Ein Informant des MfS packt über Praktiken der Bespitzelung, Denunzierung und Privilegierung aus
aus telegraph 3/1990
Zum Apparat der ehemaligen Staatssicherheit, der einer gründlichen Offenlegung bedarf, gehörten Informanten in allen Ebenen. Die Überwachung war so perfekt, daß manch einer nicht mehr seinen nächsten Mitmenschen traute. Von verschiedenen Blättern, unter anderem der „Freien Erde“, wurde ein Gesprächsprotokoll mit einem Karl-Marx-Städter Stasi-Spitzel abgedruckt, das wir hier in Auszügen wiedergeben. Der Gesprächspartner war Rüdiger Knechtel, der Spitzel will namentlich nicht erwähnt werden.
Können Sie mir etwas über ihre Aufgaben als Informant des MfS sagen?
Ich war acht Jahre bei der Evangelischen Kirche tätig, hier lag meine Hauptaufgabe. Das MfS wollte von mir Infos über kirchliche Veranstal¬tungen, aber auch über kirchliche Mitarbeiter haben.
Wie sah das konkret aus?
Die wollten zum Beispiel wissen, welche Laster diese Leute hatten, ich meine Alkoholprobleme, wie die Ehe ging, sexuelle Fehltritte und so weiter. Laster interessieren am meisten…
Sie sagten mir, daß Sie als Erwachsener getauft worden sind. Sind Sie gläubig?
Nein. Das mit der Taufe kam von der Stasi. Es wäre besser für meinen Dienst, wurde mir gesagt…
Sind Sie von der Stasi für Ihre Informationen belohnt worden?
Ja, das war aber ganz unterschiedlich und unregelmäßig. Reich werden konnte ich dabei nicht. Mal gab’s 200 Mark, mal weniger. Meistens bekam ich irgendwelche Waren wie ein Kaffeeservice oder eine Pyramide und so weiter.
Gab es auch andere Formen der Belohnung?
Oft waren das auch nur kleine Vorteile im täglichen Leben. Als wir mal in den Urlaub fahren wollten und unser Auto kaputt war, hat uns die Stasi in den Harz gefahren. Oder wenn ich unbedingt einen Termin für die Werkstatt brauchte, da genügte ein Anruf vom MfS. Da muß aber die Werkstatt mitspielen!
Ich sagte Ihnen doch: die hatten überall ihre Informanten drin, im Betrieb, in der Abteilung, im Haus, in der Schule, in der Kirche, überall.
Das MfS soll 100.000 Spitzel gehabt haben?
Das ist ein Lacher! Das reicht nicht mal für Berlin…
Sie erzählten mir von Schmierereien auf dem Michaelis-Friedhof. Können Sie das näher erläutern?
Das war im Juni 1983. Die Michaelisgemeinde hat sich um die Punker gekümmert, das paßte der Stasi nicht. Sie wollte einen Keil dazwischen treiben. Da wurden mit einer schwerlöslichen Chlor-Kautschuk Farbe Gräber, Pfarrhaus und Kirche beschmiert. Die drei, die das gemacht haben, hießen Pitt, Karl-Heinz und Steffen. Natürlich nicht mit dem richtigen Namen. Steffen war der Chef.
Was hat man denn auf die Grabsteine geschmiert?
Punksymbole, das A mit dem Kreis. Und pornographische Sachen.
Wissen Sie, was Sie damit sagen?
Selbstverständlich! Die sind für noch ganz andere Schmiereien verantwortlich…
Wie hat sich ihre Tätigkeit als Informant des MfS auf Ihre Familie ausgewirkt?
Man hat kein Privatleben mehr. Die wollen alles wissen, mit wem man geschlafen hat, wer meine Freunde und Bekannten sind, mit wem man sich an der Ecke unterhalten hat, alles! Es gibt nichts, was die nicht interessiert hat! Das ist furchtbar. Und meine Frau hat dann durchgedreht.
Können Sie das mal näher beschreiben?
Wir fühlten uns ständig beobachtet. Mir hat das weniger ausgemacht, aber meine Frau, die nicht für den MfS arbeitete, bekam auf einmal Verfolgungswahn. Die hat dann erzählt, sie würde von der Stasi verfolgt. Das ging dann soweit, daß sie nicht mehr wußte, was sie tat. Sie wollte zum Fenster herausstürzen, lief fast unbekleidet auf der Straße rum.
Was geschah darauf?
Für das MfS war sie ein Sicherheitsrisiko, sie mußte weg in die Nervenklinik. Für ein Jahr, von 1987-88.
Ist sie heute darüber hinweg?
Nein, leider nicht. Sie muß regelmäßig ihre Tabletten schlucken, Haloperidol und so’n Zeug…
Glauben Sie, daß sich die Stasi vollständig aufgelöst hat?
Niemals! So eine straff organisierte Truppe stirbt nicht nach drei Monaten Wende! Sie arbeiten im Untergrund weiter und warten auf ihre Chance!