ABGEDANKT

Honecker, Herrmann, Mittag gehen – Krenz, Mielke, Krolikowski bleiben

aus telegraph 4/1989 (#04)

Das Politbüro und das Zentralkomitee reagierten auf die Krise im Lande mit Sondersitzungen. War es vor einer Woche noch eine nichtssagende Erklärung mit einigen angedeuteten neuen Zungenschlägen, so setzte sich jetzt das Personenkarussell in Bewegung. Jedoch brachten die Umbesetzungen nicht einen Mann an die Spitze, der eventuell der Bevölkerung eine gewisse Hoffnung auf Reformen gegeben hätte, wie der von verschiedensten Berichterstattern als solcher gehandelte Modrow, sondern einen, dessen Beliebtheitsgrad wahrscheinlich noch weit unter dem des bisherigen Generalsekretärs liegt. Und dieser mußte sich nun noch am späten Lebensabend, nicht zuletzt aufgrund der Unruhe im eigenen Volk, seinen Thron räumen.

Egon Krenz, als Hardliner bekannt, im Politbüro zuständig für Sicherheit, soll die gesamte Machtfülle seines Vorgängers erben. Neben dem Amt des Generalsekretärs soll er nach dem Willen der SED-Spitze auch Staatsratsvorsitzender und Vorsitzender des Nationalen Verteidungungsrates werden.

Aus dem Politbüro ausgeschieden sind auch Günther Mittag und Joachim Herrmann. Mittag, zuständig für Wirtschaft, war der Repräsentant der „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“. Schon seit längerem gab es Gerüchte, daß er seine Ämter aufgeben wollte, jedoch von Honecker zum Verbleib aufgefordert wurde, um dessen Position zu stärken.

Joachim Herrmann, zuständig für Medien und ehemaliger Chefredakteur des „Neuen Deutschland“, galt als Vertreter einer eher gemäßigten Linie. Bei ihm ist die Freiwilligkeit seines Gehens anzuzweifeln.

Die Exponenten härterer Gangarten, unter ihnen als ältester Staatssicherheitsminister Erich Mielke, blieben in ihren Ämtern. Über die Nachfolger für Mittag und Herrmann ist bisher noch nichts bekannt.

Der neue Generalsekretär hielt am Abend seiner Wahl eine Fernsehansprache, in der man die neuen Töne mit Gewissenhaftigkeit suchen mußte, um möglicherweise Reformansätze zu entdecken. Zwar waren angesichts der Situation einige kritische Bemerkungen, vor allem zum Zustand der Volkswirtschaft, nicht zu vermeiden, doch eine richtig überzeugende Zustandsbeschreibung war dies keineswegs.

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Die „Reformansätze“ sehen nach Krenz so aus:

Wirtschaft:

Das Leistungsprinzip soll durchgesetzt und die volkswirtschaftliche Proportionalität wieder herge­stellt werden. Es muß möglicherweise auf vorgesehene große Investitionsvorhaben verzichtet werden.

„Demokratisierung“ und „Dialog“:

Es wird anerkant, daß die Meinungsbildung auch(!) von unten nach oben respektiert werden muß. Dialog wird als Vorbereitung des 12.Parteitags verstanden, um diesem Anregungen zu geben. Dessen Beschlüsse sollen dann „einheitlich und geschlossen“ durchgeführt werden. In der Volkskammer soll über Gesetz­entwürfe kontrovers diskutiert werden können.

Rechtsstaatlichkeit:

Ein nicht näher bestimmter Gesetzgebungsplan soll vom Ministerrat vorgelegt werden. Auch eine Reiseregelung soll ausgearbeitet werden, deren Haupthindernis aber die Nichtanerkennung der Staats­bürgerschaft der DDR durch die BRD sei.

Medien:

Die Redaktionen sollen zu mehr Offenheit ermutigt werden, aber „Presse kann nicht Tribüne richtungs­loser,… allzu flinker und simpler Antworten sein.“

Es waren ansonsten die alten Töne. Die SED erlange die „ideologische und politische Offensive“ wieder, so Krenz, es gäbe keinen anderen Sozialismus, als den, „den wir zusammen schaffen.“ Die Sprüche von der „Einheit und Geschlossenheit der Partei“ wie auch die Warnungen an äußere und innere Feinde oder die Beschwörung, daß die vorhandenen „Foren“ für den gesellschaftlichen Dialog ausreich­ten, zeigten zusätzlich zu den dünnen Äußerungen über Veränderungen, wie wenig ernst es der Führung mit Reformen ist.

 

Allerdings wird man auf die unruhig gewordene Bevölkerung reagieren müssen, oder die Auflösungs­erscheinungen verstärken sich zusehends. Die letzten eineinhalb Woche haben gezeigt, daß mit ein wenig süßen Tönen zwar für eine Weile die Spannungen abzubauen sind, aber die Bereitschaft immer deutlicher für Demokratisierung und Veränderungen in allen Bereichen einzutreten nur unwesentlich abgeschwächt wird. Glücklicherweise hielt sich der Personenkreis in Grenzen, der nach den ersten sanfteren Tönen wieder in die Zuschauernische zurückfiel.

Doch wenn sich die SED-Führung nicht zu politischen Schritten vom eigenen Volk drängen läßt, so wird sie wieder versuchen müssen, mit polizeistaatlichem Druck die Bevölkerung im Zaum zu halten. Nach Lage der Dinge würde dies katastrophale innere Auseinandersetzungen zur Folge haben. Sehr unwahr­scheinlich ist das leider nicht, denn auch wenn das Politbüro sich vielleicht zu scheibchenweisem Nachgeben entschließen sollte, so existiert doch ein übergroßer, verselbständigter Sicherheits­apparat, der seiner notwendigen Beschneidung sicherlich nicht tatenlos harren wird. Und es stimmt nicht gerade optimistisch, daß ausgerechnet die Vertreter für die Sicherheitspolitik nun im Politbüro Mehrheiten haben.

Eine innenpolitische Katastrophe kann eigentlich in niemandes Interesse liegen, aber Realitätssinn und Augenmaß waren bisher selten eine Grundlage für das politische Handeln der SED-Führung.

Es ist jetzt die Zeit, in der die Opposition endlich politische Alternativen konkret aufzeigen muß, um nicht noch einer maroden Regierung die Ausflucht zu lassen, darauf zu verweisen, daß es neben dem mißliebigen Staatswesen oder dem Chaos keine realistischen Möglichkeiten gäbe. Die Oppsitionsgruppen müssen sich in die Lage versetzen, aus der Rolle des nur Fordernden herauszutreten.

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