aus telegraph 10/1990
von Wolfgang Rüddenklau
Als einer, der seit Jahren die Versuche zu neue bestimmten Kommunikationszentren in Ostberlin und anderswo erlebt und zum Teil mitgemacht hat, finde ich den obigen Beitrag undifferenziert und dogmatisch. Nichts gegen die Aktionen der „Autonomia creativa“, aber der andere und weit schwierigere Versuch scheint mit doch der zu sein, in einer hierarchischen und kapitalistischen Gesellschaft selbstbestimmte Projekte aufzubauen. Und eben das ist nach allen Erfahrungen keine ganz einfache Sache, wie sich gerade bei den Kneipen zeigt. Das liegt zunächst, wie mir scheint, am Publikum:
Die „Szene“ in Berlin und anderswo besteht gar nicht überwiegend aus politisch aktiven Leuten, sondern meistens aus irgendwie kleidungsmäßig oder kulturell, oder sonstwie vom Gefühl her oppositionellen Menschen. Die meisten suchen sich in der Szene eine Nische, in der sie besser als in der übrigen Gesellschaft überleben können. Der Ausbruch aus der Gesellschaft hat in den meisten Fällen nur zu einem Kult der eigenen Persönlichkeit, zum Egozentrismus gereicht. Daß Freiheit und Verantwortung zusammenhängen, daß Verzicht auf persönliche Vorteile zugunsten von Solidarität am Ende mehr persönliche Freiheit in einer Solidargemeinschaft bringt – das haben sie nicht begriffen und werden sie in den meisten Fällen auch auf Dauer nicht begreifen.
Szene-Cafes wurden und werden von diesen Leuten nicht wegen irgendwelcher politischer Inhalte oder aus Solidaritätsgefühl besucht, sondern wegen der größeren Freiräume, die dort zu finden sind. Entsprechend benehmen sie sich auch. Sie zerschlagen Stühle, Tische und Geschirr oder nehmen mit, was nicht niet- und nagelfest ist. Die Betreiber der Cafes, die mit eben diesem Publikum konfrontiert sind, reagieren entsprechend. Entweder gibt die Cafe- Gruppe nach kurzer Zeit auf oder sie versucht, den unangenehmen Teil des Publikums loszuwerden, beispielsweise über Stop des Bierverkaufs, wie das bei Kirche von Unten wiederholt geschehen ist. Damit ist aber die Zahl derjenigen, die Stammgäste werden, eng begrenzt und eine Bezahlung von Mitarbeitern fällt aus. Das begrenzt natürlich wieder das Durchhaltevermögen. Andere – und das sind die meisten der Szene-Cafes – versuchen den auf Dauer erlahmenden Idealismus durch entsprechende Bezahlung der Mitarbeiter auszugleichen und geben das und das zerschlagene Inventar über die Preise an das Publikum weiter.
Hinzu kommen die Schwierigkeiten der Organisation von selbstbestimmter Arbeit in den Cafes und nicht nur dort. Wenn niemand Chef ist und niemand herumkommandiert, glauben die meisten Mitarbeiter, jetzt brauchen sie nur das machen, wozu sie gerade Lust haben. Demzufolge erscheint auf Dauer manchmal gar niemand, meistens sehr viel später, die Kasse stimmt nicht, das Publikum wird nachlässig und unfreundlich behandelt, etc.. Wo die neue Art von Selbstbestimmung und Selbstdisziplin, zumal unter Bedingungen verschärften wirtschaftlichen Drucks von kommerziellen Unternehmen, nicht schnell gelernt wird, geht das Cafe schnell den Bach herunter. Die meisten Szene-Cafes in Berlin und Dresden haben den anderen Ausweg gewählt: Es gibt wieder Bosse und harte hierarchische Strukturen.
Kein Zweifel, die jetzt in Berlin und anderswo entstandenen Szene- Cafes sind in vielen Fällen nicht unsere Cafes – keine Begegnungs- stätten einer beginnenden solidarischen Gesellschaft. Aber wer darüber meckert, müßte nachdenken, wie es aus den Fehlern zu lernen wäre und solche Cafes besser und anders gemacht werden können. Gesucht wird eine Form von nichthierarchischen selbstverwalteten Strukturen, die auf Dauer durchhaltbar, zum Beispiel auch wirtschaftlich selbsttragend ist, ein solidarisches Publikum bevorzugt, das andere aber auch nicht ausgrenzt und vielleicht auch noch ein Stück Sozialisation leistet. Kein Zweifel, daß solche Projekte in kapitalistischer Umgebung nur sehr schwer aufzubauen sind. Aber am Gelingen einer solchen alternativen Wirtschaftsstruktur wenigstens im Kleinen hängt zum großen Teil unsere Existenzberechtigung als Basisbewegung.
r.l.