von Andy Müller-Maguhn
aus telegraph #102/103
Also gut. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin nun also gebeten worden, eine Regierungserklärung zu schreiben. …
Ich soll also eine Regierungserklärung schreiben. Dabei konnte ich Regierungen noch nie leiden. Überhaupt gar nicht. Nur der Obacht meiner Mutter können Sie es verdanken, dass ich, etwa im Alter von 11, nicht der RAF beigetreten bin. Zugegeben, ich war noch ein wenig jung.
Aber die Terroristen waren mir irgendwie sympathisch. Bei der örtlichen Polizeiwache hatte ich vorgesprochen und mir ein Fahndungsplakat besorgt. Endlich mal Bilder von sympathischen Menschen, die die Krawattenträger offenbar auch nicht leiden konnten. Irgendwie fand das meine Mutter nicht ok, so ein Fahndungsplakat zwischen den Bilder von Pop-Bands der neuen deutschen Welle. Und weg war es. Diesen Eingriff nehme ich ihr bis heute ein wenig übel.
Später bin ich dann wohl irgendwie erwachsen geworden. Kritiker behaupten, dass sei eben gerade nicht geschehen. Nun, urteilen müssen Sie schon selbst. Jedenfalls bin ich jetzt gewählt worden, in die Weltregierung. Wie, das glauben sie nicht? Deswegen schreibe ich ja diese Regierungserklärung. Manche Regierungen muss man eben erklären. Oder sagen wir, manche mehr, manche weniger.
Die Wirklichkeit in den Köpfen der Menschen wird derzeit in einem zunehmendem Umfang von Medieninhalten geprägt, die durch elektronische Netze zugänglich sind. Das Internet ist nicht nur ein solches Netz, basierend auf Protokollen, Standards, Adressierungen und Regeln. Es ist vor allem ein Kulturraum, dessen Teilnehmer vom Prinzip her nicht festgelegt sind, ob sie Sender oder Empfänger sind. So wird die Netz-Wirklichkeit von den Nutzern gemacht.
ICANN regelt die Vergabe von Namen, Nummern, die Einführung der Protokolle und erstellt die Regeln dafür – also die Architektur des Netzes. Oder eben, die Regierung.
Da ich Ihnen ja hier die Regierung erklären soll, muss ich mich wohl auch ein bisschen auf das in Ihrem Kulturkreis geprägte Medienverständnis einlassen. Die Generation der Regierenden ist ja dominant die, die mit dem Röhrenradio großgeworden ist. Damals, als man noch klar trennen konnte, wo die Sender und wo die Empfänger sind. Das nennt man Kanalmodell. Und das ist vorbei. Heute bildet das Netz einen Kommunikationsraum. Das nennt man das Netzmodell. Und jeder, der sich da anschließt, kann diesen Raum betreten. Kann sich umgucken, kann sich etwas rausnehmen, kann etwas hineingeben. Das nennen wir im Internet Geschenkkultur. Ein kleines elektronisches Paradies. Wer hat da gerade Sozialromantik gesagt?
Lustige Dinge haben sich da entwickelt, in der Zeit, als im Netz der Netze viele verschiedene Menschen im kunterbunten Austausch einen neuen globalen Kulturraum erschaffen haben. Da gab es alles, weil der Planet groß ist, die Außerirdischen unter uns sind und, nun ja, weil die Juristen weit weg waren. Die waren damals noch damit beschäftigt, Gesetze gegen Terroristen zu machen und gigantische Sicherheitsapparate aufzubauen.
Heute ist das ein bisschen anders. Irgendwann war das zwar alles ganz sicher da draußen, aber leider auch alles ein wenig festzementiert. Und da die Menschen aber nicht alle festzementiert sein wollten, haben sie sich einen neuen Freiraum geschaffen. Mit ohne Staaten, mit ohne Juristen, einfach nur freier Informationsfluss, ein paar grobe Benimmregeln und ansonsten macht einfach jeder, was er will. Rough Consensus and running code.
Verstehen Sie, frisch zementierte Betongefängnisse in die Luft zu sprengen war schon irgendwie okay, aber ins Internet zu ziehen einfach der gründlichere Ansatz. Die Gedanken sind schließlich frei. Zugegeben, auch im Kulturkreis der Internet-Nutzer hat ein paar Leuten das mit der Gedankenfreiheit ein bisschen zugesetzt. Da kam dann die Sache mit dem Geld ins Spiel, und wenn schon grenzenlos, dann natürlich unendlich viel Geld.
Da ich nun allerdings nicht die religiösen Gefühle von irgendwelchen Menschen verletzen möchte, schon gar nicht in einer Regierungserklärung, sage ich jetzt mal nichts zu „eCommerce“ oder „eBusiness“. Glauben Sie doch, an wen oder was sie wollen. Der Glaube soll ja Berge versetzen.
Aber lassen Sie uns mit ihren Juristen in Ruhe. Die Geschäftsleute haben Sie leider mitgebracht, diese Jungs die schon im Kauf einer Packung Gummibärchen eine Vertragshandlung sehen, und die den nun wirklich nicht zu beanstandenden natürlichen Akt der nicht einmal sexuellen Vermehrung von Bits mit so garstigen Begriffen wie „Raubkopien“ versehen.
Und die jetzt, wo das mit dem Internet gerade weltweit so richtig anfängt zu flutschen, auf einmal geistiges Eigentum deklarieren wollen. Und laut aufschreien, wenn sie sich überlegen, dass da geklaut wird, den ganzen Tag in jedem Computer dieses Planeten. Und da natürlich Diebstahlsperren einbauen wollen, Filter, Polizisten und Gefängnisse.
Ok, also die Situation ist da. Und wir, wir die Netzbewohner, müssen reagieren. Einige von uns haben sich ja mehr auf das mit dem unendlichen Geld konzentriert, andere sich vorsorglich schon mal Weltraumbahnhöfe, Südseeinseln und Server in Satelliten angemietet, um für die kommende Konfrontation gerüstet zu sein.
Na ja, und dann war da noch die Sache mit der Regierung. Das Netz basierte zwar im wesentlichen nur auf einer gemeinsamen Sprache, die die Computer miteinander sprechen, und einem Adressraum, damit sie sich ansprechen konnten. Bei der Entwicklung der Sprache, der Vergabe von Adressen und der Schaffung des Namensraumes war allerdings die amerikanische Regierung involviert. Und irgendwann, als dann auch die Regierungen der anderen Länder und die Generation der Krawattis das „WehWehWeh“ kannten, wollten Sie natürlich auch mitreden. Aber das ist eigentlich eine andere und ziemlich lange Geschichte, auch wenn sie letztlich zu ICANN als Firmenkonstruktion führte.
Ich kürze hier und an einer anderen Stelle mal ein bisschen ab.
Zu dem hier: es gibt jetzt also ICANN, es ist eine von der US-Regierung gegründete Firma nach kalifornischem Recht, sie regelt nicht nur die weltweite Vergabe von Namen, Nummern und die Implementierung von Protokollen, sie betreibt auch – fast – die entscheidenden Bestandteile des zentralistischen und hierarchischen Namensraumes. Fast, weil die amerikanische Regierung das Kernstück des ganzen, das root-Zone File nicht wirklich aus der Kontrolle geben möchte.
Zu dem anderen: ICANN wollte zwar regieren, es aber nicht zugeben. Man hat immer schön fein säuberlich darauf geachtet, „nur“ ein technisches Gremium zu sein, dass „nur“ technische Fragen regelt und „nur“ die Vergaberichtlinien für Namen und Nummern erstellt. Geholfen hat es nicht. Es ist das geschehen, was immer geschieht, wenn man zentralistische Stellen aufbaut, ob sie jetzt vermeintlich „repräsentativ“ die Dinge regeln oder nicht: die Zeit der Begehrlichkeiten begann.
Und damit kommen wir zurück zu den Juristen, den Krawattis und anderen Regierungen. Abgesehen davon, dass ICANNs understatement natürlich auch von Geschäftsinteressen geprägt war und es die eine oder andere unerquickliche Geschichte über die mafiöse Verbindung zwischen ICANN und dem Registrator der ersten Stunde – Network Solutions – gibt, wollten die Juristen auf einmal Eigentumsrechte an Namen deklarieren. Hier und da gab es bereits Klagen von Markenrechts- gegen Domain-nameninhaber.
Die Juristen hatten das Internet entdeckt und es nervte. Gewaltig. Diese penetrante Habgier, versteckt hinter Gesetzen. Eigentlich hätte die Regierung jetzt einschreiten sollen. Man hätte ja auch sagen können: warum denn kein Extra – Namensraum, in dem Markenrecht gilt. Aber die Regierung, ICANN, hat das nicht gewollt. Weil, sie bestand selbst aus Juristen. Und, sie trugen Krawatten, die ja bekanntlich die Sauerstoffzufuhr zum Gehirn einschränken. Und deswegen hatten sie keine Phantasie und haben das auch gar nicht verstanden, wozu man so einen öffentlichen Raum braucht, oder was ein Paralleluniversum ist.
Und weil sie Amerikaner waren, haben sie natürlich amerikanisches Markenrecht bevorzugt, die WIPO als potentielle Schiedsgerichtsstelle (gewählt durch den Kläger) bestimmt und damit den Namensraum den anderen Juristen zum Fraß vorgeworfen.
Das nervt nicht nur, das ist ein Verbrechen. Ein Verbrechen an der Sache, ein Verbrechen am öffentlichen Kulturraum Internet. Was die Juristen „geistiges Eigentum“ nennen ist – das weiß jeder Lateiner – nichts weiter, als ein Diebstahl am öffentlichen Raum. Und da wir – die Netzbewohner – jetzt aber keine Lust haben, uns den öffentlichen Raum durch die Diebe kaputtmachen zu lassen, mussten wir ein bisschen proaktiv tätig werden.
Da geht so jeder seinen Weg und alle sind vernetzt. Durch den öffentlichen Raum, durch das kollektive Unterbewusstsein und die Göttin des Streits, der Zwietracht, der Auseinandersetzung, Eris. Die da so zwischen den Zeilen tobte. Aber bevor Sie das jetzt als Esoterik missverstehen, zurück zu den Regierungsgeschäften.
Also, nominell bin ich jetzt in der Regierung, und de jure dann irgendwann im November. Und dann will ich immer noch den öffentlichen Raum frei von kommerziellen Spielregeln halten, den freien Informationsfluss hüten und den Bits ihre Freiräume geben. Wir wollen lauter Datengärten, wo sie sprießen, gedeihen und sich vermehren können. Soviel also zu den kulturpolitischen Aspekten der bevorstehenden Regierungstätigkeit.
Dann gibt es natürlich noch ein paar organisatorische Fragen, und da Regierungen als zentralistische, hierarchische Systeme nur dazu einladen missbraucht zu werden und entwicklungshemmend sind, würde ich das Ganze gerne so dezentral wie möglich ablaufen lassen und dazu muss es transparent werden. Und die amerikanische Regierung, die sollte sich eigentlich mal mehr um ihr Bildungswesen kümmern, anstelle zu versuchen, den Namensraum zu beherrschen. Gucken Sie sich nur mal das geographische Verständnis von ICANN an; das spricht Bände.
Die übrige Regierungsarbeit wird voraussichtlich darin bestehen, vernetzte Paralleluniversen durch das Nebeneinander von verschiedenen Kulturen mit eigenen Spielregeln zu schaffen. Und dann macht einfach jeder, was er will. Also, auch den Krawattis ihre eigenen Räume. Da können sie dann Markenrecht spielen (global nicht einheitlich, aber egal), sich gegenseitig aufgrund unterschiedlichen Verständnisses von Meinungsfreiheitsrechten verklagen oder sich einfach in Wohlgefallen auflösen.
Solange sie andere Kulturen akzeptieren, ist das alles ok. Ich bemüh mich ja auch, wirklich. Damit das funktioniert mit dem Nebeneinander.
Also, ich erkläre Ihnen jetzt die Regierung und das heißt, ich erkläre Ihnen, dass sie in Zukunft bitteschön sich selbst regieren. Machen Sie doch einfach, was Sie wollen. Mach ich doch auch.
Andy Müller-Maguhn ist Sprecher des Chaos Computer Clubs (CCC) und lebt in Berlin.
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