Schwarze Transparente

Das „System“, jede Herrschaft überhaupt, ist patriarchalisch und umweltverheerend. Da hilft kein Greenwashing, kein Purple-, Pink- und Genderwashing. Der „freie Markt“ regelt nichts, außer Geld und Leben von unten nach oben – so einfach funktioniert die Diktatur des Profits. Jede Macht bedeutet Mißbrauch.

Eine Gastkolumne von Bert Papenfuß

Im September 2021 findet in Deutschland eine Bundestagswahl statt. Als Protest gegen dieses volksverarschende Spektakel – nach einem enorme Ressourcen verschlingenden sogenannten „Wahlkampf“ – bieten sich schwarze Transparente an; für passionierte Schwenker auch Flaggen und Fahnen, für Rumkurver gerne auch Stander und Standarten, für notorische Spalierbilder sonstige Winkelemente, für „kriminelle“ Selbstbehaupter gegebenenfalls auch aus „robusten“ Materialien. Auf schwarzen Transparenten und sonstigen Lumpen, Lappen und Plakaten ohne jeden Text steht unsichtbar, aber unmittelbar: Wahlboykott, Generalstreik, Volksbewaffnung, Machtvernichtung, Vergesellschaftung.

Dieser Protest ist grundlegend antiautoritär und antietatistisch; er fordert Gerechtigkeit und Gleichheit durch Befreiung von Unterdrückung, Entfremdung und Ausbeutung. Das „Volk“ an sich ist von diesem Protest ausgeschlossen; einzelne Leute äußern – und solidarisieren – sich massenhaft. Einzelne Leute sind gut, und links, manche sogar link; das „Volk“ als solches ist schlecht, immer rechts, und hat niemals Recht. Ich bin kein Volk, gehöre keiner Nation an, bin kein „Staatsbürger“. Ich weiß, die meisten von uns haben Personalausweise, Reisepässe, Führerscheine (bzw. Fahrerlaubnisse) usw., zumindest Geburtsurkunden, Impfausweise usf. – das alles hat nichts zu bedeuten. Ihr wurdet gezwungen, diese Dokumente anzunehmen; werdet unter Druck gesetzt, weitere Dokumente anzunehmen, um zur Ausübung elementarer Bedürfnisse „befugt“ zu sein. – So ist das nun mal in einer Diktatur, die sich „Demokratie“ nennt, weil sich keiner empört.

„Untertanen“ entgegen einer „Obrigkeit“, die sich keiner Übergriffe schämt. „Unterdrückung“ und „Ausbeutung“ verstehen wohl nach 5.000 Jahren „Gesetzgebung“ alle; aber fast alle sind zu feige und zu faul, sich dagegen zu wehren. Das hat Gründe: „Entfremdung“ wird heutzutage durch mangelnde Bildung und Ausbildung, sowie den permanenten Zuschiß der analogen und digitalen Massenmedien erreicht, die durch Konsumzwang weiteres Wirtschaftswachstum anstacheln, das unsere natürlichen Ressourcen ein für allemal überschreitet. – Auch mediale Lügen sind wichtige Informationen, meist sprechen sie für sich, manchmal auch Bände; lest zwischen den Zeilen, Bits und Bytes, hört das Nichtgesagte, seht das Fehlende – oder ihr habt die Brille auf.

Der Begriff „Demokratie“ wird mittlerweile als Synonym für den „alternativlosen“ Kapitalismus verwendet. Aber Kapitalismus und Demokratie schließen sich gegenseitig aus; wenn alles käuflich ist, gibt es keine freie Mitbestimmung an der Basis, und auf jeder Stufe der gesellschaftlichen Hierarchie – neuerdings „System“ genannt – steigt die Korruption. Unverhohlen wird von der „bildungsfernen Unterschicht“ – gelegentlich auch von „Pack“ u. ä. – gesprochen; dieses „Lumpenproletariat“ ist um des puren Überlebens willen korrupt, das hat jedoch keine Auswirkungen auf die nächsthöheren Hierarchiestufen. Die gebildete Unterschicht, „Lumpenintelligenz“ genannt, hat Aufstiegschancen. Vereinzelte „Experten“ verkaufen ihren Arsch jedem Dahergelaufenen, der auch nur irgendwas bietet, jedenfalls nicht das meiste. Wenn sie in Amt und Würden gelangen, haben sie einen verheerenden Einfluß, besonders im Sektor Zuschiß, aber auch im Wissenschaftsgeschäft.

Der sogenannte „Mittelstand“ ist per se korrupt, denn er hat etwas zu verlieren, bzw. glaubt, etwas zu verlieren zu haben – und das hat gravierenden und entwürdigenden Einfluß auf die „bildungsferne Unterschicht“, obwohl beide Gruppierungen Lohnsklaven sind, die von der Hand in den Mund leben. Diese 90 % der Bevölkerung sind die Steuerzahler, das Stimmvieh und Kanonenfutter. Die gutverdienende „Oberschicht“ hingegen legt ihr Geld an, „läßt es arbeiten“, nutzt Steueroasen, zahlt keine oder kaum Steuern, wählt sich selber und schickt ihre verblödeten Gören in die Generalstäbe der Heere, die aufgeweckteren landen nach entsprechenden Ausbildungen in den wirtschaftlichen und politischen „Eliten“ – sie sind die wahren „Demokraten“, die Korruption in Person.

„Repräsentative Demokratie“ dient den wirtschaftlich und politisch Mächtigen, die sich unverfroren als „Eliten“ bezeichnen, beruft sich jedoch auf den sogenannten Souverän – das „Volk“ –, den sie an sich binden müssen, weil er unberechenbar sein kann. Leider gibt es tatsächlich Leute, die sich als „Volk“ fühlen, als „Nation“ und ähnlichen Spuk, nicht jedoch als einzelne kooperierende Menschentiere, Leute, Wesen, die auf andere Spezies angewiesen sind. „Volk“ und „Nation“ werden benutzt, um „Untertanen“ bzw. „Bürgern“ eine Scheinidentität zu „verleihen“, und andere Menschen auszuschließen. „Frieden“ bedeutet „Einfriedung“, Abgrenzung; insofern: „Der Friede muß bewaffnet sein.“ Scheinfrieden führt Auswärtskriege. Eierkuchen verhindert eine kreative Auseinandersetzung über die Zusammensetzung einer von Kasten, Klassen, Schichten befreiten Gesellschaft. Ebnet Hierarchien ein, macht Herrschaft platt! Darum: Keine Stimme für Kapitalismus und Scheindemokratie! Ihr wählt euer eigenes Grab.
Streik ist immer gut, Generalstreik besser, für antipolitische Forderungen unabdinglich. Eine Verschlankung der Produktpalette ist ohnehin nötig, die Abschaltung von Werbung ebenso. Versorgung mit Lebensmitteln und Pflegeeinrichtungen sind natürlich ausgenommen. Der Generalstreik muß allerdings mit der Brechung des Gewaltmonopols des Staates einhergehen. Der historische Begriff „Volksbewaffnung“ bedeutet diesmal Entwaffnung der Staatsmacht; es geht nicht darum, daß alle Leute, die es wollen, Waffen tragen sollen, sondern vielmehr um völlige Entrüstung – die Einstellung der Waffenproduktion, zumindest der Fernwaffen, des großen Bestecks inkl. Atomwaffen sowieso; wenn sich jemand ein Schwert schmieden oder einen Bogen schnitzen möchte, kann man ihn schlecht daran hindern. Die Ächtung von Feigheit jedoch geht mit einer entrüsteten Ethik einher.

Machtvernichtung bedeutet die Abschaffung der Herrschaft des Menschen über den Menschen und verwandte Spezies, mindestens die Säugetiere. Aber wer zieht die Grenzen? Ich nicht –, denn ich esse gerne Fisch. Das „System“, jede Herrschaft überhaupt, ist patriarchalisch und umweltverheerend. Da hilft kein Greenwashing, kein Purple-, Pink- und Genderwashing. Der „freie Markt“ regelt nichts, außer Geld und Leben von unten nach oben – so einfach funktioniert die Diktatur des Profits. Jede Macht bedeutet Mißbrauch. Die Vergesellschaftung des Privateigentums an Grund, Boden, Produktionsmitteln und Finanzen liegt auf der Hand – und in unseren Händen. Also: Runter vom Balkon, ab auf die Straße, aber bitte nicht wieder als „Volk“, „das Volk“, „ein Volk“, das einzige Volk – sondern als Leute, oder Meute.

Macht deutlich, daß Politik nicht in eurem Namen geschieht; wählt nicht und seid stolz darauf, hängt einen schwarzen Lappen raus. Für die Mutter der Ordnung!

Bert Papenfuß ist Dichter und Autor. Er lebt in Berlin-Weißensee.

 

Aus telegraph #137/138 2020/2021. Bestellen könnt ihr die Ausgabe für 10 Euro plus 2 Euro Versand im Inland hier: https://telegraph.cc/bestellen/