Zwei Beispiele
aus telegraph 02/1990, vom 22. Januar
Im DDR-Gesundheitswesen gärt es; das beweist nicht zuletzt die Berliner Demonstration vom vergangenen Samstag. Hier zwei Beispiele:
Im Ambulatorium Adlershof arbeiten 33 Ärzte, Schwestern und MTA´s. Davon waren 31 Mitglied des FDGB. Bereits im September trat eine Kinderärztin aus. Die große Austrittswelle kam aber erst im Januar, als gleich 12 KollegInnen den FDGB verließen. Grund waren die Überbrückungsgelder, die mit Billigung der FDGB-Führung an ehemalige Mitarbeiter der Stasi-Nasi gezahlt werden sollten. Was aber soll nun werden aus der Gewerkschaft? Die Noch Mitglieder setzten sich zusammen und entschieden, zunächst in ihr zu verbleiben. Ohne eine starke gewerkschaftliche Vertretung gegenüber den staatlichen Stellen und den ärztlichen Leitern könne es nicht gehen. Wie, so die Kollegen, soll denn jeder einzeln seine Interessen vertreten? Außerdem müsse man die Kontrolle behalten über die gewerkschaftlichen Einrichtungen, insbesondere die Ferienheime. Ihre Schlußfolgerung: erst mal bleiben wir im FDGB, aber nicht bedingungslos. Sie beschlossen, nur den Mindestbeitrag von fünfzig Pfennigen abzuführen, um Mitglied bleiben zu können. Außerdem wollen sie an der Treptower Vollversammlung teilnehmen, die am 31. Januar stattfinden wird. Eine Vertrauensfrau für die BGL wollen sie erst mal nicht wählen, sondern von Fall zu Fall entscheiden, wer sie gegenüber der Leitung vertritt. Wichtig ist für sie der FDGB-Kongreß, der am 16. Februar stattfinden soll. Wenn dort nicht auch durch die Personalentscheidungen und demokratische Strukturen klargestellt wird, daß der FDGB in Zukunft eine freie und v.a. von Politik und Parteien unabhängige Interessenvertretung sein wird, werden sie den FDGB verlassen. Ihre Forderungen lauten: Mehr Urlaub, denn die Schwestern bekommen bisher nur 18 Tage. Die Bezahlung, so die KollegInnen, müsse der in der Industrie angeglichen werden. Das betrift auch die Besteuerung, denn in der Industrie muß ein Arbeiter sieben Prozent abführen, im Gesundheitswesen zwanzig Prozent. Daß die Gehälter der Ärzte verdoppelt oder verdreifacht werden, wie jetzt die Regierung anbietet, befindet sich nicht unter den Forderungen aus dem Ambulatorium Adlershof.
Das zweite Beispiel stammt aus Marzahn. Dort trafen sich am 5. Januar die KollegInnen der bezirklichen Rehabilitationseinrichtungen für Behinderte auf einer Vollversammlung. Sie sprachen sich dafür aus, ihre Interessenvertretungen nicht mehr innerhalb der BGL wahrzunehmen, sondern eine eigene Vertretung zu gründen. Besonders die aus dem FDGB ausgetretenen KollegInnen waren der Meinung, daß dies nur ein Betriebsrat sein könne, der alle vertritt, ob sie nun Gewerkschaftsmitglieder sind oder nicht. Sie verfaßten einen Aufruf und luden zu einem vorbereitenden Treffen ein. In dem Aufruf hieß es: „Wir müssen nicht nur eine Neuordnung in den oberen Regierungskreisen erreichen, sondern auch in unseren Einrichtungen.“ Weiter hieß es: „Ein Blick in die Geschichte zeigt, daß auf dem Gebiet der DDR nach 1945 auch Betriebsräte existierten, die dann vom FDGB „geschluckt“ wurden. Jetzt zeigt sich, daß wir wieder Betriebräte brauchen.“ Es gehe im Augenblick nicht um eine prinzipielle Entscheidung für BGL oder Betriebsrat, sondern um die Sache: die Interessensvertretung aller KollegInnen.
Zu dem Treffen kamen über sechzig KollegInnen. Sie waren sich einig, so schnell wie möglich einen Betriebsrat zu wählen nach dem Prinzip, daß jede Einrichtung seinen eigenen Vertreter wählt und in den Betriebsrat entsendet. Auf dem Treffen waren auch Mitglieder der staatlichen Leitung anwesend sowie FDGB-Vertreter, die gegen einen Betriebsrat sprachen. Ihr Argument war, daß für Betriebsräte noch keine gesetzlichen Regelungen bestehen. Das konnte die KollegInnen aber nicht irritieren. Sie werden ihren Betriebsrat auf jeden Fall wählen.
Übrigens: Auch die Mitarbeiter der kirchlichen Stephanus-Stiftung sind dabei, einen Betriebsrat zu gründen, ebenso die KollegInnen des Reha-Zentrums Köpenick.
p.h.
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