Rosa, liebe Rosa – Zum 15. Januar

Aus telegraph 01/1990, vom 8. Januar

„Liebling, … Zwei Tage Ruhe mit Dir! ..“
Rosa Luxemburg an Paul Levi, Mai 1914

Keiner hat mehr nötig, unter amts-kommunistischen „Heiligen“ einen Kronzeugen dafür zu suchen, das Wort Freiheit mal in den Mund nehmen zu können. Gregor Gysi muß nicht mehr vor Gericht darum fechten, ob ein junger Mann mit jenem Satzfetzen von Rosa Luxemburg den Staat verleumdet hat oder nicht. Die Grenzen sind offen; wer am kommenden 15. Januar am Friedrichsfelder Mahnmal vorbeizieht, kann von den vereinigten Tugendwächtern nicht mehr gewogen und verdächtigt werden, damit nur die Ausreise in den Westen erstreiten zu wollen. Eine solche Nutzanwendung von Rosa Luxemburg hat es desöfteren gegeben – könnte sie aus dem atheistischen Himmel auf uns herabschauen, wäre sie bestimmt nicht traurig gewesen, daß es überhaupt noch jemand gab, der sie nicht in den Dreck zog zur Selbstverherrlichung eines byzantinischen Verbrecherkollegiums namens Politbüro, sondern sie zum Fanal machte für die Freiheit, und sei es nur die eigene. Von ihnen wurde sie noch immer geehrt, ebenso wie von denen, die vor zwei Jahren verhaftet wurden, weil sie an der offiziellen Demonstration teilnehmen wollten unter ihrer Fahne der Freiheit.

Rosa Luxemburg war bis heute eine Verfehmte – für die Sozialdemokra­ten wegen ihres revolutionären Geistes, ihres Internationalismus und ihres unbedingten Auftretens gegen den Krieg. Schlimmeres geschah ihr in den eigenen, kommunistischen Reihen. Schon auf dem Gründungskon­greß der KPD im damaligen preußischen Landtag vertrat sie eine Minderheit und erlitt in den wichtigsten Fragen Niederlagen. So wollte sie die neue Partei nicht „Kommunistische Partei“, sondern „Sozialistische Partei“ nennen, weil so besser „die Verbindung zwischen den Revolutionären des Ostens und den Sozialisten Westeu­ropas … herzustellen“ sei. Trotz ihres Eintretens für die Rätedemo­kratie als Grundlage für das neue Sozialistische Deutschland verlang­te sie die Beteiligung an den Wahlen zur Nationalversammlung. Sie kämpfte gegen das linke Sektierertum und wollte die Verbindung mit den „Revolutionären Obleuten“ der Berliner Metallindustrie. Die aber stellten die Beteiligung an den Wahlen zur Bedingung, wofür die Delegierten des Kongresses nur Hohngelächter hatten. Leo Jogiches, der lebenslange Mitstreiter Rosa Luxemburgs, wollte daraufhin den „ganzen Laden wieder auseinanderkloppen“.

Es war Rosa Luxemburg nicht mehr vergönnt, am Kampf gegen die links-sektiererischen Geburtsfehler der neuen Partei teilzunehmen. Am 15. Januar 1919 wurde sie von der „Wilmersdorfer Bürgerwehr“ ins Hotel Adlon, den Sitz des Stabes der Gardekavallerie-Schützendivision verschleppt, dort vom Jäger Runge mit dem Gewehrkolben schwer mißhandelt, bewußtlos in ein Auto geworfen, vom Oberleutnant Vogel erschossen und auf dessen Befehl in den Landwehrkanal geworfen.

Das wahre und eigentliche Martyrium von Rosa Luxemburg aber begann nach ihrem Tode. Es liegt in der politischen Leichenschändung durch die Partei, die zu gründen sie mitgeholfen hatte. 1920 wurde ihr letzter überlebender Freund Paul Levi wegen „Disziplinbruchs“ ausgeschlossen, weil er es gewagt hatte, in der Broschüre „Unser Weg – Wider den Putschismus“ die sogenannte Märzaktion zu kritisieren, die von Emissären der Kommunistischen Internationale angeordnet worden war und in der hunderte von revolutionären Arbeitern sinnlos ihr Leben verloren. Die nun herrschende Vorstellung, man könnte die revolutionäre Arbeiterbewegung von einer Zentrale aus kommandieren wie eine Armee, sie mal in diese, mal in jene Richtung schwenken lassen, war ein Hohn auf das politische Vermächtnis von Rosa Luxem­burg. Schlimmer, viel schlimmer kam es, als diese proletarische Armee unter den Einfluß Stalins geriet und gegen den größeren Teil der Arbeiterbewegung getrieben wurde, der unter sozialdemokratischem Einfluß stand. Der zerstörerische Bruderkrieg der Arbeiterbewegung, von den sozialdemokratischen Führern nach besten Kräften gefördert und benutzt, wirkte demoralisierend auf die Millionen von Arbeitern, die der Bewegung zugehörten und ihre Hoffnungen auf sie setzen. Er bahnte nur dem Aufsteig des Faschismus den Weg.

In dieser Zeit geriet auch Rosa Luxemburg selbst in das Kreuzfeuer der Stalinisten. Der „Luxemburgismus“ war bald ebenso verleumdet und bekämpft wie der „Trotzkismus“. Wie lebendig und gefährlich mußte die tote Rosa Luxemburg den moskowitischen Totengräbern des Sozialismus erscheinen. Ihre frühe Kritik am Leninschen Kommandosystem in der Partei der Bolschewiki, ihr uneingeschränktes Ja zur Demokratie und zum „überschäumendem Leben“, ihr Vertrauen in die „Massen“ und ihr Haß auf die Apparatschiks, ihre Kritik an der Vernichtung der Demokratie in der jungen Sowjetunion – ihr ganzes politisches Leben bildete eine Gefahr für jene „unfehlbaren Führer“, die die revolutio­näre Arbeiterbewegung erst politisch in die Katastrophe stürzten, um dann in der Welle des stalinistischen Terrors daranzugehen, ihre Vertreter auch physisch zu vernichten.

Die Hohepriester der realsozialistischen Amtskirche im „ersten Arbeiter-und-Bauern-Staat auf deutschem Boden“ erklärten Rosa Luxemburg schließlich zur Erzheiligen, der zu huldigen nur ihnen selbst vorbehalten war. Niemend freilich eignete sich weniger zum Ikonenkult wie Rosa Luxemburg. Immerhin gab es ja ihre sehr lebendi­gen Schriften, darunter jene zur russichen Revolution, in der sie mit wunderbarer Hellsicht voraussagte, wie sich das revolutionäre Regime zur Diktatur „im rein bürgerlichen Sinne“ entwickeln wird. Im Gefängnis geschrieben, verweigerte die Führung des Spartakusbundes schon 1918 den Abdruck dieser Schrift, zur erheblichen Verbitterung der Autorin. Sie beugte sich, übersandte die Broschüre aber durch ihre Sekretärin Mathilde Jacob an Paul Levi mit der Bemerkung, wenn sie nur ihn damit überzeugen könne, sei die Arbeit nicht vergeblich gewesen. Levi hat sich später durch eigene bittere Erfahrungen von der Berechtigung der Position Rosa Luxemburgs überzeugen können. Nach seinem Ausschluß aus der KPD veröffentlichte er die Schrift im Jahre 1922. Die KP-Führung konterte mit der Behauptung, Rosa Luxemburg habe ihre Position nach Haftentlassung durch gründliches Studium der russischen Probleme geändert und selbst eine Veröffentlichung der Schrift nicht mehr gewollt. Diese Version wird auch heute noch in der DDR-Geschichtsschreibung vertreten. Levi widersprach. Rosa Luxemburg habe dafür überhaupt keine Gelegenheit gehabt und gegenüber dem „Komissar für Bolschewismus“, Karl Radek, nur Ekel empfunden. Levi wörtlich: „Viel bezeichnender als da, wo sie sich mit Unmut äußerte, sind ihre Worte da, wo sie mit einer großen Sympatie sprach. Sie sprach mit mir – es wird wohl am Heiligabend 1918 gewesen sein – lange über Dsirschinsky, von dem sie mit größter Achtung und Sympatie sprach. Sie schloß dann, sie fühle sich gewissermaßen befleckt dadurch, daß es Dsirschinky sei, der alle Dinge drüben mit seinem Namen decke.“

Wohl war: Der Stalinismus hat später das Andenken an Rosa Luxemburg noch viel stärker befleckt, als jener anfängliche „rote Terror“, mit dem die Bolschewiki sich an der Macht zu behaupten suchten. Daran ändert auch nichts die Veröffentlichung ihrer Schriften 1976 in der DDR, die beinahe mehr Anmerkungen enthalten als Text von Rosa selbst.

Und trotzdem: Im riesigen Ozean aus Blut und Tränen, in all der Verzweiflung und Bitterkeit ist der Name von Rosa Luxemburg bis heute ein Zeichen der Hoffnung und des Vertrauens geblieben, auch für viele, die ihre Überzeugungen nicht teilen. Sie war eine große revolutionäre Sozialistin, die ihre Kraft nicht zuletzt aus der Liebe gewann, die sie dem nächsten und dem fernsten Menschen wie dem Leben überhaupt entgegenbrachte. Einundsiebzig Jahre sind seit der schreck­lichen Tat im Berliner Tiergarten vergangen. In diesem Jahr 1990 haben wir einen besonderen Grund, uns vor ihr zu verneigen.

Die Antwortbriefe von Paul Levi sind leider nicht erhalten. Sie könnten beginnen mit:

„Rosa, liebe Rosa …“

p.s. Sollte Gysi am kommenden Sonntag auf der Kundgebung zu Ehren Rosa Luxemburgs sprechen, wollen wir nicht über seine politische Berechtigung dazu sprechen. Wir wollen aber erinnern an eine Schuld, die dieser Staat denen gegenüber abzutragen hat, die vor zwei Jahren ebenso wie Mielke und Honecker, dafür aber mir den Ideen Rosa Luxemburgs in Friedrichsfelde demonstrieren wollten, aber vorher abgefangen, verhaftet und verurteilt (oder in den Westen abgeschoben) wurden und bis heute als vorbestraft gelten. Wer waren damals die Täter – und wer waren die Opfer?

p.h.

© telegraph. Vervielfältigung nur mit Genehmigung des telegraph