Editorial telegraph 1/1990 ( #11 )

Aus telegraph 01/1990, vom 8. Januar

Nachdem wir uns entschlossen haben, jedesmal wieder ein Editorial zu machen, statt den ewigen Spruch aus dem Computerarchiv anzufügen, möchten wir Euch zunächst den Zahn ziehen, daß wir alles wissen und Euch Lösungen oder gar die Lösung anbieten sollen. Wir sind DDR-Bürger wie Ihr und leben ebenso wie Ihr seit dem 7. Oktober in einem psychischen Dauererdbeben. „Wieviel Weltgeschichte“, fragte in diesen Tagen die ‚Süddeutsche Zeitung‘, „kann ein normaler Mensch täglich vertragen?“ Und wir DDR-Bürger sind eigentlich von Kindheit an besonders konstante Verhältnisse gewöhnt.

Natürlich, die „Umweltblätter“ sind bei der heutigen Nachrichtenflut in ihrer alten Form nicht wieder­zubeleben (eine genaue Mitte zwischen Nachrichtenblatt und Zeitschrift). Fortgeführt aber wird vom „telegraph“ der bewährte Ansatz, „daß das Gute nicht von Oben kommt“, wenn sich auch das „Oben“ verändert haben mag und ständig weiter verändert. Ob wir ein verfolgtes Untergrundblatt bleiben, oder demnächst vielleicht legalisiert werden, wir bleiben stets im Widerstand gegen jede Form von Herrschaftsanmaßung, ob sie nun Krenz, Modrow, Thyssen, Kohl oder sonstwie heißt. Und wir haben uns vorgenommen, jede kleinere oder größere Schweinerei, die wir ent­decken, unbarmherzig ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen.

Dabei brauchen wir natürlich weiterhin dringend Eure Hilfe. Gebt bitte weiterhin Informationen, die ihr anderswo nicht veröffentlichen könnt, an uns weiter. Auch Bruchstücke helfen uns weiter! Gesucht werden von uns beispielsweise weiterhin die aus Ungarn und der CSSR zurückgeführten Flüchtlingsautos, die im Süden der DDR verschollen sind, gesucht werden weitere Informationen zur geplanten Militäraktion am 4. November.

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