DEMO GEGEN VEREIDIGUNG UND MILITÄR

aus telegraph 13/1990
von Gerold Hildebrand

Zum Vereidigungszeremoniell am 20. Juli im Strausberger Verteidigungsministerium waren auch Vertreter der antimilitaristischen Gruppen „Freundeskreis Wehrdiensttotalverweigerer“ und „Gewaltfrei leben“ erschienen. Erstere zeigten zwei Transparente „Jede Zeit hat ihren Eid – seid ihr schon wieder bereit?“ und „Entmilitarisierung
statt wiedervereinigte Armeen“. Die anderen hißten eine weiße Fahne am Eingang zum Ministerium – die Armee gibt auf. „Gewaltfrei leben“ – Aktivisten riefen dazu auf, an jedem Freitag 17.00 Uhr vor den Wehrkreiskommandos weiße Fahnen zu hissen und eine Mahnwache für Entmilitarisierung, Wehrpflicht – und Armeeabschaffung zu halten.
Die Aktion verlief, bis auf eine Umarmung des Totalverweigerers Frenzel durch Verteidigungsminister Eppelmann, ohne Zwischenfälle. Eppelmann zu seinem ehemaligen Arbeitskollegen im kirchlichen Dienst: „Es ist gut, daß ihr immer wieder für Diskussionsstoff sorgt.“

Einiges blieb fragwürdig bei dieser Vereidigung. Bewußt wurde der 20. Juli gewählt, um die NVA in die Tradition konservativer Militärs zu stellen, die ziemlich spät auf die Idee des Tyrannen­mordes kamen-fatale Erinnerungen kommen hoch: auch die SED benutzte ständig irgendwelche Persönlichkeiten zur Legitimierung ihrer Politik. Auch manche Wendungen wie „Disziplin“ und „Treue“ und „Schutz des Friedens und der DDR“ klingen sehr vertraut – letzteres bedeutet pikanterweise, daß die Soldaten im Falle der deutschen Vereinigung und Abschaffung der DDR zu den Waffen greifen müßten – sollte uns dies wirklich bevorstehen?

Im Tagesbefehl Eppelmanns zur Vereidigung heißt es, die Soldaten würden auf die Verteidigung des „Vaterlandes“ schwören. Eppelmann ist halt Mann. Und nach der Beliebtheit des Begriffes „Volk“ fehlt jetzt eigentlich nur noch der vorangestellte Begriff „Führer“ und das kleine positive Wörtchen „für“.

Eine Armeezeitung berichtete, daß hunderte Soldaten es abgelehnt
hatten, den militärischen Eid zu sprechen. Es wurde ihnen freige­stellt – Hauptsache sie bleiben bei der „Fahne“. Eppelmann als Pazifist und Christ sollte zudem die Bergpredigt kennen, worin Jesus sagt: „Ihr sollt nicht schwören!“

Von einer wirklichen Aufarbeitung der NVA-Gefolgschaft im SED-Staat ist keine Rede. Der Armee werden gar demokratische PersilªScheine ausgestellt, ob ihres Verhaltens im Herbst 89. Aber was ist mit den Befehlen gegenüber wehrpflichtigen Bereitschaftspolizisten, die genau vor einem Jahr bereits gegen Demonstranten eingesetzt wurden?
Bis auf hohle Worte von Demokratie hat sich nichts geändert. Eigenartig wie willig sich das zum Jahresende auflösende „Abrüstungs- und Verteidigungsministerium“ der DDR nur noch zum Erfüllungsgehilfen der Pläne bundesdeutscher Militärs macht.

Der Hinweis auf die Gewissenstäterschaft Stauffenbergs bleibt eine Farce, so lange Strafverfolgung für totale Kriegs- und Zwangs­dienstverweigerer vorgesehen ist.

g.h.