aus telegraph 10/1989
vom 20. Dezember 1989
Eine der letzten Bastionen des alten poststalinistischen Systems kommt ins Kippeln – die Knäste. Hinter den Mauern der modernen Hochsicherheitstrakte oder der kalten Backsteinbauten entwickelte sich ein einsamer Widerstand der Häftlinge gegen die menschenunwürdigen Zustände daselbst. Arbeitsniederlegungen, Hungerstreiks und Krawalle im Knast – bis vor kurzem ein nicht auszusprechender Traum sind seit kurzem alltäglich. Die Inhaftierten fordern u.a. Generalamnestie (außer für Nazis, Sexualverbrecher), menschenwürdige Unterbringung, Reformierung des Strafvollzugs und der entsprechenden Gesetzgebungen, Bildung von Gefangenenräten zur Durchsetzung berechtigter Forderungen, bessere Verpflegung, freie Kommunikationswahl, Gewährung von Urlaub, weitreichende Besuchs- und Schreibmöglichkeiten, selbstständige Verwendung des durch die Strafgefangenen erarbeiteten Mehrwertes, Sicherung des Zutritts der Medien in die Knäste.
Wir haben in den letzten Jahren immer nur politische Gefangene unterstützt und freigekämpft und dabei die Situation in den Knästen zuwenig beachtet. Es wäre nötig, einen Blick nach Westeuropa, Lateinamerika…und auch in die Geschichte zu werfen. In den 20er Jahren schenkten vor allem Menschen aus verschiedenen linken Gruppen dem Strafvollzug große Aufmerksamkeit. Für sie war der Zustand im Knast Symptom für den Zustand der Gesellschaft. Zu den Forderungen der KPD für die Reformierung der Gefängnisse gehörten ein weitgehendes Selbstverwaltungsrecht der Gefangenen; Abschaffung des Zellensystems, der Sichtblenden und der Einzelhaft; die Aufhebung der Disziplinar- und Hausstrafen; das Recht auf uneingeschränkten persönlichen und schriftlichen Verkehr mit der Außenwelt sowie der Bezug von Büchern und Zeitschriften; die Möglichkeit, mit den Ehefrauen/männern oder FreundInnen Geschlechtsverkehr auszuüben; die Aufhebung von Gefangenenzwangsarbeit; Weiterbildung und Beschäftigung nach den geltenden Lohn- und Arbeitsbedingungen, um nur einige zu nennen. Und: die Offenlegung der staatlichen Berichte über die Strafanstalten,das Recht der Parlamentarier, Die Anstalten ohne Anmeldung zu betreten, sowie eine uneingeschränkte Pressekritik sollten einer Verselbständigung des Gefängnisregimes entgegenwirken und die Rechte der Gefangenen garantieren.
D.T.
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