Die neue und alte Polizeitaktik: Blind gegen die Rechten, scharf gegen die Linken

Ein fast alltäglicher Vorgang

aus telegraph 10/1990
von Wolfgang Rüddenklau

Fast schäme ich mich, das zuzugeben: Es war der erste Faschistenüberfall, den ich selbst und als Betroffener erlebt habe. Und dabei handelte sich es eigentlich nur um 20 zufällig vorbeikommende Hooligans, die vermutlich im Gefolge eines Kneipenabends auf die blendende Idee gekommen waren, als Ausgleichssport noch ein bißchen Randale zu betreiben.

So schmissen sie denn am 23. Mai gegen 24.00 einige Fenster des besetzten Hauses in der Ostberliner Kastanienallee 86 ein und schossen aus einer Gaspistole mehrere Tränengaspatronen ins Treppenhaus ab. Die HausbewohnerInnen versuchten die Nazis zu vertreiben, indem sie Flaschen und Gläser aus dem Haus warfen.

Als die Polizei, reichlich spät, mit 3 Toniwagen und einem überfallwagen erschien, enteilten die Helden des Terrors. Die Polizisten fanden aber keinen Grund ihnen hinterherzufahren. Vielmehr war ihre erste Frage an einen Punk: „Haben Sie Arbeit?“. Der Einsatzleiter meinte, zerbrochene Fensterscheiben seien keine Straftat, sondern eine Ordnungswidrigkeit, die nur vom Besitzer des Hauses eingeklagt werden könnte. Im übrigen verfolge man schon deshalb nicht, „weil uns diese Bürger bekannt sind.“ Auch der Einsatz einer Gaspistole sei nicht strafbar. Seit eineinhalb Monaten zählten Gaspistolen nämlich nicht mehr als Schußwaffe. Strafbar sei das Abschießen von Gasmunition nur, wenn dabei jemand verletzt würde.

Analog verlief ein überfall am nächsten Tag von diesmal 30 Hooligans auf die Kastanienallee 86. Nur, daß in diesem Fall die Feuerwehr ziemlich schnell erschien und tatsächlich die durch einen Molotow-Coktail der Nazis in Brand gesetzte Haustür löschte. Die Polizei fand auch an diesem Tag keinen Grund, die Nazis zu verfolgen.

Dafür waltete die Polizei am 23. Mai umso eifriger ihres Amtes, als sie gegen 17.30 das besetzte Haus in der Berliner Schönhauser Allee 5 stürmte. Mit einem LO und einem Barkass und mit Helm, Schildern und Knüppeln bewaffnet führten sie eine „Maßnahme im Zuge der Ermittlungen gegen einen illegalen Radiosender“ durch. Gemeint war offenbar „Radio Prenzlauer Berg“ (Ukw 105,8 Mittwoch, Freitag, Samstag ab 17.00), das während der Durchsuchung der Schönhauser 5 ganz gemütlich weitersendete und die Aktion der Polizei beschrieb und kommentierte. In sinnloser Wut brachen die Polizisten verschlossene Türen auf, zerstörten mutwillig Einrichtungsgegenstände, suchten in Kühlschränken nach dem Piratensender und zogen Schriftstücke ein.

Positiv könnte man sagen, daß Innenminister Diestel dem Prenzlberger Piratensender einen großen Reklameerfolg beschert hat.
Auf Dauer gibt aber das vom Innenminister veranlaßte neue alte Verhalten der Polizei Anlaß zur Sorge. Mit Stirnrunzeln hat schon mancher den Polizeifilm betrachtet, mit dem vor Wochen das Innenministerium das Ausräumen von Nazihäusern vorführte. Nazi hin, Nazi her, als ich die Skins mit erhobenen Armen die Treppe herunterkommen sah, mußte ich an meine eigene Verhaftung und Verhaftungen von Freunden denken und hatte den Verdacht, daß hier mit Hilfe des Schlages gegen die Nazis die Wiedereinführung der alten Repressionstaktiken gegen die Bürger entschuldigt werden soll. Als das Schlußbild des Polizeifilmes das „Besetzt“-Plakat des Hauses in der Totale zeigte, wurde der Verdacht zur Gewißheit.

Inzwischen sitzen die Nazis wieder unangefochten in ihren zu Festungen ausgebauten Häusern, von denen sie, Gerüchten zufolge, sogar eins gekauft haben sollen. Falls ihnen das auch mit den übrigen gelingen sollte, sind sie fast aller Sorgen enthoben, denn das Eigentum wird in Zukunft in diesem Lande Nationalheiligtum werden.

Das Schlimme ist ja, daß das Problem sich nicht auf die Person Diestel reduzieren läßt. Vielmehr müssen wir sogar in der Gestalt dieses besonders dummen und ungeschickten Innenministers eine Art Fügung Gottes sehen. Mit seiner unüberlegten massenhaften Einstellung von Stasi-Leuten hat er sich sogar den Zorn seiner eigenen Parteigenossen zugezogen. Er spricht das laut aus ,was andere hinter verschlossenen Türen denken und planen: daß die neuen Herrschaftsverhältnisse nur mit alten Methoden eingeführt und stabilisiert werden können. Nicht weil er falsch denkt, sondern weil er zuviel redet und gewisse Klippen nicht geschmeidig genug umschifft, wird Diestel früher oder später durch einen geschickteren Drachenkopf ausgewechselt werden.

Was hier eingeübt wurde, vornehme Zurückhaltung gegenüber Naziterror und umso eifrigeres Zuschlagen gegen Leute, die auch nur im Verdacht sind, links zu stehen, wird mit oder ohne Distel nur zu bald richtig durchorganisiert werden. Schon hat die SPD (ja natürlich auch die) auf Berliner Magistratsebene die Räumung aller für die Rekonstruktion vorgesehenen besetzten Häuser angekündigt, schon wird in wieder staatsfrommen Medien wie dem Deutschen Fernsehfunk und der „Jungen Welt“ die Kriminalisierung von Linken und Bürgerbewegungen eingeübt, und dummerweise nehmen die solcherart Angezählten auch jede Provokation auf und verhalten sich wünschenswert ungeschickt.

Schlechte Aussichten beispielsweise für jungen Leute, die in volkseigenen Häusern das beginnen wollen, was ihnen 40 Jahre lang verboten wurde, eine neue Art von Gemeinschaft ohne Repression gegeneinander und von Seiten der Außenwelt. Sie werden halt die Barrikaden vor ihren Haustüren verstärken, noch mehr Gasmasken und Feuerlöscher anschaffen müssen, bis sich dereinst Herr Diestel oder ein anderer Herr ihrer ständigen Anspannung erbarmt und sie mit Hilfe des bis an die Zähne aufgerüsteten Polizeiapparats endgültig räumt. Und das wird erst der Anfang sein… Falls wir uns nicht schleinigst auf die Socken machen und etwas Entschiedenes dagegen tun.

r.l.