„DIE LEUDE WOLL’N, DAS WAS PASSIERT!“

Die deutsche Musikszene rockt gegen Rechts
aus telegraph #104
von Dietmar Wolf

Seit der Wiedervereinigung sind in Deutschland 138 Todesopfer durch rechte Gewalt zu beklagen. Immer wieder geraten besonders ostdeutsche Städte und Gemeinden in die Schlagzeilen, in denen Nazis dominant die Jugendkultur prägen – einige Jugendclubs sind fest in rechter Hand, Nazi-Kleidung, Nazi-Symbole und Nazi-Musik sind Mainstream.

Hip Hopper und Skater sind hier oft die einzig wahrnehmbare Gegenkultur. Kein Wunder also, dass neben den klassischen Feindbildern nun auch Hip Hopper ins Visier der Nazis geraten. Ihre Treffs werden zerstört, sie werden bedroht, überfallen und zusammengeschlagen.

Zwischen dem 20.4. und 29.4. 2001 initiierte die Musikplattform Eyedoo.de zusammen mit der Zeitschrift Stern, der Amadeu Antonio Stiftung, Four Artists und dem Büro LÄRM unter dem Motto „Die Leude woll’n, dass was passiert!“ – eine Hip Hop-Tour durch ostdeutsche Städte.

Die Tour sollte dort stattfinden, wo das Problem brennt – in Wurzen, Dessau, Eberswalde und Neustadt an der Orla. Die Organisatoren wollten direkt vor Ort aktiv werden und eine starke Gegenkultur etablieren. Viele bekannte deutsche Hip Hop Künstler konnten gewonnen werden, im Rahmen dieser Tour gagenfrei aufzutreten – örtliche Hip Hop Bands spielten als Opener.

Dies ging jedoch nicht ohne Zwischenfälle ab. In Wurzen, einer Stadt die schon seit vielen Jahren negative Schlagzeilen liefert, kam es zu Auseinandersetzungen mit Nazis und der Polizei.

Nach der Tour verschickte eine Mitarbeiterin der Promotionagentur Büro Lärm eine Rundmail, die von ihren Erlebnissen während der Hip Hop Veranstaltung in Wurzen berichtet:

Hallo liebe Leute,
ich schreibe euch heute allen zusammen eine mail, weil ich euch berichten möchte, was ich erlebt habe. Zum Background: Zurzeit gibt es eine Hip Hop Tour gegen rechte Gewalt, die durch verschiedene Städte Ostdeutschlands geht.
Ich möchte euch nun hier von unserem Aufenthalt in Wurzen am 21.April 2001 erzählen, weil ich das Gefühl habe, dass viel mehr Menschen darüber informiert werden müssen, was in dieser Stadt abgeht. Wurzen ist die erste Stadt, die sich National Befreite Zone genannt hat. Demzufolge gibt es dort auch keine Ausländer. Es gibt keine Dönerbude, es gibt kein ital. Restaurant. Das einzige Chinarestaurant, das es dort gab, wurde solange terrorisiert, bis die Inhaber flohen. Die Anfangsbuchstaben vom Happy House (Name des Restaurants) wurden stehen gelassen und stehen heute für „Heil Hitler“. Die Nazis haben dort einen ihrer Treffpunkte eingerichtet, in dem sie sogenannte Heimatabende verbringen. Als wir in Wurzen ankamen, war sofort klar, dass wir dort alles andere als willkommen sind… zunächst muss gesagt werden, dass die Veranstaltung open air war, da die Stadt keinen Raum zur Verfügung stellen wollte. Vor Ort organisierte das Konzert eine Gruppe von Antifa Leuten, die (man kannes gar nicht glauben) in Wurzen und Umgebung wohnen.
Unsere Sprüher, die fester Bestandteil der Tour sind, fingen um 14 Uhr an, eine Mauer, die gegenüber dem Gelände an einer Straße lag, zu bemalen. Von Anfang an wurden sie von vorbeifahrenden Nazis bedroht („Heute Nacht krieg ich dich.“ „Ich töte euch.“). Von der vorher abgesprochenen Polizeistreife zu unserem Schutz war nichts zu sehen.

Um 15 Uhr hielten zwei Polizeiautos vor der Mauer. Die Polizisten stiegen aus und verlangten von den Sprühern die Sprüherlaubnis. Reine Schikane, denn logischerweise war die ganze Veranstaltung (also auch das Sprühen) genehmigt und angekündigt. Von Anfang an trat die Polizei sehr unfreundlich und äußerst unkooperativ auf. Einer der Sprüher, der chinesischer Abstammung ist, filmte die ganze Aktion mit seinem Camcorder. Plötzlich nahmen die Polizisten ihn und wiesen ihn an, ihnen ins Polizeiauto zu folgen…

Daniel (Sprüher) musste seinen Film löschen und seine Personalien angeben…
Als mir einer der Polizisten dann sagte, dass der Sprüher dort festgehalten wird, weil er ja erst einmal seinen Namen buchstabieren müsse („oder können sie etwa vietnamesisch?“), war die Situation kurz vor dem Eskalieren. Deshalb und natürlich auch, weil wir die Presse hinter uns haben (Stern und Focus waren anwesend), wurde Daniel schließlich wieder frei gelassen.

Von da an war klar, dass die Polizei, die uns eigentlich beschützen sollte, nicht wirklich auf unserer Seilte steht. Ein Einsatzwagen stellte sich dann eine Zeitlang neben die Mauer, und tat so, als würde er aufpassen. Einer der Polizisten in diesem Auto war der Vater des NPD – Vorsitzenden dieser Stadt. Ein weiteres Beispiel für die Parteiorientierung der Polizei: Ein einzelner Nazi geht an ca. 30 Sprühern vorbei und sagt ganz selbstbewusst, dass er heute Nacht alle tötet. Dann geht er um die Ecke und begrüßt die schon erwähnten Polizisten.
Das Konzert verlief reibungslos. Wir bekamen so viel Dankbarkeit entgegen und merken wie in Neustadt, dass es so wichtig ist, etwas für die Menschen zu tun, die gegen diese Nazis kämpfen. Ich habe tiefsten Respekt, vor diesen Leuten, die dort täglich verprügelt oder aus Bussen geschmissen werden und den Kampf trotzdem nicht aufgeben!!!
Als das Konzert zu Ende war und der Großteil des Publikums zuhause und die Bands im Hotel waren, tauchten plötzlich 50 Glatzen auf dem großen Parkplatz vor dem Konzertgelände auf. Von der Polizei war zunächst nichts zu sehen. Unser Sicherheitschef konnte die Nazis mit seinen Leuten einkesseln und eine Straße hoch ‘treiben’. Dann tauchte auch die Polizei auf, die sich (mal wieder) äußerst unkooperativ verhielt. Doch nach einem Gespräch des Einsatzleiters mit Anette Kahane von der Amadeu Antonio Stiftung, die während der ganzen Tour dabei war, gaben die Polizisten ein Versprechen, dass sie auf dem Parkplatz blieben, bis alle Beteiligten den Ort verlassen hätten.Immer wieder tauchten Nazis aus der Dunkelheit auf. Im Fünfer – Konvoi fuhren wir (A. A. Stiftung, Sprüher, Focus – Fotograf und ich) dann mehr oder weniger fluchtartig mit unserem Sicherheitschef in unser Hotel, dessen Besitzer übrigens einen der NPD – Jugendclubs durch Geldspenden unterstützt.

Auf dem Weg bekamen wir dann noch zum Abschied den Hitlergruß.
… Egal wohin du guckst, es leben dort nur Nazis (bis auf die handvoll Antifa Leute). Der Stadtrat, Polizei – egal was – Nazis! Und die, die keine Glatze oder Hitlerfrisur tragen, verschließen die Augen. Genau wie vor 50 Jahren. Das ist dort ganz schlimm und ich wünschte mir, dass viel mehr Menschen davon etwas mitkriegen, damit das Problem ernst genommen wird. Auch wenn ich in meinem ganzen Leben noch nie solche Angst vor Menschen gehabt habe, bin ich sehr froh, dass ich diese Tour mitmachte…

Bei dem Konzert waren übrigens ca. 400 Leute, die richtig gefeiert haben. Denen war es im Prinzip auch total egal, wer auf der Bühne steht. Hauptsache, es wird was für sie getan…

Diese Mail passt genau ins Bild. Ist sie doch bei vielen westdeutschen Gutmenschen wie Wasser auf die Mühlen und eine Bestätigung dafür, dass der Osten viel brauner und schlimmer als der Westen ist. Braune Horden überall, von demokratischer Zivilgesellschaft keine Spur. Und kennst du einen, kennst du alle.

Der Grundtenor in dem diese Mail verfasst ist, steht im Einklang mit jenem Betroffenheitsgefasel, mit dem seit Jahren Politiker und Medien den gesamten Osten stigmatisieren.
Interessanterweise kam ausgerechnet aus Wurzen, vom dort sehr aktiven Netzwerk für Demokratische Kultur e.V. (NDK), Widerspruch zu dem Mail:

… Maike berichtet in ihrer Mail über ihre Erlebnisse am Rande der HipHop-Tour „die leude woll’n dass was passiert“. Dort hat die Polizei trotz vorheriger Anmeldung der Spray-Aktion auf dem Schulhof des Lichtweg-Gymnasiums einen Sprayer festgenommen und verbal attackiert.
Das ist eine schlimme Tatsache und wirft ein schlechtes Bild auf die Einsatzkräfte vor Ort. Immerhin war das Konzert mit allen Begleitaktionen wochenlang bekannt. Gegen den entsprechenden Polizisten wurde ein Dienstaufsichtsverfahren eingeleitet.
Wenn Maike in ihrer Mail mit viel Betroffenheit davon berichtet, dass es in Wurzen so viele Nazis gibt und nur eine Handvoll Antifa-Leute, die komischer Weise nicht wegziehen wollen, trifft sie damit die Tatsachen nicht, sondern streift sie nur.
Wurzen ist ein weltweit bekannt gewordenes Beispiel für eine neue Strategie des organisierten Rechtsextremismus: die Subversion des Kulturellen (Vorpolitischen). Es gab hier bis vor ca. 2 Jahren einen „Nationalen Jugendclub“, es gibt einen NPD-Stadtrat, es gibt viele rechts-orientierte und nicht wenige rechtsextreme Jugendliche, es gibt eine Menge erwachsene SympathisantInnen der Rechten und es gibt Menschen in Politik und Verwaltung, die das alles nicht wahr haben wollen.

In der 17.000 Einwohner zählenden Kleinstadt in Mittel-Sachsen gibt es aber auch Vereine, wie den St. Wencelai Förderverein oder den Frauenverein Luise, es gibt Institutionen wie das Gymnasium, die Mittelschule und die Kirchgemeinde. Die sind nicht alle per sé Nazis und nicht alle von ihnen gucken weg, wenn Neonazis in Wurzen ihre Gesinnung zeigen.
Ohne lokale PartnerInnen, bspw. das lokale Kulturamt, wäre das HipHop-Konzert gar nicht möglich gewesen. Die ca. 400 BesucherInnen des Konzertes kamen nicht aus Berlin oder Leipzig, sondern vor allem aus der Umgebung von Wurzen.
Ich fände es schade, wenn das beeindruckende Engagement der ca. 30 Jugendlichen im NDK und ihrer vielen HelferInnen/FörderInnen aus der ganzen Republik auf das Bild einer Handvoll Antifas gegenüber eine große Übermacht rechtsextremer Idioten reduziert werden würde. Das kann auch Maike in ihrer Mail nicht gewollt haben.
Und noch etwas ist nötig, korrekter darzustellen: Es gibt in Wurzen MigrantInnen. Aus Vietnam oder Russland, Kasachstan oder Italien, China oder Polen oder Angola kommen sie.
Sie sind wenige, oft haben sie Angst, wollen nicht politisch in Erscheinung treten, manche ziehen lieber weg. Es gab ein Asylbewerberheim, welches 1992 nach einem Brandanschlag geräumt wurde, auch das gehört zur Geschichte der Stadt. Wurzen aber als „ausländerfrei“ darzustellen ist in doppelter Weise falsch. Erstens missachtet das die in Wurzen lebenden MigrantInnen. Zweitens hieße es, den Neonazis eine unverdiente Genugtuung zu geben. Geht es nach dem NDK Wurzen und hoffentlich uns allen, wird völkische Friedhofsruhe nicht in Wurzen und auch nicht anderswo eintreten. Es gibt viele andere Jugendkulturen, auch in Wurzen. Es gibt (auf-)wachende BürgerInnen. Zivilcourage (leider ein ausgeleierter Begriff nach dem letzten Sommer) braucht Fantasie und Mut. Beides hat das Netzwerk für Demokratische Kultur. Sie braucht die Kritik von Außen. Dafür hat Maike in ihrer Mail gesorgt, wenn auch manchmal sachlich unkorrekt …

Auch beim Konzert in Eberswalde gab es Probleme. Zwar nicht von Seiten der Nazis, denn die lassen sich am alten Bahnhof, dem selbstverwalteten Jugendzentrum von Eberswalde, schon seit Jahren nicht mehr blicken.
Hier sorgte die Security für allgemeinen Unmut. Nach Aussehen und Gehabe eher für einschlägige Clubs auf der Hamburger Reeperbahn geeignet, kommandierten sie die Konzertbesucher herum und boten reihenweise Prügel an.

Gerade mit der Security vergreifen sich die Veranstalter regelmäßig. Schon bei ihrer ersten Tour „Rock gegen Rechts“ die in Zusammenarbeit mit Udo Lindenberg, den Söhnen Mannheims und anderen deutschen Rockbands, im Februar dieses Jahres durch ostdeutsche Städte tingelte und für „Mut gegen Rechts“ warb, kam es zum Eklat, weil dieVeranstalter für das Konzert im Berliner Velodrom die einschlägig berüchtigte Security BOSS engagiert hatte. Diese vertrieb auf Geheiß des Konzertmanagment vor dem Velodrom Antifas, die Flugblätter verteilten und Obdachlose die versuchten ihre Zeitung Straßenfeger an die Konzertbesucher zu verkaufen. Bei linken Konzertveranstaltern und Security-kreisen ist hinlänglich bekannt, dass bei BOSS viele Rechte arbeiten.

Die Erfolgschancen für das von den Tourveranstaltern, trotz allem sehr löblichen und hehren Ziels, eine starke Gegenkultur durch Konzerttourneen zu etablieren, scheinen eher dürftig.

Schon 1993 verpuffte ein gleichartiger Versuch folgenlos. Damals organisierten Berliner und Brandenburger Antifas zusammen mit linken Konzertveranstaltern unter dem Titel „Am Rande des Wahnsinns“ eine antifaschistische Konzerttour in vier Brandenburger Städten und Berlin. Dies geschah hauptsächlich als Reaktion auf das rassistische Pogrom in Rostock.

Im Gegensatz zu heute, hatte sie damals viel klarer erkannt und benannt, worum es geht: Am Rande des Wahnsinns ist nur ein kleiner Beitrag zu einer antifaschistischen Politik, die wir uns in diesem Land viel stärker wünschen würden. Eine Politik, die sich nicht nur an Nazis orientiert, sondern auch an anderen Formen von Unterdrückung – Rassismus, Patriarchat, Kapitalismus.

Ihre konkreten Ziele formulierten sie damals so: Wir wollen zwei Ziele verfolgen. Zum einen geht es darum, linke „Bastionen“ im Alltag zu stärken, um auch aus der Mitte heraus wirken zu können. Zum anderen streben wir eine kulturelle Einbindung Jugendlicher an, um die Jugendlichen nicht nur über theoretische Diskussionen, sondern eben über kulturelle Vermittlung zu erreichen. Dabei gehen wir nicht davon aus, dass den Jugendlichen nur langweilig sei und sie nur deshalb mit Nazis rumhängen. Dennoch aber meinen wir, dass ein rassistischer Grundkonsens verbunden mit mangelnder Alternative das Mitläufertum bestärkt.

Obwohl die damalige Konzerttour selbst ein Erfolg war, zu einem großen Teil auch dadurch, weil es den Organisatoren gelang, namhafte Bands zu gewinnen und durch eine gute Pressearbeit ein beachtliches Medienecho zu erlangen, tendierten die Auswirkungen in Punkto Nachhaltigkeit gegen Null. Die Hoffnungen, die Tour würde ein Auftakt für eine Konsolidierung von Strukturen vor Ort sein, der langfristige Perspektiven ermöglicht, wie zum Beispiel antifaschistische Verankerungen in den Jugendclubs wurden jedoch nicht oder nur unwesentlich erfüllt.

Was also sollen Konzerttouren erreichen, denen es nicht um politische, gesellschaftliche Ursachen für Rassismus und Faschismus geht, sondern um den schröderschen „Aufstand der Anständigen“. Und dafür ist der durch seine derb/sexistischen Blödelwitze bekannte Ingo Appelt als Moderator für die „Rock gegen Rechts“-Tour gerade richtig, denn die, gemixt mit ein paar flotten Antinazisprüchen, kommen gut an bei den anständigen Deutschen.

Als Nächstes nun planen Techno-DJ’s eine Tour durch Ostdeutschland unter dem Titel: „No Historical Backspin“. Es sieht so aus, dass keiner in der Musikbranche zurückstehen will. „Rock gegen Rechts“ – als PR-Maßnahme (?), natürlich in Ostdeutschland.

© telegraph. Vervielfältigung nur mit Genehmigung des telegraph