aus telegraph #104
von Angela Klein
Nach Österreich ist Italien seit dem 13.Mai das zweite Land in der EU, das von einer Regierung geführt wird, die faschistische und wohlstandschauvinistische Parteien einschließt. Diesmal haben CDU/CSU, die englischen Tories, Chirac in Frankreich und der spanische ultrakonservative Ministerpräsident José Aznar hemmungslos Beifall geklatscht, der neu gewählte US-Präsident Bush, der selbst von rechtsradikalen und religiös-fundamentalistischen Kräften gestützt wird, schickte als erster Glückwünsche – und Berlusconi ist stolz, einen neuen, so mächtigen Beschützer gefunden zu haben, anders als die EU-Kommissare, deren hauptsächlich liberal- und sozialdemokratisches Personal verlegen herumdruckst.
Italien ist die viertgrößte Wirtschaftskraft der EU und der Wahlsieg Berlusconis mit 150 Sitzen mehr im Senat und 100 mehr in der Kammer so satt, dass niemand davon träumen kann, seine Regierung werde, wie 1994, nach sieben Monaten an internen Zwistigkeiten des Wahlbündnisses zusammenbrechen. Er ist nicht einmal auf die Stimmen der Lega angewiesen.
Berlusconi ist auch nicht Haider; er führt keine faschistische Partei mit Wurzeln in den 30er Jahren und einem Umfeld, das bis in faschistische Schlägerbanden reicht, sondern ein Medienimperium und nebenbei noch eine Partei, die auf dem Boden der christdemokratischen, sozialdemokratischen und liberalen Eliten der Ersten Republik steht.
Das macht die Sache für die EU-Kommissare und die Gesellschaft der „Anständigen“ so schwer. Berlusconi ist ihresgleichen, ein Konzernherr wie jeder andere, mit dem Unterschied, dass er in die Politik gegangen ist, ohne seine Unternehmertätigkeit aufzugeben, und dass er dort einen Politikstil entwickelt hat, der alles, was Amerika bislang in dieser Richtung zu bieten hatte, in den Schatten stellt.
Dieser Politikstil ist autoritär und manipulativ, er ist eine Kampfansage an die politische Demokratie, und er scheut sich nicht, ein offenes Bündnis mit Faschisten dort einzugehen, wo es Not tut. Zwischen ihm und den Faschisten gibt es zwar einen qualitativen Unterschied (vor allem, was die reaktionäre Mobilisierung verelendeter kleinbürgerlicher und lumpenproletarischer Schichten angeht), aber es gibt keine Scheidelinie mehr: Der antifaschistische Konsens wird nicht die Verfassungsgrundlage des neuen Italien bleiben, und Berlusconi hat angekündigt, dass er die Verfassung ändern wird.
Der historische Revisionismus treibt auch jenseits der Alpen mit der Umdeutung des italienischen Faschismus, der Allianz mit Hitler und der antifaschistischen Resistenza lebhafte Blüten.
Teile des konservativen und liberalen Lagers haben in den 90er Jahren ihre Tore für elitäres und antidemokratisches Gedankengut weit aufgemacht. Sozialdemokraten und Linksliberale lügen sich was in die Tasche, wenn sie den Rechtsradikalismus nur bei militanten Schlägergruppen oder nestbeschmutzenden Parteien wähnen. Die kann man noch isolieren, wiewohl das bei einer Massenpartei wie der FPÖ schon schwer fällt.
Wenn die rechtsextremen und autoritären Kräfte aber als Bündnispartner der Konzernherrn und Teil einer neuen rechtsliberalen Formierung daherkommen, ist die Strategie der Ächtung am Ende; dann kann Mobilisierung gegen rechts nur noch Erfolg haben, wenn sie zugleich Mobilisierung gegen den Wirtschaftsliberalismus und die Konzernherrschaft ist.
Berlusconi verkörpert mehr als einen neuen konservativen Wahlerfolg nach einer Periode der Mitte-Links-Regierung. Berlusconi bietet der konservativen Rechten, die durch die Werteoffensive der Neoliberalen, die Erosion des Wohlfahrtsstaats und der nationalstaatlichen Ordnung und die Notwendigkeit der Europäischen Integration in eine Krise geraten ist, die Formel für eine neue Identität.
Die italienischen Zeitungen schrieben in diesem Zusammenhang, Forza Italia sei Ausdruck eines „neuen sozialen Blocks“. „Sozial“ ist vielleicht nicht ganz der richtige Ausdruck; aber das breite Bündnis, das Berlusconi von den Faschisten über die Lega Nord bis hin zu katholischen Fundamentalisten, Alt- und Neuliberalen und selbst den Überresten der Sozialistischen Partei zu schmieden wusste, zeugt nicht nur von taktischem Geschick und dem zielsicheren Einsatz von viel Geld. Berlusconi hat auch einen politischen Rahmen gefunden, in dem für jede dieser Kräfte eine Scheibe zu holen ist: Die Lega bekommt ihre „Devolu-tion“, d.h. die von ihr geforderte Verlagerung (von Teilen) zentralstaatlicher Gewalt in die Regionen; die katholischen Fundamentalisten die Stärkung der Beziehungen zum Vatikan und die staatliche Finanzierung katholischer Schulen; die Faschisten mehr Geld für den Süden, die Umschreibung der Verfassung und ein anderes Geschichtsbild; die Unternehmer eine Änderung des Arbeitsrechts und eine Schwächung der Gewerkschaften.
Über alles richtet eine Partei, Forza Italia, die im rechten Lager das Erbe der Democrazia Cristiana antritt und heute über ähnlich hohe Wahlanteile verfügt wie sie. Der wichtigste Unterschied zu ihr: es ist keine Volkspartei mehr.
Berlusconi wird für die europäische Rechte ein Modell werden; die zerstrittene französische Rechte lehrt er die Politik der Einheit, die CDU den Abschied von der Volkspartei. Sein Wahlerfolg zeigt, wohin die Reise in Europa geht, wenn die Jospin, Blair und Schröder einmal ähnlich abgewirtschaftet haben werden wie die ausgehende Mitte-Links-Regierung in Rom.
Diese Linke, die sich um der Beteiligung an der Macht willen von ihren solidarischen Wurzeln verabschiedet hat und zum linken Flankenschutz des neoliberalen Einheitsdenkens geworden ist, die eigenhändig und besser als die Konservativen die Grundlagen des Wohlfahrtsstaats zertrümmert hat, wundert sich jetzt, dass andere sie ablösen, die mit mehr Geld, Macht und Einfluss mehr Karrierechancen zu verteilen haben.
Es spricht Bände, dass es vor allem die Jugendlichen sind, die für Berlusconi gestimmt haben. Die Linke hat der Rechten den Boden bereitet, in jeder Beziehung: sie hat den Lohnabhängigen die Opfer abverlangt, die die Erfüllung der Maastricht-Kriterien und des EU-Stabilitätspakts verlangten, sie hat die Flexibilisierung des Arbeitsmarkts, die Aufkündigung der solidarischen Rentenversicherung, die Privatisierung der Staatsindustrie und der öffentlichen Dienste durchgesetzt, sie hat mit der staatlichen Finanzierung der Privatschulen begonnen, sie hat das Wahlgesetz geändert und das Mehrheitswahlrecht eingeführt, ohne das der neue Premier nicht Berlusconi heißen würde…
Auf all dem kann die neue Regierung jetzt aufbauen; einen Bruch wird es kaum auf wirtschaftlichem oder sozialem Gebiet geben, einen Bruch wird es auf kulturellem Gebiet und auf der Ebene der Verfassung geben. Hier wird Berlusconi ein neues System einführen. Und er wird neben seinen privaten nun auch noch die staatlichen Medien beherrschen, 100 Prozent – da wird es ein großes Stühlerücken geben und in vielen Bereichen keine alternative Öffentlichkeit mehr.
Aber noch ist Italien nicht verloren. Die Gesellschaft besteht aus mehr als den Instrumenten der Macht. Am 18.Mai organisierten über 80000 Metallarbeiter in mehreren italienischen Städten einen eintägigen Streik für einen neuen Tarifvertrag. 1994 ist Berlusconi auch daran gescheitert, dass die Gewerkschaften gegen ihn mobil gemacht haben. Das könnte sich wiederholen.
Dieser Text erschien auch in der SoZ, Nr.11/2001.
Angela Klein ist u.a. Redakteurin bei der
Sozialistischen Zeitung (SoZ) aus Köln.
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