aus telegraph 1/1989 (#01)
Der sowjetische Staatschef Gorbatschow hatte sich bereits am 6. Oktober bei Gesprächen mit jungen Leuten und Pressevertretern auf den Straßen indirekt für Reformen in der DDR erklärt.Wenn die Bürger es wollten, werde es auch in diesem Land eine Politik der Perestroika geben. Er habe Vertrauen, daß es Korrekturen geben werde. Bei der Festveranstaltung zum 40. Jahrestag der DDR am 6. Oktober führte Gorbatschow aus, die DDR habe ihre eigenen Entwicklungsprobleme. Er bezweifle nicht, daß die SED im Stande sei, in Zusammenarbeit mit allen gesellschaftlichen Kräften Antworten auf die Fragen zu finden, die durch die Entwicklung der DDR auf die Tagesordnung gestellt worden seien und ihre Bürger bewegten. Fragen, die die DDR betreffen, würden aber nicht in Moskau, sondern in Berlin beantwortet.
Honecker wußte darauf nur mit dem Hinweis auf den bewährten Kurs von langfristigen und tiefgreifenden Reformen zu antworten und beschuldigte die BRD, die Bürger der DDR durch eine zügellose Verleumdungskampagne verwirren zu wollen. Schon am Vormittag hatte Honecker gegenüber Journalisten das Vorhandensein eines Flüchtlinsproblems geleugnet und die Lage in Leipzig und Dresden als „normal“ bezeichnet.
Bei einem Gespräch mit Honecker am Nachmittag des 7. Oktober wurde Gorbatschow deutlicher. Nach Aussage des sowjetischen Regierungssprechers Gerassimow warnte Gorbatschow in Anwesenheit führender Politbüromitglieder: „Warten Sie nicht zu lange, sonst werden sie es bereuen! Er erläuterte die Fehler, die man in der SU in den siebziger Jahren begangen habe. Damals sei es klar gewesen, daß die UdSSR ihre Technologie revolutionieren mußte, wenn sie mit dem Westen Schritt halten wollte. Zu diesem Zweck habe die KPdSU ein Sonderplenum in Erwägung gezogen. Doch dazu sei es nie gekommen. Jetzt, ein Jahrzehnt später, sei dies zu bedauern. Erst in jüngster Zeit habe die KPdSU ein Sonderplenum zur Nationalitätenfrage verschoben, was dann dazu geführt hätte, daß das Nationalitätenproblem nur noch schlimmer geworden sei. Das Plenum im vergangenen Monat sei dann zu spät gekommen. Gorbatschow warnte, dem Regierungssprecher der UdSSR zufolge, davor, daß Regierungen, die sich nicht den Tendenzen der Gesellschaft anpaßten, sich selbst in Gefahr brächten. Honecker sei aber, so Gerassimow, nicht in der Stimmung gewesen, solchen Bemerkungen Aufmerksamkeit zu schenken. Er habe von der Notwendigkeit gesprochen, den Lenbensstandard in der DDR zu erhöhen.
ADN führte aus, Honecker habe betont, Hoffnungen auf bürgerliche Demokratie in der DDR bis hin zum Kapitalismus seien auf Sand gebaut.
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