aus telegraph 1/1989 (#01)
„In den Kämpfen unserer Zeit stehen DDR und VR China Seite an Seite“ (ND, 2. 10. 89)
Es ist nicht zu glauben: in einem sich sozialistisch nennenden Staat gehen BePo und Kampftruppen geschlossen gegen Bürger vor, die immmer wieder in Sprechchören wiederholen: „Keine Gewalt, Keine Gewalt“, „Freiheit, Freiheit“. Was ist das für ein Machtsystem, das für sich den Anspruch erhebt, im Sinne und zum Wohle aller Bürger zu regieren? Kann man das Geschehene überhaupt noch in Worte fassen? Haß macht sich breit, wenn Menschen gejagt werden wie Hasen. Und ebenso wehrlos wie diese gegen die Gewehre der Jäger waren wir! Die Beine schlottern mir vor Angst vor diesem Aufgebot der Gewalt. Hilft es, sich zu verbarrikadieren? Warum? Wozu? Wen beschützen diese „Freunde und Helfer“? Doch nur ihre Macht! Menschen werden mißbraucht, um die Macht dieses überalterten, reformbedürftigen Apparates aufrechtzuerhalten. Junge Männer, die das Wohlergehen eines Landes mehren könnten, werden oder ließen sich in Uniformen pressen und mußten auf Befehl gegen friedliche Menschen vorgehen. Auf den Gesichtern dieser jungen Uniformierten spiegelte sich Naivität und Verwirrtheit wider. Einer, der die Uniformierten gefragt hatte, kam zurück und sagte:“Sie schämen sich“. Und dann Wasserwerfer, in Reihen marscheirende Einheiten – kann man Assoziationen zu 1933 noch unterdrücken? Was geschieht mit den Leuten, die auf LO¦s unter Bewachung in Käfigen (man stelle sich das vor: in Drahtverschläge gepfercht!) weggefahren wurden? Es ist unfaßbar, was auf unseren Straßen, die von übelster Geschichte geprägt sind, passiert. Die Vorstellungskraft reicht nicht aus, wenn man es nicht selbst erlebt hat.
Berlin, 8. 10. 1989, 1.45 MEZ
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