Unfähigkeit, Sachzwänge oder Sabotage?
aus telegraph telegraph 7/1990 von Wolfgang Rüddenklau
„Stopt die Mafia im Rat!“ ruft eine Inschrift an einem Laden im Berliner Stadtbezirk Prenzlauer Berg den Passanten zu. Wir hatten bereits über dubiose Verbindungen zwischen den Räten der Ostberliner Stadtbezirke und Westberliner Immobilienfirmen berichtet. Im Stadtbezirk Prenzlauer Berg versuchte die selbst nach Westberliner Verhältnissen unseriöse Firma Data Domizil Fuß zu fassen, was allerdings insbesondere durch die Intervention des Neuen Forum nicht gelang. Ein Nachweis, daß sich Mitglieder des Rates des Stadtbezirks Prenzlauer Berg auf nähere Beziehungen zu dieser oder einer anderen Firma eingelassen hatten, gelang damals nicht. Und das, obwohl klar stand, daß sowohl Gewerbetreibende als auch Bürgerinitiativen und andere gesellschaftliche Organisationen seit Monaten vom Stadtrat für Wohnungsangelegenheiten Wiesicke konsequent an der Nase herumgeführt wurden. Jener Stadtrat Wiesicke übrigens, dies ist eine besondere Delikatesse, war zuvor Stadtrat für Innere Angelegenheiten. Mit fast schon bewundernswerter Glätte konnte er sich bis dato sämtlichen Vorwürfen aus seiner früheren Amtszeit entziehen, obwohl alle Indizien auf eine gravierende Beteiligung an Wahlfälschungen und Stasiaktionen gegen Bürger deuten.
Auch nachdem der Runde Tisch des Stadtbezirks in eine Gewerberaumkommission eigene Beobachter entsandt hatte, ist die Vergabe der größtenteils leerstehenden Erdgeschoßzonen im Prenzlauer Berg noch nicht in Gang gekommen. Das liegt zum einen an objektiven Schwierigkeiten. Betrieben, die seit Jahrzehnten Ladenräume als billigen Lagerraum für irgendwelches Gerümpel nutzen, kann nicht gekündigt werden. Hinzu kommt, daß sich die Kommunale Wohnungsverwaltung nicht in der Lage zeigt, der Gewerberaumkommission die zu einer kompetenten Entscheidung erforderlichen Daten zu liefern.
Hier beginnen aber schon wieder subjektive Momente. Der Beobachter kann sich nicht dem Verdacht entziehen, daß die KWV sehr bewußt als sabotierendes Element eingesetzt wird. Eigenartig bleibt es auch, daß die Gewerberaumkommission sich am Telefon verleugnen läßt und Antragsteller an die KWV weiterreicht, wo sie dann endgültig rausge- schmissen werden. Sollte hier durch eine vielarmige Krake die Vergabe eines Großteils der Gewerberäume bis zu dem Zeitpunkt verschoben werden, an dem westliche Firmen den Zugriff bekommen?
Ein eigenartiges Spiel führt auch der Stadtbezirksarzt Dr. Lengsfeld durch. Medizinische Mitarbeiter aus einer Reihe von Polikliniken und Krankenhäusern informierten den Runden Tisch, daß einer Information von Lengsfeld folgend, Ärzte und Zahnärzte in jedem Fall vor dem 18. März einen Antrag auf eine ärztliche Niederlassung stellen sollten. Niemand wisse, wie es weitergehe, hieß es, und ob es nach dem 18. März noch Geldgeber für die bisherigen medizinischen Einrichtungen gebe. Prompt konnte Dr. Lengsfeld dem Runden Tisch mit einer riesigen Anzahl von Anträgen auf Privatpraxen aufwarten. Auf die Enthüllung der medizinischen Mitarbeiter reagierte er hektisch, kam aber schließlich mit der Entschuldigung, er habe für den Fall einer Umstellung für die weitere Beschäftigung der bisherigen Ärzte sorgen wollen.
Das ist natürlich möglich. Ebensogut ist aber möglich, daß Dr. Lengsfeld den Runden Tisch demnächst mit der Nachricht vom Zusammenbruch des bisherigen medizinischen Systems infolge allgemeiner Privatisierungstendenzen überraschen wollte und zunächst erfolgreich die Blockade von Gewerberäumen betreibt. Sollten also doch diejenigen recht haben, die im Rat des Stadtbezirks Prenzlauer Berg eine Mafia vermuten, die sowohl im Auftrage westlicher Interessenten als auch zum Wohle ehemaliger Stasimitarbeiter tätig ist?
r.l.