Zwischenspiel im Ost-Berliner Häuserrat
aus telegraph 13/1990
von Dietmar Wolf
Im siebenten Monat befindet er sich, der Ost-Berliner Häuserrat. Zeit für ein Zwischenresümee.
Im Januar waren es erst wenige besetzte Häuser, hauptsächlich in Prenzlauer Berg, denen klar war, daß nur ein Zusammenhalt untereinander die nötige starke Position gegenüber KWV und Magistrat schafft. Allwöchentlich traf Mann/Frau sich, tauschte Informationen aus, überlegte gemeinsame Aktionen, diskutierte Positionen.
Es war hauptsächlich als informelles Gremium gedacht, ohne Entscheidungsbefugnis, ohne Weisungsrecht gegenüber den Häusern. Das hatte zwar den Haken, daß Aktions- und Verhaltensvorschläge immer erst in die Häuser getragen wurden und nach dortiger Diskussion zurück zum Besetzerrat kamen, also ein kurzfristiges Handeln sehr schwer war, aber konnte so Zentralrat-Allüren und eine Verselbständigung des BesetzerInnenrates ausgeschlossen werden. Schon in den Anfängen der Besetzungen stießen Leute aus Westberlin hinzu, besetzten als Ost-West-Projekte z. B. die Kastanienallee 85/86, die Prenzlauer Allee 203/204 oder die Köpenicker 137. Sie paßten sich schnell den Verhältnissen des Ostens an und versuchten in diesen Beonderheiten klar zu kommen. Dann kamen die ersten reinen Westbesetzungen, z.B. Adalbertstraße. Auch hier erfolgte eine Annäherung an die OstberlinerInnen vorsichtig und weitgehend solidarisch. In dieser Zeit wurde immer klarer, daß die meisten Häuser mit ihren individuellen Verhandlungen nicht vorankamen („telegraph“ Nr. 10). Ende Februar/Anfang März kam dann als Problem die immer stärker werdenen Bedrohungen der Häuser durch Faschos und Fußball-Hooligans dazu. An diesem Punkt übernahm der Häuserrat erstmals koordinierenden Charakter: Häuserschutz, Fahrwachen, etc.. Am 17. März kam es nach dem Fußballspiel BFC-Energie Cottbus zum ersten massiven Angriff mehrerer hundert Nazi-Skins und Fußball-Hools auf das besetzte Haus Schönhauser Allee 20/21. Erstmals stießen sie aber auch auf organisierte Gegenwehr („telegraph“ Nr. 6). In dieser Zeit bekamen die Hausbesetzungen dann eine völlig neue Dimension. In der Kreutziger Str. besetzte eine Gruppe Ostberliner die Nr. 22 in der fast vollständig leeren Häuserzeile der Straße. Dies war die Reaktion auf Aktivitäten westlicher Spekulanten, Zugriff zu DDR-Bausubstanz zu gelangen. („telegraph“ Nr. 5,).
Da diesem Beispiel erst einmal keine weiteren Besetzungen
folgten, kam es zu einem Aufruf von Ost- und Westberliner Autonomen und den Besetzern der Kreutziger 22, für massive Besetzungen in diesem Gebiet. In den nächsten Wochen erfolgte Massenbesetzung in der Kreutziger und der Mainzer Straße. Die Hoffnungen der Aufrufer, weitere Ost-Westbesetzungen zu initiieren, wurden nicht erfüllt. Die Massenbesetzung wurde bis auf ein zweites Haus in der Kreutziger Straße in beiden Straßen nur von Westberlinern getragen. Das leitete auch eine neue Phase im Besetzerrat ein. Die informellen Strukturen veränderten sich immer mehr in organisatorische.
Der Anteil westberliner VertreterInnen im BesetzerInnenrat nahm sprunghaft zu. Im April kam es zu organisierten Aktionen gegen die Kommunale Wohnungsverwaltungen, Stadtbezirksräte, zu Gesamtforderungen und -verhandlungen, Kurzbesetzung der Stadtbezirksräte. Der Initiator war der BesetzerInnenrat. Der Druck war groß und die Behörden mußten einlenken. („telegraph“ Nr. 10). Als aber die Behörden bald darauf wieder zu Verschleppungen übergingen, schlugen die BesetzerInnen eine neue Taktik ein. Das Vertragsgremium entstand. Zusammen mit Rechtsanwälten wurde ein Rahmenvertragsentwurf der Häuser verfaßt und an den Kommunen vorbei zentrale Verhandlungen mit dem neuen Magistrat begonnen. Der BesetzerInnenrat nahm neue Gestalt an. Immer mehr Menschen kamen aus dem Westteil der Stadt und besetzten massenhaft Häuser im Ostteil.
Das blieb im Häuserrat nicht ohne Auswirkung. Das Verhältnis Ost-West kippte um. Viele OstberlinerInnen zogen sich entnervt zurück und gingen zu Einzelverhandlungen und -Verträgen über. Dazu zählten auch Erstaktivisten wie die Schönhauser Allee 20/21. Die Dominanz der WestberlinerInnen nahm zu. Das Vertragsgremium koppelte sich auf Betreiben vieler WestberlinerInnen vom Besetzerrat ab. Sein Einfluß auf dieses Gremium war damit Null.
Es besteht mittlerweile die Gefahr, daß sich der Häuserrat instrumentalisiert und bürokratisiert. Grund für diese Befürchtungen sind Forderungen vieler neu hinzugekommener BesetzerInnen nach Strukturen, weiteren „festen“ Arbeitsgruppen, Delegiertenprinzip, Besetzerrat als entscheidungsbefugtes übergeordnetes Ratsgremium, Schaffung von SprecherInnen und SchriftführerInnen. Für neu hinzukommende Häuser soll Bedingung der Teilnahme am Besetzerrat bzw. Vertragsgremium eine volle diskussionslose Akzeptanz des bisher Beschlossenen sein.
Erstaunlich ist nur, daß diese Forderungen hauptsächlich von WestberlinerInnen kommen, obwohl doch gerade diese aus autonomen Positionen heraus, also dezentralen, selbstbestimmten, selbstorganisierten Lebens- und Kampfformen und Ablehnung zentraler und hierarchischer Strukturen, derartige Dinge ablehnen. Bei vielen OstberlinerInnen stoßen diese Töne auf Grausen und lassen dunkelste Erinnerungen von 40 Jahren DDR wach werden. Noch ist hierbei das letzte Wort nicht gesprochen. Eins ist jedoch gewiß. Genau das wird der Knackpunkt sein, an dem sich festmacht, ob die WestberlinerInnen in nächster Zukunft im BesetzerInnenrat ganz alleine sind. Ostberliner VertreterInnen sind im Häuserrat schon jetzt mit der Lupe suchen.
d.w.