aus telegraph 3/1990
von Wolfgang Rüddenklau
Schkopau am 3. Februar. Eine alte Straßenbahn ächzt über vermorschende Gleise. Die Häuser sind mit einem dunkel-silbrigen Film überzogen. Inschriften auf Straßenschilder sind teilweise weggeätzt. Stechende Luft hüllt uns ein, als wir am Haupttor der Chemischen Werke Buna aussteigen. Ein dünner Dunstschleier liegt über dem Land.
Hier, im Klubhaus der Buna-Werke, gewissermaßen vor Ort, findet der Gründungskongreß der Grünen Liga statt, eine der interessantesten Bürgerbewegungen des Landes.
Schon im Januar 1989 putschten die Stadtökologiegruppen gegen den Kulturbund und vernetzten sich untereinander. Zusammen mit kirchlichen Umweltgruppen wurde auf dem Berliner Ökologieseminar im November zur Gründung der Grünen Liga aufgerufen. Im Unterschied zur Grünen Partei und anderen Parteien ist die Grüne Liga ein Bündnis von starken lokalen Gruppen, die auf ihre Unabhängigkeit bedacht sind. Basisdemokratie ist hier kein Anspruch, sondern Notwendigkeit.
Entsprechend kompliziert waren auch die Verhandlungen im Buna Klubhaus um das Statut der Grünen Liga. Bewundernswert die Diskussionsleiterin, die es verstand, all die auseinanderlaufenden Ansprüche zusammenzufassen. Das ermüdende Hick-Hack von Geschäftsordnungsdebatten, Änderungsvorschlägen, Abstimmungen, Gegenvorschlägen ging von 15 bis 21 Uhr. Wer den mit verbrauchter Luft gefüllten Saal floh, wurde von dem erstickenden Gestank von Buna zurückgetrieben. Endlich konnte dann unter einem letzten ermattenden Applaus verkündet werden:
„Hiermit ist dann die Gründungsversammlung der Grünen Liga erfolg¬reich beendet.“
Interessanter waren die Programmpunkte, die nebenher liefen. Eine Reihe von Initiativen stellten sich vor. Angesichts der drohenden „Erschließung“ des Harzes durch den Westtourismus fordern eine Reihe von Gruppen einen Nationalpark Harz. Aber auch der Spreewald droht unter dem Ansturm von Touristen unterzugehen und soll teilweise ein Biosphärenreservat werden. Von einer trotz großartiger Regierungsverlautbarungen geplanten Sondermüllkippe für Westberlin und Westdeutschland bei Fürstenberg wußte eine andere Gruppe zu berichten. Auf Antrag einer Gruppe wurde vom Kongreß beschlossen, daß die Grüne Liga fordert, keinerlei Motorradrennen mehr in Naturschutzgebieten stattfinden zu lassen. Die Besetzung der Baustelle des Atommüllendlagers Gorleben in der BRD durch dortige Atomenergiegegner wurde von einer überwältigenden Mehrheit des Kongresses begrüßt. Vorgestellt wurde ein Umweltinstitut und der Jugendverband der Grünen Liga.
Zum Höhepunkt wurde dann noch die Rede Rudolph Bahros, der, mit größerem Erfolg als auf dem Parteitag der SED-PDS, seine Ideen eines Abschieds von der Industriegesellschaft vorstellte. „Industriegesellschaft“, sagte er, „bedeutet, daß wir tausende Tonnen Ressourcen und tausende Kilowatt in dieser Mühle vermüllern, bisherige Umweltschutz bedeutete, daß wir noch einmal tausende Tonnen und tausende Kilowatt zur Sanierung verwenden und damit weiter die Biosphäre belasten und den Boden aufwühlen. Dieser Teufelskreis muß endlich beendet werden.“ Bahro schlug einen Ökologiekongreß neuer Art vor, auf dem sowohl die Umweltprobleme des Landes analysiert werden, als auch Versuche zu einer Aufarbeitung der zugrundeliegenden falschen Denkschemata des Menschen gemacht werden.
Auf einer abschließenden Pressekonferenz wurden Rudolph Bahros Positionen als richtungsweisend bezeichnet. „Rudolph Bahros Ideen sind natürlich in der Bevölkerung nicht populär. Nicht alles, was Bahro sagt, entspricht unserer Meinung, aber es ordnet sich ein in die Meinungsfindung zu dieser Frage.“
Die Grüne Liga, hieß es weiter, nimmt nicht an den Volkskammerwahlen teil. Sie ist ein überparteiliches Bündnis und stellt ihr Wissen allen Parteien zur Verfügung. Dagegen ist eine Beteiligung an den Kommunalwahlen im Mai geplant.