Kurswechsel?

aus telegraph 2/1989 (#02)

Verrückte Zeiten. Wir wollen gerade zu drucken anfangen, da hören wir die 16 Uhr – Meldungen:

Wie die Deutsche Presseagentur meldet, soll sich am Dienstag die erweiterte Politbürositzung ausführ­lich mit den Demonstrationen und Protesten der letzten Tage beschäftigt haben. Zu der planmäßigen Sitzung sei auch eine große Zahl der Mitglieder des Zentralkomitees hinzugezogen worden. Dies ist sehr selten und nur bei außerordentlich wichtigen Beratungen üblich.

Zeichen für den Ausgang der Politbürositzung dürfte ein Interview des SED-Ideologiechefs Hager mit der Zeitschrift „Moskowsky Nowosti“ sein, das am Wochenende, unmittelbar nach dem Treffen zwischen Gorbatschow und Honecker gemacht wurde, aber erst heute, nach der Politbüroentscheidung im DDR-Rundfunk verbreitet wurde. Der bekannte Nicht-Tapeten-Wechsler fordert nun die Reform und übte Kritik an den DDR-Medien (siehe nächster Artikel).

Unterdessen hat es in Dresden erste Kontakte von Vertretern der Kirche mit einem hochrangigen Vertreter der Stadt über die Freilassung der immer noch inhaftierten Demonstranten der letzten Tage gegeben. In Berlin fand ein Treffen der Berlin-Brandenburgischen Kirchenleitung mit der SED-Führung statt. Während in zahlreichen Bezirkszeitungen offen über den beginnenden Dialog zwischen der SED und Kirchenvertretern berichtet wurde, setzte das SED-Zentralorgan „Neues Deutschland“ seine Kampagne gegen die Demonstranten und westliche Medien fort.

Unser Kommentar „Bellen statt Beißen“ wurde von den dramatischen Ereignissen überholt, jedoch nicht eingeholt.

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