Inkompetenz und Nichtbeachtung

aus telegraph 5/1990
vom 15. März 1990

Das Berliner Bürgerkomitee zur Auflösung der Stasi wird von der Regierung erfolgreich sabotiert

„Ich will meine Akte“, ist immer noch in der Ruschestrasse gegenüber dem ehemaligen Stasi-Komplex zu lesen. An Vertreter des Bürgerkomitees gerichtet, wird aber eine derartige Forderung bestenfalls noch mit einem müden Lächeln quittiert.

Während die Verordnung des Ministerrates vom 8.2.90 Aufgaben und Rechte des (Regierungs-)Komitees zur Auflösung des Amtes für Nationale Sicherheit detailiert regelt, bleiben die Bürgerkomitees in dieser Regelung dort, wo es von der Ministerialbürokratie schon immer hingewünscht wird: nämlich draussen.

Und so fristen die Bürger zunehmend ein Schattendasein zwischen Inkompetenz und Nichtbeachtung. Unklar sind rechtliche Befugnisse, sofern deutlich gefordert, unklar auch arbeitsrechtliche Absicherungen, die auf mehr als Hobby-Tätigkeit von Gnaden der sich marktwirtschaftlich einschiessenden Betriebe hinausgehen.

Stichwort Rechentechnik Wuhlheide
Als der CAX-Cluster, der Computer der Hauptabteilung Funkabwehr/Funkaufklärung mit ca. Gibabyte Plattenspeicher zu kontrollieren war, hätte Robotron schon ein paar Leute bereitstellen können. Aber dann hätte die Regierung (Auskunft von Dr. Stabrey) vielleicht doch etwas mehr als eine „Freistellung für gesellschaftliche Zwecke“ (a la
Pfingsttreffen) springen lassen müssen. Also wurden die Speichergeräte ohne Kontrolle an den Rechtsnachfolger, einen DDR-Betrieb, übergeben. War wohl schon alles gelöscht.

Stichwort Hauptverwaltung Aufklärung
Wird nicht vom Bürgerkomitee kontrolliert. Gibt es aber trotzdem. Nachdem vom Innenminister die Nichtneugründung eines Verfassungsschutzes/Nachrichtendienstes verkündet worden war, Anfrage bei der Regierung.

Auskunft a): Das Bürgerkomitee kontrolliert alles. Wennnicht, hat es das Gegenteil zu beweisen.

Auskunft b): Es gibt einen Beschluss des Runden Tisches vom 23.2.90. Schriftlich? Momentan kein Exemplar da. Aber – bitte keine Sorgen machen, alles in Butter.

Schliesslich Anfrage bei der Hauptverwaltung Aufklärung: Wir lösen uns auf. Weitere Informationen beim Regierungskomitee.

Stichwort Gosen
Ein wunderschöner Atombunker mit seinem Inventar vom Asbestanzug bis zum Zählrohr. Prima als Atomkrieg-Abschreckungsmuseum geeignet. Mitarbeiter des Museums für Deutsche Geschichte sind interessiert.

Nur leider: der Regierungsbeauftragte für Gebäude ist krank. Und kein Vertreter da. Keine Telefonnumnmer bekannt. Der Staatsanwalt verspricht binnen zwei Tagen eine Zutrittsgenehmigung.

Nach zwei Tagen: leider vergessen.

Natürlich gibt es auch Bereiche im Bürgerkomitee, wo alles etwas besser funktioniert. Während Herr Oberdorf, der Chef der Bürgerkomitee-Objektwache gen Feierabend seinen Fahrer zu bestellen pflegt, steht dem Koordinator eine Vorzimmerdame zur Verfügung.

Typische Äusserung: Bitten nicht stören, Herr Gill telefoniert.

Muss Macht süss sein.

r.b.

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