausbeute diesmal groß und die Auswahl der hier präsentierten fällt schwer, und daher: kurze Vorrede – mehr Bücher.
Wenn heutzutage das Wort „fett“ für „großartig“ benutzt wird so kann jetzt der Begriff im doppelten Sinn gebraucht werden: fette Wissenschaft. Archiv für die Geschichte des Widerstandes und der Arbeit Bd. 16 (Germinal Verlag Fernwald 2001 / 876 S (+ 26 S. Anzeigen) 44 DM).
Seit 1980 erscheint diese Buchreihe und wird nicht nur von Jahr zu Jahr umfangreicher, sondern bietet auch Beiträge zur linken Geschichte auf hohem Niveau.
Außerdem bietet der Band alleine auf 295 S. rund 60 Buchrezensionen und Hinweise auf diverse Publikationen.
Lebendige Geschichte bietet auch das Buch: Kurt Waffner; Ausgeschert aus Reih‘ und Glied. Mein Leben als Bücherfreund und Anarchist (Verlag Edition AV’89 Frankfurt/M. 2001 / 223 S. / Abb. / 29,80 DM).
Kurt, in den Tagen der Novemberrevolution 1918 geboren, berichtet hier über sein Leben unter der Hitlerdiktatur, in der DDR und zum Schluss im – mal wieder – vereinigten Deutschland.
Dieses Buch sollte unbedingt in einer der nächsten Ausgaben vom telegraph etwas intensiver besprochen werden.
Am 15. Februar gibt es mit ihm eine Veranstaltung im Haus der Demokratie in Berlin.
Geschichte ist auch: Heleno Saña; Die libertäre Revolution – Die Anarchisten im Spanischen Bürgerkrieg (Edition Nautilus Hamburg 2001 / 317 S. / 39,80 DM) Ein Thema, welches immer wieder bearbeitet wird.
Diesmal von einem Spanier, der seit 1959 in Deutschland journalistisch tätig ist. Ein kritischer Geist, der einen engagierten Bericht über eine spannende Epoche schrieb.
Zur neueren Geschichte lädt das Buch Autonome L.U.P.U.S.-Gruppe; Die Hunde bellen…von A bis ZR. Eine Zeitreise durch die Revolution der 68er Revolution und die militanten Kämpfe der 70er bis 90er Jahre (Unrast Verlag Münster 2001 / 190 S. / 24,80 DM) ein. Zwar ist das Ganze etwas West-lastig, aber mit sehr interessanten Texten, besonders um wieder eine Diskussion über militante Politik in Gang zu bringen. Mensch könnte fast sagen, es wäre das richtige Buch zur falschen Zeit. Aber unbedingt empfehlenswert.
Auch die anarchistischen Klassiker dürfen im Jahre 2001 nicht fehlen: Leben – Ideen – Kampf: Louise Michel und die Pariser Kommune von 1871 (Karin Kramer Verlag Berlin 2001 / Abb. / 139 S. /29,80 DM). Herausgegeben und eingeleitet von Bernd Kramer. Dieses Buch ist eine wunderbare Hommage an die großartige Revolutionärin.
Ferner gleich zwei Bücher des österreichischen Anarchisten Pierre Ramus (Rudolf Großmann) (1883-1942): Erkenntnis und Befreiung – Konturen einer libertären Sozialverfassung (Verlag Monte Verita Wien 2001 / 208 S. / 21,50 Euro) und Das anarchistische Manifest – und andere Texte (Edition Wilde Mischung Bd. 20 / Verlag Monte Verita Wien 2001 / 80 S. / 8,70 Euro).
Beide Bände sind recht umfangreich und intensiv von Dr. Gerhard Senft eingeleitet. Es gibt, trotz der zeitweilig etwas veralteten Sprache, durchaus Bezüge zur heutigen Situation, und der Pazifist und Universalgelehrte Ramus ist in vielen seiner Erkenntnisse auch weiterhin aktuell.
Neu herausgegeben wurden auch die anarchistischen Gedichte von John Henry Mackay; Sturm (Espero Hamburg/Berlin 2001 / 108 S. / 26 DM).
Erstmals 1888 erschienen und sofort verboten, erlebten sie mehrere Auflagen. Hier liegt nun erstmals wieder seit 1911 eine komplette Ausgabe vor.
In den ca. 8 Auflagen wurde dieser Gedichtband über 25.000-mal verkauft, und einige Gedichte klingen auch heute noch erschreckend aktuell in ihren Mahnungen, wenn es um Krieg, Nationalismus usw. geht.
Neuere anarchistische Poesie – was immer mit diesem Begriff verbunden sein soll (oder will) – bietet das Buch: Ralf Burnicki / Michael Halfbrodt; Die Wirklichkeit zerreißen wie einen misslungenen Schnappschuss – Libertäre Poesie (Verlag Edition AV 89 Frankfurt/M. 2000 / 107 S. / 16,80 DM). Für mich gehört z.B. der Michael Halfbrodt zu den besten Schreibern der A-Szene, und für Lyrikinteressierte sicherlich ein interessantes Buch.
Vertreter eines etwas derben und Alkoholgeschwängerten Humors. Manchmal liegt er etwas daneben aber größtenteils macht es schon Spaß die alltäglichen Schrägheiten des Lebens aus der Sicht des Thomas Kapielski zu erleben. In der westlichen Subkultur genießt der Schwerenöter jedenfalls Kultstatus: Thomas Kapielski; Davor war schon – Gottesbeweise I-VIII und Davor kommt noch – Gottesbeweise IX-XIII (Verlag Zweitausendeins Frankfurt/M. 2001 / 161 und 178 S. / gebunden / jeweils 18 DM).
Um Weltliteratur handelt es sich bei Lord Byron (1788-1824). Eine richtig schön spannende und zum schmökern einladende Biographie, die die beste sein soll, liegt nun als Taschenbuch vor: Benita Eisler; Byron – Der Held im Kostüm (btb-Taschenbuch (Goldmann) München 2001 / 1084 S. / 17 Euro) Der Dichter, Abenteurer, Freiheitskämpfer und Salonlöwe spiegelte das Lebensgefühl einer ganzen Epoche wider.
Zum Schluss jetzt noch mal was „Künstlerisches“: HSK 13 (Hrsg.); vorwärts bis zum nieder mit. 30 Jahre Plakate unkontrollierter Bewegungen. (Assoziation A Hamburg/Berlin/Göttingen / 288 S. / haufenweise Abb. / 49,80 DM).
Dies ist nicht nur eine erweiterte Neuausgabe des Plakatebuches, welches sehr großen Anklang gefunden hat, sondern ein eigenständiges Fortsetzungswerk mit 26 Textbeiträgen, 815 Plakat-Abb. im Buch und einer beiliegenden CD-Rom, auf der nochmals 8.300 (!) Plakate aus den verschiedensten linken Gruppierungen zu besichtigen sind. Ein prachtvolles und sehr informatives Buch mit praktischem Nutzen.
Und jetzt noch kurz ein Nachtrag zu den Musikbüchern in der letzten Ausgabe vom telegraph: Unbedingt wichtig und genial: Jon Savage; Englands Dreaming – Anarchie, Sex Pistols, Punk-Rock (Edition Tiamat Berlin 2001 / 544 S. / Abb. / geb. / 58 DM). Das Standardwerk zum Thema, ein Muss für alle FreundInnen der flotten Tanzmusik.
Zum Thema Punk wäre noch zu empfehlen: Christian Graf; Punk-Lexikon (Lexikon Imprint Verlag Berlin 2001 / 2. erw. Aufl. / 441 S. / zahlr. Abb./ 29,80 DM).
Für alle, die nachlesen wollen, ob ihr Geheimtipp aus der guten alten Punkerzeit auch drin ist. Meiner jedenfalls nicht. Mein geliebter Johnny Moped taucht zwar bei Captain Sensible in einem Nebensatz auf, aber eigentlich hätte er mit seinem Album Motor-psycho einen eigenen Eintrag verdient.
Für die Freunde und Freundinnen der etwas leiseren Töne wäre noch zwingend empfehlenswert: Woody Guthrie; Dies Land ist mein Land (Edition Nautilus Hamburg 2001 / 443 S. / geb. / 49,80 DM).
Guthrie steht mit seinen Liedern und seinem Leben für ein anderes Amerika, als jenes, welches im Moment mal wieder Weltpolizist spielt. Abgesehen davon wäre ohne Guthrie vielleicht Dylan nicht geworden was er ist usw. usw.
Soweit noch mal zu den Musikbüchern. Leider stapeln sich immer noch Bücher auf meinem Schreibtisch und das eine oder andere muss eben beim nächsten Mal vorgestellt werden, sorry. Nichtsdestotrotz, wie sagte der dänische Dichter, Übersetzer und Essayist Georg Brandes: Bücher sind gute Freunde, selbst wenn sie einem meistens den Rücken zuwenden.
In dem Sinne wünsche ich ein besseres, ein friedvolles & revolutionsreicheres Neues Jahr…
Mit besten Grüßen
© telegraph. Vervielfältigung nur mit Genehmigung des telegraph