Antimilitarismus überall

aus telegraph 3/1990
von Gerold Hildebrand

Regierungen versuchen mit partiellen Abrüstungsschritten unter der Maßgabe „Wir regeln das schon“ zu beruhigen. Teils folgen sie damit ökonomischen Gründen, teils bleibt ihnen gar keine andere Wahl nach der Legitimationskrise, in die das Militär mehr und mehr versinkt. Es gibt immer weniger gehorsame Untertanen, die sich für die Interessen der Militärs, Rüstungskonzerne oder Staatsfunktionäre mißbrauchen lassen wollen. Nach ersten Bankrottmeldungen kleinerer Rüstungsbetriebe ist allerdings mit verstärktem Widerstand der großen Konzerne zu rechnen. So wird z.B. in bestimmten abhängigen Medien behauptet, durch Abrüstung würde Arbeitslosigkeit verursacht, die um bestimmte Militärobjekte befindliche Infrastruktur bräche zusammen. Überlegungen zur Rüstungskonversion (Umstellung auf ökologische friedliche Produktion) bleiben dem Denken des militärisch-industriellen Komplexes fremd. In den (post-)stalinistischen Systemen wird versucht, die Verfügungsgewalt über den staatseigenen Bürger aufrechtzuerhalten mit dem Versuch, zivile Ersatzzwangsdienste einzuführen. Hierbei das Hauptargument, wie beim Verfassungsschutz: das gibt’s ja auch im „Westen“. Die Basisbewegungen fordern dagegen Abschaffung der Armeen und völlige Entmilitarisierung. Bislang allerdings noch ohne wirksame Massenbewegung.

SCHWEIZ
Zwei Wochen nachdem Ende November 1989 35,6% SchweizerInnen für eine Schweiz ohne Armee stimmten, wurde das Budget für Rüstungsausgaben im Parlament ohne Abstriche bewilligt. Neue F-18 Kampfflieger sollen angeschafft und ein neuer Waffenplatz gebaut werden. Schnell wurde auch ein Pseudozivildienst eingeführt, den es bislang auch hier nicht gab. Kriegsdienstverweigerer wurden bisher mit ca. 6 Monaten Haft bestraft. Jetzt sollen religiös und ethisch Motivierte zu 18 Monaten Arbeitsdienst verurteilt werden, politisch Motivierte zu 10-15 Monaten Knast. Die Betroffenen bereiten inzwischen das nächste Referendum gegen diese Regelung vor, aber auch die zweite Armeeabschaffungsinitiative. 7 Kriegsdienstverweigerer befinden sich z. Zt. im Knast – verurteilt zu 5 – 10 Monaten.

BRD
Im März 89 gründeten sich der „Bund für Soziale Verteidigung“ und die Initiative „BoA 2000“ (Bundesrepublik ohne Armee). Der Unterstützer¬kreis wächst, auch um Gruppen und Vereinigungen, die nicht der traditionellen Friedensbewegung zuzurechnen sind.
Die Zahl der Wehrdienstverweigerer stieg 1989 auf 77.432 (22,1% der Jahrgangsstärke der Wehrpflichtigen). Unter den Reservisten stieg der Anteil der Verweigerer sogar um 40,3% (nach taz, 30.1.90)
Derweil Kohl auf die DDR bezogen mit der Forderung „keine politischen Gefangenen“ wahlkampfwirksam zu brillieren verstand, sitzt z.B. Stefan Würth in der Justizvollzugsanstalt (Leschesflurweg 37, Saarbrücken, 6600) voraussichtlich bis Juli 90 ein.
Im Anschluß an seine neunmonatige Haftstrafe wegen politischen Widerstands in WAAckersdorf ist Stefan am 12. April 89 zu weiteren 10 Monaten wegen Zivildienstabbruchs verurteilt worden. Am 21. September 89 wurde er von einem Vollzugsbeamten geschlagen. Sein Protest wurde mit verschärftem Arrest beantwortet, obwohl er an einer Gehirnerschütterung litt. Daraufhin ging er in einen Durststreik.
Protestbriefe an die Anstaltsleitung (Direktor Hermann Kipper, gleiche Adresse) und Saar- Justizminister Arno Walter, Zähringer Str., Saarbrücken, 6600)

POLEN
Am 23. Oktober 89 gründete sich die antimilitaristische Bewegung „NON SERVIAM“ (Ich werde nicht dienen).
„Wir treten für die Abschaffung der Wehrpflicht, genauso wie die des Ersatzdienstes als ihre Folge ein. Die Abrüstung und die Abschaffung der Armee ist unser allernächstes Anliegen. Wir fordern Freilassung aller gefangenen Kriegsdienstverweigerer.“
Kontakt: Malgorzata Krukowska,50-045 Wroclaw, pl. PKWN 14/9
In ihrem Grundsatzpapier rufen sie weiterhin alle Länder zur völligen Abrüstung auf. „..Unter „Militarismus“ verstehen wir jede menschliche Aktivität, die einen Krieg unterstützt. Wehrdienst bedeutet nicht Dienst im Krieg, sondern am Krieg und beginnt nicht im Moment des Kriegsausbruchs, sondern bei seiner permanenten psychologischen, politischen und wirtschaftlichen Vorbereitung. Jeder Mensch hat das unabdingbare Recht auf Selbstbestimmung. Die Wehrdienstverweigerung folgt oft aus der Konsequenz früherer Widerstandsformen gegen institutionelle Formen der Gewalt des Staates und läßt sich am kürzesten im Satz „non serviam“ (ich werde nicht dienen) zusammenfassen. Die Wehrdienstverweigerung ist also nicht nur Akt einer persönlichen-privaten Haltung, sondern auch ein Ausdruck für soziale Änderungen. Wir drücken unseren moralischen und aktiven Widerspruch gegenüber dem Terror des Staates und der Entwürdigung unserer Persönlichkeit aus. Gewalt als Mittel zum Zweck wird von uns ausgeschlossen.“

SLOVENIEN/JUGOSLAVIEN
Von der slovenischen Gruppe People For Peace Culture wurde im Herbst 1989 ebenfalls eine Armeeabschaffungsinitiative begründet. Das Projekt „Slovenien- Entmilitarisierte Zone-Friedenszone“ fand bisher Unterstützung von verschiedenen neuen demokratischen politischen Gruppen wie auch Parteien, z.B. dem Sozialistischen Jugendverband (ZSMS), den Grünen und der Demokratischen Opposition Sloveniens (DEMOS). Kontakt: Marko Hren, People For Peace Culture, For Abolition of The Army, Iga Grudna 13, 61000 Ljubljana, Yugoslavia.

NIEDERLANDE
Hier gibt es vornehmlich Widerstand gegen Manöver im Wattenmeer und Tiefflugübungen, wobei auch die Solidarität mit den Innu, den kanadischen Ureinwohnern, nicht vergessen wird (NATO-Tiefflugübungen werden auf Grund des zunehmenden Widerstands in Europa mehr und mehr nach Kanada verlegt, außerdem lassen sich hier Rekordtiefen von 30 m erzielen – in Europa sind es 150 bis 75 m). Seit 1985 gibt es Militärsteuerverweigerungen, die erfolgenden Pfändungen werden für öffentlichkeitswirksame Aktionen genutzt.(z.B. ein Verkaufsstand auf dem Marktplatz: „Verkaufe Tisch und Bett wegen Anschaffung von Kriegsgerät“)
Seit 1971 besteht die „Vereinigung von Dienstverweigerern“, die ca. 1500 Mitglieder hat. 1981 konkretisierte sie ihre Ziele: Einsatz für eine sozialistische demokratische Gesellschaft ohne Militarismus, Gewalt und Unterdrückung; Streit gegen den Militarismus und Teilnahme an der antimilitaristischen Bewegung; Unterstützung der Belange der Militärdienst- und Totalverweigerer bei Einsatz gewaltfreier Mittel im gesetzlichen Rahmen. Bücher, Broschüren und eine zweimonatliche Illustrierte erscheinen im Selbstverlag, in dem auch 3 Zivildienstleistende beschäftigt sind /(was allerdings eine gewisse Abhängigkeit vom Staat bedeutet). Die ca. 300 aktiven Mitarbeiter sind alles unbezahlte Volontäre.
Musterungsverweigerung:
Ende Dezember 89 wurde Joost van Dijk ausgemustert mit der Begrün¬dung, er hätte ein „weibliches Charisma“ – Joost hatte sich mehrmals geweigert, zur Musterung zu erscheinen, weil er schon diesen Schritt nicht mit seinem Gewissen vereinbahren könne.

Totalverweigerung:
(dazu folgender Bericht von Erik d. G. aus Holland)
Am 22. November 89 wurde Robert Kleij, ein Künstler aus Groningen, verhaftet. „Roboodt“ (29 J.) verweigerte 1980 den Wehrdienst mit der Absicht, Zivildienst zu leisten. Das erste Gespräch mit der Gewissensprüfungskommission verweigerte er, weil es auf Militärgelände stattfinden sollte. Im November 1982 wurde ihm eine „individuelle Gewissensnot“ zuerkannt. Bei seinen Begegnungen mit der Anerkennungsinstanz wurde ihm immer deutlicher, daß der Zivildienst Teil des militärischen Systems ist. Außerdem bedeutet für totale Kriegsdienstverweigerer Ersatzdienst nur die Entpolitisierung ihrer antimilitaristischen Absicht. Nur für die Behörden, die den Ersatzdienst kreierten, um die bestehende Gesellschaftsordnung nicht zu gefährden, ist dieser eine Alternative. Es ist also ein Akt der repressiven Toleranz. Bei Totalverweigerung zeigen die Behörden ihre Brutalität: Totalverweigerer werden zu 12 Monaten verurteilt, von denen sie z.Zt. 8 absitzen müssen.
Roboodt wurde bei einer Aktion der antimilitaristischen Gruppe „Beeldenstorm“ verhaftet. Eine bekannte niederländische Künstlerin, Marthe Röling, stellt im Auftrag des Verteidigungsministeriums ein Triptychon über die Geschichte der niederländischen Luftwaffe her. Außer Geld erhielt sie dafür einen echten Starfighter als „Kunstob¬jekt“ für ihren Garten geliehen. (M.Röling über ihren Stargartenzwerg: „Ein Beispiel von Spitzendesign. Die Venus von Milo des 20. Jahrhunderts.“) Aus diesem Objekt wurde bei der „Beeldenstorm“-Aktion ein richtiges antimilitaristisches Kunstwerk:Als Sockel wurden die Vorderräder in Beton gegossen, es wurden Brüche (der Militarismus zerbricht), rote Dreiecke (als Zeichen der politischen Gefangenen) und blutige Schießscheiben auf das Flugzeug gemalt. Und: „Keinen Mann, keine Frau, keine Kunst für den Militarismus“. Nach einer Stunde wurde Roboodt verhaftet. Im Juli kommt er wieder raus, genau 10 Jahre nach seinem ersten Schritt als Wehrdienstverweigerer. Schreibt ihm: Robert Kleij, HvB Keizersgracht 4, 8911 KJ Leeuwaarden!

DDR
In altbewährter Manier erschien am 1. Februar 90 der Musterungsaufruf. Erste Musterungsverweigerer meldeten sich bereits. Beratung bietet der Freundeskreis Wehrdiensttotalverweigerer an: Jeden 1. und 3. Donnerstag 19 Uhr in der Französischen Friedrichsstadtkirche.