aus telegraph 5/1990
vom 15. März 1990
Wie wir erfuhren, stellt die Regierung der DDR in den letzten Monaten den Wendehälsen einen ungewöhnlichen Service zur Verfügung. Die
Kaderakten in Ministerien und Universitäten und dem Fernsehen der DDR werden von den Mitarbeitern neu ausgefüllt. Neu zu schreiben ist
beispielsweise der Lebenslauf. Aber auch die Personalbögen sollen neu ausgefüllt werden. Weggelassen werden Anfragen nach Parteien- und Organisationszugehörigkeiten, Angaben über die Verwandtschaft, frühere Wohnungen und ähnliches. Angeblich geht es dabei um eine
Angleichung der Personalakten an westliche Rechtsverhältnisse. Verschiedene Anfragen, die bisher beantwortet werden mussten,
vertrügen sich nicht mit den Anliegen des Personenschutzes.
Auffällig ist aber, dass die Aktion bis zum 15. bzw. 20. März beendet sein soll, also noch vor dem Regierungswechsel. Weit nahelie-
gender dürfte also die Annahme sein, dass mit Hilfe der Aktion dunkle Spuren in der Vergangenheit noch verbliebener Wendehälse
getilgt werden sollen, wie z.B. Zugehörigkeit zur Staatssicherheit, zur SED oder sonstiger inkriminierter Organisationen. Nach dem 20.
März werden so, dank der Tatkraft des Regierung Modrow, alle Mitarbeiter von Ministerien, schuldig oder unschuldig, die gleiche
blütenweisse Kaderakte haben.
r.l.
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