aus telegraph 9/1989
vom 29. November 1989
Heftige Auseinandersetzungen auf dem 6. Berliner Ökologieseminar
Immerhin das eine hat die Westberliner „Tageszeitung“ (TAZ) gegenüber anderen westlichen und östlichen Medien begriffen, daß die am vergangenen Freitag gegründete Grüne Partei und die am Sonntag konstituierte Grüne Liga zwei völlig gegensätzliche Gründungen sind. Wenn dann einer der Gründerväter der DDR-Grünen, Mario Hamel, mit der Bemerkung zitiert wird, „die Funktionäre (des Kulturbunds) fürchten die Konferenz“, so werden damit die Dinge auf den Kopf gestellt. Die Grüne Partei wurde nämlich, nach einem ersten gescheiterten Anlauf vor Wochen, einfach ohne Rückfrage den Teilnehmern des 6. Berliner Ökologieseminars vor die Nase gesetzt. „Natürlich“, hieß es in der Pressekonferenz, „gibt es Bestrebungen gegen die Gründung einer Grünen Partei. Das ist der Grund, warum wir die Gründung schon vorher bekanntgeben, die erst nachher erfolgt, um überflüssige Diskussionen, ob es eine Grüne Partei gibt, zu verhindern. Wir machen das einfach. Wir setzen die Grüne Partei.“ In der Tat wurde dann dem Ökologieseminar in möglichster Ungeschicktheit die vollendete Tatsache mitgeteilt. Einhellige Forderungen aus dem Saal nach einer sofortigen Diskussion („Das ist das Verfahren, das wir seit 40 Jahren erlebt haben“, „Wir sind offenbar der Füllstof für die Selbstdarstellung dieser Herren“) wurden von den Vertretern der Grünen Partei und der parteilichen Diskussionsleitung abgeblockt. Dazu kamen weitere ungeschickte Eitelkeiten: „Das müssen Sie schon uns überlassen, was wir vorlesen und was nicht.“ „Da nützt kein Schreien und kein Buh-Rufen, die Grüne Partei wird es mit oder ohne Zustimmung derer geben, die dagegen sind.“ Entgegen Anträgen zur Geschäftsordnung, über die Angelegenheit zu diskutieren schob die Diskussionsleitung Grußadressen internationaler Gäste für die Grüne Partei ein. Viele verließen empört den Saal. Immerhin gelang es den Vertretern internationaler Grüner Parteien erfolgreich zu suggerieren, daß es keine Alternativen zu einer Parteienvertretung in Parlamenten gebe. Einen basisdemokratischen Ansatz gab es ehestens bei den Grünen Gruppen Dresdens. Sie wollen als Bewegung die existierenden Parteien unter Druck setzen. Es war schon beschämend, wie schnell sich die Versammlung mit dem Geschehenen abgab.
Auch ansonsten charakterisiert sich, soweit das auf der Pressekonferenz sichtbar wurde, das Gründungskomitee der Grünen Partei durch unglaubliche Verwaschenheit und Dilletantismus. Um nicht allzu peinliche Einzelheiten zu erwähnen, zur Charakterisierung ein immerhin inhaltliches Statement, das bewußter Mario Hamel der TAZ gab: Der Ausstieg aus der Atomenergie müsse wahrscheinlich auch gegen die neuen Parteien durchgesetzt werden. Wegen der Umweltzerstörung durch die Braunkohleverarbeitung sei die Kernergie jedoch vorläufig unverzichtbar.
Diese Partei wird nicht einmal eine Sturm- und Drangzeit haben wie die westdeutschen Grünen. Sie ist (wenigstens was das Gründungskomitee betrifft) als politischer Greis, als Kopfgeburt von Konjunkturrittern auf die Welt gekommen und wird sich bald meistbietend verschachern. In einer Erklärung des Umweltbundes der Grüne Liga, heißt es: „Die Gründung einer Grünen Partei zum gegenwärtigen Zeitpunkt, noch dazu ohne Konsultation der gesamten grünen Basis des Landes, mit dilletantischer und unausgewogener Programmatik und auf die von den Initiatoren praktizierte unfaire, egoistische Art und Weise spaltet objektiv die Grüne Bewegung.“
Die Gründung der Grünen Liga steht natürlich nicht von vornherein im Gegensatz zur Grünen Partei und ist auch nicht als basisdemokratische Alternative zur Grünen Partei geplant worden. Schon seit dem Frühjahr haben sich die Gruppen der Gesellschaft für Natur und Umwelt von ihren staatlichen Bevormundern zunehmend abgenabelt und in den letzten Wochen die Gründung eines Umweltbundes vorbereitet. Hinzu kamen eine Reihe von kirchlichen Umweltgruppen. Das Netzwerk Arche scheint sich an der Frage Grüne Partei oder Grüne Liga zu spalten. Im Gründungsaufruf wendet sich die Grüne Liga „an alle bereits bestehenden und die sich neu bildenden Gruppen… ,sich unter Bewahrung ihrer Eigenständigkeit, Identität und ihrer lokalen Wirksamkeit… einzubringen“. Das parteiunabhängige Aktionsbündnis soll als Netzwerk aufgebaut werden. Die Vernetzung übernehmen bezirksweise Koordinierungsstellen. Eine provisorische Geschäftsstelle wurde in Potsdam eingerichtet. Das Gründungstreffen wird am 3. Februar 1990 stattfinden. Orginellerweise sollen die Bezirke der DDR proporzmäßig nach ihrer Einwohnerzahl vertreten werden, sodaß beispielsweise Dresden 54, Cottbus 26 und Erfurt 37 Delegierte schicken kann.
Überhaupt war für den Beobachter das strikte Bestreben der Grünen Liga um Beachtung der Forderung aller interessierten Gruppen auffallend. Daß mit Dresdner und Leipziger Gruppen kein Konsens über Finanzierung und Mitgliedschaft zu erreichen war, rief nicht nur Unwillen, sondern viel Verständnis hervor: diese Leute sind vom Zentralismus gebrannte Kinder und möchten aus Fehlern lernen. Eine hoffnungsvolle Entwicklung.
Im Folgenden für Interessierte die Adressen der Koordinierungsstellen der Grünen Liga. An diese Adressen sollen Vorschläge für Statut und Struktur und Anmeldungen für das Gründungstreffen gerichtet werden:
Bezirk Rostock: Thomas Brückmann, W.-Pieck-Ring 13/15 B III-1504, Rostock, 2500
Bezirk Schwerin: Klaus Schlüter, Voßstr. 41, Schwerin, 2754
Bezirk Neubrandenburg: Karl-Heinz Engel, Leibnizstr. 3/73, Neubrandenburg, 2000
Bezirk Potsdam und provisorische Geschäftsstelle: Matthias Platzeck, Turnstr. 4, Potsdam, 1590
Bezirk Magdeburg: Antje Wilde, Lumumbastr. 22, Magdeburg, 3034
Berlin: Gisela Henze, Scharnweberstr. 14, Berlin, 1035, Helmut Geppe, E.-Wichert-Str. 14, Berlin 1150
Bezirk Frankfurt/Oder: Reinhart Schade, Marienhöhe 8/9, Bad Saarow, 1242
Bezirk Cottbus: Harald Wilken, Erfurter Str. 25, Cottbus, 7500
Bezirk Dresden: Koordinierungsbüro der Grünen Gruppen Dresden, C.-D.-Friedrich-Str. 5, Dresden, 8020
Bezirk Halle: Jürgen Bernt-Bäll, Günter-Mayr-Str. 3, Halle, 4014
Bezirk Leipzig: Lutz Lochau, Ökolöwe – Leipziger Umweltbund, Burgstr. 1-5, Leipzig, 7010, PF 1355
Bezirk Erfurt: Andre Vandreike, Johannisstr. 6-12, Eisenach, 5900
Bezirk Suhl: Andreas Nußmann, Leninring 48, Suhl, 6018
Bezirk Gera: Till Noack, K.-Kollwitz-Str. 19, Jena, 6900
Bezirk Karl-Marx-Stadt: Jörg Riethausen, Draisdorfer Str. 12, Karl-Marx-Stadt, 9082
© telegraph. Vervielfältigung nur mit Genehmigung des telegraph