„Pamjat“ verbieten – „Vatra Romaneasca“ auflösen!
aus telegraph 12/1990
Die Revolutionen in Osteuropa haben die Diktaturen gestürzt. Die Völker Osteuropas üben sich in Demokratie. Tschechen und Slowaken begründen eine echte Föderation. Slowenen und Kroaten, Litauer und Esten fordern Selbstbestimmung. Die Sowjetunion und Jugoslawien zeigen Auflösungstendenzen. Doch neben Befreiung tritt neue Unterdrückung. Bisher tabuisierte Fremdenfeindlichkeit und Rassismus treten offen zutage: In Kosovo werden Albaner blutig unterdrückt. In Serbien werden unter dem Vorwand von Selbstbestimmung klassisch faschistische Strukturen aufgebaut, anscheinend unter dem Jubel der Mehrheit. Bulgariens Muslime erwarten weitere Pogrome. In der Slowakei werden Zwangssterilisationen von Roma-Frauen noch immer nicht eingestellt.
Oberschlesier und Ukrainer haben in Polen grosse Mühe, Nationalitätenrechte gegen den
dominierenden Chauvinismus durchzusetzen. Die Sorben der Lausitz klagen über Unverständnis und Feindseligkeit vieler deutscher Nachbarn. Die sowjetischen Armenier befürchten nach den Massakern in Sumgait eine Wiederholung des historischen Völkermordes durch Türken und Aserbaidschaner.
Selbst russische Minderheiten in Zentralasien und an der Moldau bangen um ihre Zukunft.
Unfassbar nach dem Holocaust zeigt sich überall das hässliche Gesicht des primitivsten
Antisemitismus; während in Polen, der DDR und Ungarn antisemitische Schmierereien die
Öffentlichkeit alarmieren, wurden in Rumänien und der Sowjetunion mit „Vatra Romaneasca“ und „Pamjat“ antisemitische Bewegungen mit Millionen Anhängern ins Leben gerufen, die offen zu Rassenhass und Judenverfolgung aufrufen.
„Pamjat“ – eine nationalsozialistische Ideologie
Anfang der 70er Jahre, während der Verfolgung jüdischer Dissidenten in der Breschnew-Ära, bildeten sich in der UdSSR von der obersten Führung geduldete antisemitische Gruppen. Erst mit dem Beginn der Perestroika trat deren Nachfolgeorganisation „Pamjat“ Anfang 1987 offen an die sowjetische Öffentlichkeit. Während sie vor einigen Jahren noch mit ökologischen Forderungen – wie mit dem Kampf gegen Flussumleitungen im Norden der Sowjetunion – Millionen Anhänger mobilisieren konnte, vertritt sie heute offener denn je eine dem deutschen Nationalsozialismus ähnliche Ideologie. Eine „weltweite jüdisch-freimaurerische Verschwörung“ hätte das Ziel, „die Menschheit Zion zu unterwerfen“. Dieser „Kosmopolitismus“ bedrohe die Nationalstaaten und insbesondere die russische
Kultur. Selbst die 1905 vom zaristischen Geheimdienst gefälschten „Protokolle der Weisen Zions“, wo die angebliche jüdische Weltverschwörung beschrieben ist, hat „Pamjat“ wieder ausgegraben. Für alles, für die stalinistischen Verbrechen wie für die gegenwärtige Krise, sollen die zweieinhalb Millionen sowjetischen Juden als Sündenbock dienen.
Allein in Moskau hat Pamjat nach eigenen Angaben 20.000 Mitglieder, zehntausende weitere sind über die ganze Sowjetunion verstreut. Pamjat wird von zahlreichen Organisationen mit ähnlicher Ausrichtung und von verschiedenen offiziellen Medien unterstützt. Zu ihnen gehört die Zeitung „Nasch sowremennik“, die in den letzten drei Jahren ihre Auflage auf fast eine Million verdoppeln konnte. In allen gesellschaftlichen Schichten bis hinein in die Organe von Partei und städtischer Verwaltung findet Pamjat Unterstützung, lässt sich zum Teil ausgeprägter Antisemitismus nachweisen. Selbst Gorbatschow nahm aus taktischen Gründen zwei Pamjat-Sympathisanten in den Präsidialrat auf, den Schriftsteller Valentin Rasputin und den Gründer der faschistisch orientierten „Vereinigten Arbeiterfront“, Venjamin Jarin.
Schon ist es zu einer Massenauswanderung sowjetischer Juden gekommen. Von 2,5 Millionen
sowjetischen Juden wollen eine Million das Land verlassen… Seit Jahresbeginn machen in Moskau und anderen Städten der Sowjetunion regelmässig Gerüchte die Runde, dass eine „Nacht der langen Messer“ bevorstehe. Unter anderem für den 5. Mai 1990 wurden Pogrome gegen Juden angekündigt.
Schwarze Listen werden geführt, in Treppenhäusern werden russische Mietparteien durch Aushänge aufgefordert, die Namen jüdischer Nachbarn einzutragen. Es ist kein Geheimnis mehr, dass Pamjat paramilitärische Einheiten unterhält; Überfälle auf Datschas jüdischer Intellektueller sind an der Tagesordnung. Pamjatvertreter demonstrieren in schwarzer Uniform mit Plakaten: „Juden raus aus Russland. Heute kommen wir mit Plakaten, morgen mit Gewehren.“
„Vatra Romaneasca“ schürt Rassen- und Völkerhass
Es ist der Augenblick gekommen, die Probleme der Minderheiten auf welche Weise auch immer, endgültig, unumkehrbar und sicher zu lösen. Leider wird der heilige rumänische Boden noch immer von den asiatischen Füssen der Hunnen, Zigeuner und anderen Lumpen besudelt. Vereinigt Euch, dass wir sie aus dem Lande jagen.“ – „Hinaus mit den Hunnen, hinaus mit den Zigeunern, die die Schande unserer Heimat sind! Wir möchten ein reines und grosses Rumänien. Habt keine Angst, schmutziges Blut zu vergiessen. Die Deutschen haben wir zum Teil bereits weggejagt … Tut alles, damit wir sie loswerden.“
So heisst es in dem Memorandum der neuen rechtsradikalen Organisation „Vatra Romaneasca“ vom 20. Februar 1990, die bereits mit mehreren Millionen Anhängern einen grossen Widerhall in Rumänien gefunden hat. Während die verbliebenen 200.000 Sachsen und Schwaben jetzt panikartig das Land verlassen, beklagt die nur noch 20.000 Seelen zählende jüdische Gemeinde, die bis 1945 Opfer des Holocausts durch deutsche und rumänische Faschisten war, schon Angriffe auf Synagogen. Während sich die jeweils zweieinhalb Millionen Angehörige zählenden Volksgruppen der Roma und der Ungarn
(„Hunnen“) in Parteien organisiert haben, haben auch Tausende von ihnen schon als Flüchtlinge das Land verlassen. Beobachter befürchten, dass die neue rumänische Regierung die rechtsradikale Organisation benutzt, um der Gewährung von Minderheitenrechten auszuweichen. Besorgniserregend sind die personellen Verflechtungen zwischen der „Vatra“ und der Regierung durch Ministerpräsident Petre Roman, dessen Staatssekretär Adrian Motiu und dem persönlichen Berater Iliescus, Eugen Magureanu. Zu den Führern der „Vatra“ zählt unter anderen auch der rumänische orthodoxe Bischof von Klausenburg Justinian Maramuresanul.
Nationalitätenkonflikte konstruktiv lösen
Nationalsozialismus und Stalinismus fanden in den 30er Jahren viele willige Helfer bei ihrem Werk der Zerstörung Osteuropas. Denn in fast allen osteuropäischen Staaten wurden Nationalitäten unterdrückt, bekämpften chauvinistische Bewegungen die nationalen Minderheiten. Es wäre absurd, würde sich am Ende unseres Jahrhunderts das Gegeneinander der Zwischenkriegsjahre wiederholen, würde die Chance des Umbruchs durch blinden Nationalismus verspielt. Es gilt, die Vielfalt der Nationalitäten und Völker Osteuropas konstruktiv in ein Europäisches Haus einzubringen.
Auch in Westeuropa bleibt manches Minderheitenproblem unbewältigt, kommt es zu rassistischen und antisemitischen Ausschreitungen. Doch in Katalonien und in Südtirol, in Nord- und Südschleswig, in Wales oder auf den Aland-Inseln wurden beispielhafte Lösungen für Sprachminderheiten und Nationalitäten geschaffen. Hier gilt es anzuknüpfen.
Die Gesellschaft für bedrohte Völker wird gemeinsam mit dem European Office for Lesser Used Languages bei der Europäischen Gemeinschaft und der Föderativen Union Europäischer Volksgruppen (FUEV) eine Kampagne beginnen.
(aus: Vierte Welt Aktuell Nr. 90)