aus telegraph 3/1989 (#03)
Seit ungefähr einer Woche ist das Wort „Dialog“ im offiziellen Sprachgebrauch nirgendwo zu übersehen. Das Politbüro und einige Mitglieder auch einzeln erklärten sich dazu, wie auch zu Veränderungen bereit, so zumindest klang es in der westlichen Berichterstattung. Die Erklärungen der Obrigkeit in der DDR-Presse zeigten das weniger deutlich, dafür umso mehr, daß man keinesfalls die Absicht habe, sich in irgendeiner Form vom Machtmonopol zu verabschieden.
Aber um die Atmosphäre zu entspannen, gab es doch Gespräche, die unter Vermittlung von Kirchenvertretern und deren Teilnahme stattfanden. Als Dialogebene bot der Staat die Oberbürgermeister großer Städte an. Das sind natürlich Gespräche, die vorher nie so stattgefunden haben, aber wie wenig konstruktiv sie sein konnten, zeigten die sofortigen Erklärungen der Kommunalpolitiker, hinsichtlich grundsätzlicher politischer Forderungen inkompetent zu sein. Der Dresderer Oberbürgermeister, der das erste Gespräch dieser Art führte, hatte dann auch einen Tag danach sich beeilt, in der „Jungen Welt“ eine ihm zugeschriebene Äußerung, er sei dafür, daß Wahlen zu richtigen Wahlen würden, zu dementieren.
Auch z. B. in Karl Marx-Stadt bekamen die kurz vorher von einer Versammlung in der Kirche bestimmten 25 Delegierten auf ihre Forderung nichts anderes zu hören, außer daß man sich um die Forderungen nach Bereitstellung von Räumlichkeiten für Treffen, in denen unabhängige Gruppierungen ihre Ansichten zur breiteren Diskussion stellen könnten, überlegen werde. Eine Antwort wurde bis zum 27. Oktober zugesagt. Ähnlich auch in Magdeburg und in Leipzig. In Berlin fand ein Treffen von Kirchenvertretern mit Oberbürgermeister Krack statt. Es wurde vereinbart, nun auch einen nächsten Gesprächsgang um engagierte Bürger zu erweitern. Mittler soll wieder die Kirche sein. Unklar ist, inwieweit die Gesprächsteilnehmer als Vertreter von politischen Gruppierungen akzeptiert werden. Einige dieser Gruppen, die zur Teilnahme angefragt wurden, möchten dies unter anderem zur Gesprächsvoraussetzung machen, ebenso wie die Rücknahme der politisch motivierten Strafbefehle, Ordnungsstrafen und Einstellung der in diesem Zusammenhang laufenden Ermittlungsverfahren, sowie die Einsetzung einer auch von Oppositionsgruppen mitbesetzten Untersuchungskommission über das brutale Vorgehen gegen Demonstranten am 7. und 8. Oktober. Dies will man als Vorbedingung für einen wirklichen Dialog in ersten Gesprächen formulieren, wobei unklar ist, inwieweit die Kirche als Mittler bereit ist, das mitzuvertreten. Ohne die Erfüllung solcher Grundbedingungen ist jedoch klar, daß von einem Dialog nicht gesprochen werden kann, auch wenn sich mancher beeilt hat, in Interviews die Dialogbereitschaft des Staates zu honorieren, zu einem Zeitpunkt, als noch nicht einmal alle Inhaftierten entlassen waren.
Auch die Dialogbereitschaft der Politbüromitglieder, die in Betriebe gingen, erschöpfte sich in Erklärungen, die Bevölkerung könne jetzt dem ZK alle ihre Sorgen und Nöte mitteilen und dann werde den staunenden Untertanen bei dem nächsten ZK-Plenum und dem nächsten Parteitag schon eine Lösung präsentiert werden.
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