Die Erfolge der NPD in Ostdeutschland
von Angela Klein
aus telegraph #102/103
In einer Studie „Zur erneuten Konjunktur des ‚Antikapitalismus von rechts‘ und zur erneuten Verwirrung der Linken aus diesem Anlass“, die im Auftrag des DGB-Bildungswerks Hessen erstellt wurde, geht der Autor Jean Cremet der Frage nach, warum die NPD in Ostdeutschland so erfolgreich geworden ist. Eingangs zitiert Jean Cremet einen Erzfeind der NPD, den Spitzenfunktionär des Bundes Freier Bürger, der sich gerade aufgelöst hat, Eberhard Frohnecke: „Die NPD ist für ihre Verhältnisse erfolgreich in Mitteldeutschland, da sie die gleichen altsozialistischen Klassenkampfparolen propagiert, wie einst SED und PDS.“
Cremet untersucht die ideologische Entwicklung der NPD und stellt dabei fest: „Diese zeitweise fast schon todgeglaubte und zur Sekte verkommene Traditionsformation hat neues Leben nicht nur durch die Einbindung jugendlicher subkultureller Lebensformen gewonnen, sondern auch durch eine politische Lageanalyse, die zur radikalen Veränderung ihrer Argumentationsweise geführt hat.“ Die ‚nationale‘ Frage in der Form von Gebietsforderungen hat demnach nach dem Anschluss der DDR ihre massenmobilisierende Kraft verloren. Ebenso hat die erzwungene Minderung der Flüchtlingszahlen in Verbindung mit den rassistischen Maßnahmen der Bundestagsmehrheit beim sog. ‚Asylkompromiss‘ – in Wirklichkeit seiner faktischen Abschaffung – dazu geführt, dass eine ausschließlich rassistische Agitation nicht mehr, wie Ende der 80er und zu Beginn der 90er Jahre, genügend Schubkraft hat, um Wahlerfolge zu garantieren. Gleichzeitig haben die ökonomische und nicht zuletzt kulturelle Kahlschlagpolitik in den Territorien östlich der Elbe, der langanhaltend hohe Sockel an Arbeitsuchenden und eine Reformpolitik im Sozial- und Gesundheitsbereich auf dem Rücken der unteren Einkommensschichten, dazu geführt, dass der sozialen Frage im öffentlichen Bewusstsein fast absolute Priorität zukommt. Die Klientel der extremen Rechten stellt dabei selbstverständlich keine Ausnahme dar, da die ansprechbare Zielgruppe entgegen allzu optimistischer Annahmen gerade aus den benachteiligten Einkommensschichten kommt.
Die Verknüpfung nationalistischer (gegen Globa-lisierung, EU und Euro) mit rassistischen, dabei tendenziell stets auch antisemitischen und antidemokratischen (Schwatzbude, Diätenschmarotzer, Parteienherrschaft) Standardaussagen mit einem antikapitalistischen Ansatz zu einem volksgemeinschaftlichen Sozialismusbild wird in dieser Situation als das zu schmiedende Schwert angesehen, mit dem der gordische Knoten des ideellen Gesamtfeinds (die ‚Hochfinanz-Mafia‘ mit dem ‚vagabundierenden Geld mit dem Zinssystem‘) wirkungsvoll zerschlagen werden kann.“ Die Verbindung des nationalen mit dem sozialen Element ist auch das Anliegen des NPD-Vorsitzenden Udo Voigt, der mit der Aussage zitiert wird, es gelte „den bereits vorhandenen sozialrevolutionären Geist zu kanalisieren“, um die „längst überfällige neue politische Ordnung“ errichten zu können.
Aufbau Ost
Die Hauptzielgruppe der NPD ist die Bevölkerung der ehemaligen DDR. Ihre zum Teil erheblichen Mitgliederzuwächse erzielt die Partei fast ausschließlich in den neuen Bundesländern. Hinzu kommt, dass sie bei den Bundestagswahlen 1998 in Ostdeutschland erheblich mehr Stimmen erzielt hat als in Westdeutschland. Schon diese Erfolge gehen auf eine „antikapitalistische“ Propaganda von rechts zurück. Cremet zitiert aus einem NPD-Flugblatt zur Bundestagswahl neben den üblichen, antisemitisch zu deutenden NS- Reminiszenzen („Überwindung der kapitalistischen Zinsknechtschaft“, „Verbot von Spekulationsgeschäften“) und den unerlässlichen rassistischen Parolen („Einsparungen bei Sozialleistungen für Ausländer“), auch eine Reihe von Punkten, die dirigistische Maßnahmen gegen Großunternehmen fordern („Abwanderungsverbot für Unternehmen in Billiglohnländer“, „staatliche Beschäftigungsmaßnahmen“, „mit den Profiten Arbeitsplätze schaffen!“).
Der Autor hält es für „zu billig, schlicht von sozialer Demagogie zu sprechen“ und verweist darauf, dass sich für solche Forderungen Zustimmung weit über den Kern der extremen Rechten hinaus finden dürfte. „Am weitesten gediehen ist die Ausformulierung dieses rechten, volksgemeinschaftlichen und rassistischen Antikapitalismus im erfolgreichsten und mitgliederstärksten Landesverband der NPD, dem sächsischen. Dort bezeichnet sich die NPD in einem Flugblatt als ‚moderne und revolutionäre‘, als ‚antiimperialistische‘ und ‚in der Tradition der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung stehende‘ Partei, die ‚solidarisch mit allen Völkern ist, die sich im Abwehrkampf gegen den verbrecherischen US-Imperialismus und seine Helfershelfer befinden‘.
Mit ‚Sorge‘ werden Tendenzen in der PDS-Parteiführung betrachtet, ‚sich dem politischen Geschäftsgebaren der Altparteien anzupassen‘ sowie sich ‚abwertend zur Geschichte der DDR‘ zu äußern, denn die Mehrheit der NPD-Mitglieder sei der Meinung, ‚dass die DDR das bessere Deutschland war‘. Ehemalige ‚DDR-Hoheitsträger‘ sollen gezielt für die NPD geworben werden. Bündniskriterien sind neben antikapitalistischen Forderungen die Ablehnung von Privatisierungen öffentlicher Leistungen und Eigentums sowie der Widerstand gegen die ‚Zerstörung der deutschen Kultur und Mentalität‘. Die Politik der Bundesregierung und aller Parteien (einschließlich der Konkurrenz Rechtsaußen) sei ‚im Wesen gegen das deutsche Volk gerichtet‘, besonders aber ‚in einem bösartigen Antikommunismus gegen die Bürger der Ex-DDR‘. Dass ausgerechnet die NPD den anderen Parteien einmal deren Antikommunismus vorwerfen würde, damit hatte nun wahrlich niemand rechnen können.“
NPD und PDS
Die NPD hat im Osten das Wählerpotenzial der PDS im Visier. Mit Interesse hat sie registriert, dass die PDS bei den letzten Bundestagswahlen in jenen drei Wahlkreisen, wo sie ihre Direktmandate holte, „bei den Zweitstimmen Verluste in der Größenordnung zwischen 4 und 5% hinnehmen musste“.
„Das Kalkül ist einfach: Wer früher PDS gewählt hat, kann schwerlich zu einer jener Parteien wechseln, die für die herrschende soziale Kälte stehen; wer an der DDR vor allem die dort angeblich existierende ‚Nestwärme‘ schätzt, wird für Parolen von der Notwendigkeit der ‚Volksgemeinschaft‘ empfänglicher sein als andere; wer als ehemaliger Funktionsträger in der DDR heute real von sozialer Ausgrenzung betroffen ist, wird sich weniger an der offiziellen Ausgegrenztheit der extremen Rechten stoßen als Menschen in abgesicherter und zukunftsträchtiger Position. Eine solche Klientel erscheint wesentlich geeigneter und zudem kampfbereiter als die satten, um ihren noch vorhandenen Wohlstand fürchtenden Bürger im Westen, die dort die überwiegende Mehrheit der Mitgliedschaft stellen…“
Die „positive Neubewertung ihres ehemaligen Staates“, die in den neuen Bundesländern teilweise stattgefunden hat, sei deshalb „keineswegs eindeutig links besetzt“.
Die NPD will in Ostdeutschland nicht nur ihre Partei aufbauen, sondern ein „nationales Umfeld“ schaffen. In der Wahl ihrer Bündnispartner ist sie dabei nicht sektiererisch. Dazu gehören: „das frühere DKP-Mitglied Martin Walser, der ehemalige RAF-Terrorist Horst Mahler, der einstige Brecht-Zögling Hans- Dietrich Sander, der Hofgeismarer Sozi Sascha Jung, der 68er Theoretiker Reinhold Oberlercher, die ‚völkische‘ PDS-Politikerin Christine Ostrowski sowie ein beträchtlicher Teil junger Gewerkschaftsmitglieder, die nach den neuen empirischen Erkenntnissen die Forderung: ‚Deutsche Arbeit zuerst für Deutsche‘ befürworten. Denn es geht um nationale Inhalte und nicht um links-rechte Etikettierung.“ So der Burschenschafter Jürgen Schwab in der Monatszeitschrift Staatsbriefe.
Cremet schlussfolgert: „Von der extremen Rechten als potenziell bündnisfähig angesehen wird jede/r, der oder die bereit ist, das politische und soziale Konstrukt der Nation als seinen Bezugsrahmen zu akzeptieren, oder besser noch, den ‚nationalen Nihilismus‘ als linksradikale Sünde brandmarkt.“
Heimliche Sympathisanten macht Cremet auch unter den Redakteuren des Neuen Deutschland aus, z.b. Marcel Braumann, der einen Beitrag für die nationalrevolutionäre Zeitschrift Wir selbst geschrieben hat. Darüber hinaus war das ND 1998 mit einer Artikelserie zur Frage „Wie national muss die Linke sein?“ hervorgetreten, in der u.a. Prof. Michael Nier aus Chemnitz zu Wort kam, ein Mitarbeiter im Arbeitskreis Wirtschaftspolitik beim Parteivorstand der NPD und 1999 deren Kandidat zum Europaparlament. Nier ist der Auffassung, dass es zwischen der NPD und der PDS nationale Schnittmengen gibt, die sogar einen Wahlaufruf für die PDS rechtfertigen würden: „Man kann wohl feststellen, dass die Masse der Mitglieder und Wähler der PDS national orientiert und der Meinung ist, dass das internationale Finanzkapital über die regierenden Systemparteien an der Zerstörung von Sozialstaat und Kultur in Deutschland arbeitet…. Der Autor ist der Meinung, dass die PDS in den Bundestag gehört.“
National-Kommunismus
In der sozialistischen und kommunistischen Bewegung hat die Nähe zum Nationalismus eine gewisse, wenngleich minoritäre Tradition: Mussolini, Sorel, Otto Strasser, Scheringer. Gerne beruft man sich auch auf Frühsozialisten wie Saint-Simon oder Proudhon. Diese Nähe, schreibt Cremet, ist nicht zu verstehen, wenn man den Faschismus auf die sog. Dimitroff-Definition einengt, wie dies in der DDR und in weiten Teilen der BRD-Linken üblich war (= „die offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“) und mit dieser Definition auch den Faschismus in der Bewegungsphase analysiert. Antikapitalismus von rechts ist schon charakteristisch für einige Denker der Kaiserzeit, vor allem aber für „breite und einflussreiche Kreise der Konservativen Revolution der Weimarer Republik“.
Cremet verfolgt die neuere Entwicklung des „Sozialismus von rechts“ über die französische „Neue Rechte“, Nationalrevolutionäre um Henning Eichberg und Hartwig Singer, den Kirchhainer Kreis der Jungen Nationaldemokraten. Bis 1989 war der Nationalismus in der BRD aber untrennbar mit dem Antikommunismus verknüpft, weshalb die deutlich kapitalismuskritischen Elemente im Umfeld der NPD eher so etwas wie einen „dritten Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus“ suchten. „Während die extreme Rechte in anderen europäischen Ländern daran arbeitete, die durch den Verlust der Kolonien verlorene Weltmachtposition zurückzugewinnen und deshalb Europakonzep-tionen entwickelte, litt die deutsche extreme Rechte vor allem unter dem Fehlen der Vollständigkeit der Nation … All das änderte sich mit dem Fall der Mauer … Diese Entwicklung führte, unter nunmehr veränderten sozioökonomischen Bedingungen, zu einer Reaktualisierung der nationalistisch-sozialen Synthese – mit nur geringer zeitlicher Verzögerung in den ehemals realsozialistischen Staaten und mit etwas größerem zeitlichen Abstand und geringerer Sprengkraft und Verbreitung auch im vergrößerten Deutschland.“
Die ideologischen Versatzstücke jener „rot-braunen Allianz“, die in Russland mit Parteien wie der KPRF oder der Allunions-KP der Nina Andrejewa den größten Einfluss hat, sind allseits bekannt:
1. Der Hauptfeind sind die USA, die die Welt kolonisiert und gegen die ein nationaler Befreiungskampf geführt werden muss;
2. die europäischen Regierungen sind Handlanger des Finanzkapitals und damit der Kolonialisten;
3. das Finanzkapital ist natürlich jüdisch, der nationale Sozialismus muss also antisemitisch sein;
4. der Kapitalismus (das Finanzkapital) ist international, also kann der Sozialismus nur national sein.
In Ostdeutschland, das von westdeutschem Kapital besetzt worden ist und dessen Bewohner sich auch nach zehn Jahren noch in jeder Beziehung, wirtschaftlich, sozial und kulturell als Deutsche zweiter Klasse fühlen müssen, muss man sich nicht wundern, wenn eine dumpfe Propaganda „gegen die westliche Zivilisation“ und die Korruptheit der liberalen Demokratie auf fruchtbaren Boden stößt. Sie hat jedoch weder etwas mit einer klassenkämpferischen Orientierung der ostdeutschen Belegschaften noch mit einer fortschrittlichen Alternative zum Kapitalismus zu tun. J.Cremet, „Die antikapitalistische Sehnsucht des deutschen Volkes“; zu bestellen bei: DGB-Bildungswerk Hessen, Wilhelm- Leuschner-Str.69-77, 60329 Frankfurt.
Dieser Text erschien schon in der Zeitschrift SOZ Nr. 19/2000.
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