aus telegraph 5/1990
vom 15. März 1990
Nicht nur im Prenzlauer Berg arbeiten Westberliner Immobilienfirmen und Ostberliner Behörden Hand in Hand
Ein neuer Begriff ist aus Westberlin nach Ostberlin heruebergekommen, die „sanfte Stadterneuerung“ und profiliert sich mit bunten Ausstellungen. Und während die regionalen Runden Tische in Berlin von Beteiligung von Bürgern und selbstverwalteten Betrieben träumen, haben die gewendeten Funktionäre der Kommunalen Wohnungsverwaltungen und der Stadtbezirksverwaltungen längst begriffen, um was es wirklich geht und gieren auf profitable Abschlüsse. Westberliner Immobilienfirmen haben schnell das Geschäft gerochen, das mit zugrunde gerichteten Städten zu machen ist und traten reihenweise bei den Stadtverwaltungen an.
Im Berliner Stadtbezirk Prenzlauer Berg ist jetzt ein besonders gravierender Fall aufgeflogen. Die Firma Data Domizil, selbst nach Westberliner Massstäben ein unseriöses Unternehmen, verhandelte mit dem Leiter der KWV, Thiele. In einer Absichtserklärung zu Händen des Stadtbezirksbürgermeisters Schulze erörtert die Firma die Umrisse des künftigen Unternehmens „Joint Venture Grundstückverwaltung GmBH“. Das Eigentum soll in der Hand einer Aktiengesellschaft liegen, die „vorerst“ staatlicher Besitz wäre, In der Verwaltungsgesellschaft sollen auf Seiten der DDR „leitende Persönlichkeiten aus der Direktion des VEB Kommunale Wohnungsverwaltung Prenzlauer Berg“ teilnehmen, die 50% der Geschäftsanteile vertreten. Die Verwaltung der volkseigenen Häuser des Stadtbezirks, etwa 60% der vorhandenen Grundstücke, 40.000-50.000 Wohneinheiten,
soll natürlich kostendeckend geschehen, ohne Subventionierung der Mieten. „Es ist“, heisst es wörtlich, „anzustreben, dass innerhalb eines Übergangszeitraumes von ca. 1 Jahr die Mieten das etwa 4 bis 5-fache des heutigen Niveaus erreichen.“ Selbst unter Berücksichtigung der niedrigen Einkommen in der DDR sei ein Mietpreis bis 300,- Mark zumutbar, etwa 4,- bis 6,- Mark je Quadratmeter. Zugleich ist die Reduzierung des Personals der KWV mit Hilfe modernster Technik geplant. Die Baubetriebe der KWV sollen privatisiert werden. Vorgeschlagen wird, dass etwa die Hälfte des Wohnungsbestandes, vorrangig leer- und teilleerstehende Objekte an kapitalkräftige Dritte verkauft oder verpachtet wird.
Diese Vorstellungen sind übrigens nach marktwirtschaftlich-kapitalistischen Verhältnissen durchaus normal. In diesem Fall kommt aber hinzu, dass die Firma Data-Domizil in Westberlin in der Vergangenheit durch besonders rücksichtsloses Benehmen gegenüber Mietern aufgefallen ist und auch in ihrem sonstigen Geschäftsgebahren immer hart am Rande der Legalität entlangsegelt. Rechtswidrige Räumung, Schlampige Sanierung, Einsatz von Schwarzarbeitern, Unregelmässigkeiten bei der Abrechnung öffentlicher Gelder, Schaffung vollendeter Tatsachen, Bedrohung von Mietern und Firmen sind Normalität. Die Firma ist das, was man im Westen eine Abschreibungsgesellschaft nennt.
In diesem besonders gravierenden Fall kam es glücklicherweise nicht zum Vertragsabschluss. Nachdem der Rat des Stadtbezirks aus Westberlin zahlreiche Warnungen erhalten hatte, liess das Neue Forum am Runden Tisch des Stadtbezirks mit einer Fülle von Material die Angelegenheit platzen. Der Chef der KWV, Thiele, leugnete Stein und Bein. Er habe lediglich informierende Gespräche geführt. An einen Abschluss sei nicht gedacht gewesen, dazu fehlten ja auch die Rechtsgrundlagen. Ein Schuldnachweis war, wie so oft, nicht möglich.
Immerhin aber fiel auch dem Runden Tisch auf, dass ein direkter Zusammenhang mit der auffallenden Zurückhaltung der KWV bei der Vergabe von Räumen an selbstverwaltete Projekte und Gewerbetreibende bestehen könnte. In jedem Fall dürfte bei den Verantwortlichen die Überlegung massgebend sein, dass sie unter marktwirtschaftlichen Verhältnissen in einigen Monaten einen weit besseren Schnitt machen können.
Der Stadtbezirk Prenzlauer Berg ist kein Einzelfall. In Berlin Köpenick agiert die Firma Klingbeil. Genauere Informationen haben wir über die Vorgänge in Berlin-Friedrichsain, wo es offenbar schon zu weitergehenden Verbindungen mit einer Nachfolgefirma der berüchtigten Immobilienfirma Neue Heimat, der „WIR“, gekommen ist. Die Friedrichshainer KWV muss einige Bedingungen erfüllen, um das Geschäft für die Neue Heimat lukrativ zu machen. Die zur Debatte stehenden Häuser müssen vorher saniert werden. „Natürlich“ durch die KWV. Die Masssstäbe wiederum setzt die WIR. So zum Beispiel in
der Niederbarnim, der Mainzer und der Kreutziger Strasse. Hier läuft schon die Projektierung und der Bau. Die Erdgeschosse, die ersten Etagen, die Dachböden und die Fassaden werden in BRD-Standard restauriert und in Gewerberäume, Büroräume und Atelierwohnungen umgewandelt. Die anderen Etagen werden nach billigstem DDR-Standard saniert. In diesen billigen Wohnungen sollen später – und das erscheint in erster Betrachtung völlig unklar – die noch in Kreuzberg lebenden AusländerInnen einziehen.
Wenn man die derzeitigen politischen Bestrebungen betrachtet, geht jedem ein Licht auf. Bei einer Vereinigung beider Teile der Stadt wird Kreuzberg Stadtzentrum. In diesem Fall soll, so die Planung des Westberliner Senats, Kreuzberg völlig neu strukturiert und im Zuge der sogenannten „behutsamen Stadterneuerung“ ein teures Schicki-Micki-Viertel werden. Diesen Plänen ist die grösstenteils türkische Bevölkerung im Wege. Also müssen sie weg. In den Ostteil der Stadt. Die dann nach oben schiessenden Mieten können sie sich sowieso nicht leisten. Auch die Kreuzberger Armutsbevölkerung (Obdachlose, Sozialempfänger) müssen dann weichen. Anzunehmen ist auch, dass bei der Realisierung dieses Planes versucht wird, die
Kreuzberger Links- und Alternativszene zu zerschlagen.
d.w., r.l.
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