Mahnwache vor der Rumänischen Botschaft

Aus telegraph 01/1990, vom 8. Januar

Als am 18. Dezember die Nachrichten aus Temesvar um die Welt gingen (zu diesem Zeitpunkt war von 200-400 Toten die Rede), sahen viele mit Betroffenheit und Anteilnahme auf das schwer geprüfte Balkanland, dessen verzweifelt empörte Menschen wieder einmal versucht hatten, sich von ihrem „Conducator“ zu befreien. Ein Ende der Herrschaft Ceausescus, über dessen größenwahnsinnige Allüren in Rumänien seit Jahren niemand mehr lachte, war am 18. nicht abzusehen.

In der DDR hatte es vereinzelt schon früher Versuche gegeben, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf das Geschehen im weithin isolierten Rumänien zu lenken. Am 15. November gab es in Erinnerung an das Datum des Brasover Austandes die erste Demonstration vor der Pankower Kirche zur Rumänischen Botschaft. Den gleichen Weg nahmen am 4. und 15. Dezember mehrere hundert Menschen. Beteiligt waren engagierte Einzelne und Gruppen, wie etwa die Initiative „Solidarität mit Rumänien“ im Verband Bildender Künstler.

Am Abend des 18. stellten sich fünf Leute mit Kerzen und einem Plakat („Ceausescu – Mörder“) vor die Rumänische Botschaft in der Pankower Parkstraße. So entstand die Mahnwache, die andauern sollte, bis das Morden ein Ende nahm.

Es gab auch andersgeartete Aktionen. So warfen am gleichen Abend Vorübergehende rote Farbflaschen gegen das Botschaftsgebäude. Die Vertreter der rumänischen Regierung erstatteten daraufhin Strafanzei­ge gegen Unbekannt.

Im Unterschied zur Mahnwache in der Gethsemanekirche im Oktober gab es in der Parkstraße keine Möglichkeit, sich in einen Raum zurückzuziehen. Trotz der Kälte und des Regens standen einige ganze Nächte hindurch. Aus dem der Botschaft gegenüberliegenden Haus kamen zweimal Anzeigen wegen „nächtlicher Ruhestörung“.

Diplomatisch verhielt sich der rumänische Botschafter. Er äußerte gegenüber Teilnehmern der Mahnwache, daß auch er sich andere Verhältnisse in Rumänien wünsche, verteidigte jedoch gleichzeitig das Regime Ceausescus. Er wisse nichts von Toten, wolle aber bescheid geben, sobald er es erführe.

Vom Botschaftsgebäude aus wurde die Mahnwache häufig photogra­phiert. Vermutlich hätte die allgegenwärtige rumänische Geheimpolizei ein öffentliches Eklat für die Regierung Ceausecus wie die deutliche Stellungnahme eines Botschafters nicht zugelassen. Die vor dem Gebäude stehenden Polizisten hatten eine eigene Protestresolution an die Adresse der Botschaft verfaßt. Sie standen teilweise mit bei der Mahnwache und brachten nachts häufig Tee. Es ist anzunehmen, daß es sich hierbei nicht um die Ausführung eines Befehls handelte.

Am 20. hatte sich die Zahl der Toten in Rumänien auf 2.000 erhöht. Botschaftszaun und gegenüberliegende Straßenseite waren mit Plakaten und Trauerflor verhängt. Bei einer größeren Demonstration am 21., bei der mehrere tausend Leute erschienen, erreichte die Teilneh­mer die Meldung, daß in Bukarest das Feuer auf Demonstranten eröffnet worden war. Wieder flogen Farbflaschen gegen das Gebäude. Auf Bitten der Botschaft hatten Polizisten die angrenzende Straßenseite abge­sperrt. Anwesend waren auch einige Exilrumänen und das ungarische Fernsehen. In der Nacht wurde ein Transparent mit der Aufschrift „Ihr feiert und Rumänien blutet“ am Brandenburger Tor befestigt. Gysi und Modrow zeigten Verständnis für die Forderung der Demonstranten nach Aussetzung der geplanten Feierlichkeiten zur Eröffnung. Offensicht­lich gab es sogar Rücksprachen mit Kohl. Das Ergebnis ist bekannt.

Als am 22. gemeldet wurde, daß „Conducator“ Ceausescu gestürzt worden war, verließen die Botschaftsangehörigen das Gebäude, nachdem man ihnen einen Glückwunsch „an die Köche und Chauffeure der Bot­schaft“ entgegengerufen hatte. Sie bedankten sich bei der Mahnwache. Nach wenigen Minuten flog ein Porträt des Ex-Diktators in hohem Boden aus einem Fenster des Gebäudes. Später brachten einige Sekt und holten sich Farben von der Mahnwache, um eigene Transparente zu malen. Pflichtgemäß stellte sich der Botschafter hinter die neue Regierung, die zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht recht existierte.

Am 24. kamen mehrere hundert Leute zur Botschaft und entzündeten Kerzen, da die Kämpfe in Rumänien noch immer andauerten. Am Nachmit­tag erschien Gysi und erläuterte, warum die Aberkennung des Karl-Marx-Ordens erst erfolgt war, nachdem das Ende des Bukarester Tyrannen schon besiegelt war. Für diesen Staatsakt wäre die Unter­schrift Modrows und anderer vonnöten gewesen, die zu früherem Zweitpunkt, vier, fünf Tage früher, gerade nicht verfügbar waren.

Am Abend des zweiten Feiertages wurde die Mahnwache im Beisein einiger hundert Menschen, darunter auch die Rumänischen Botschaftsan­gehörigen, beendet. Für das gesammelte Geld wurden in Zusammenarbeit mit dem Solidaritätskomitee, das den Transport nach Rumänien bezahlt, Lebensmittel, 9 Tonnen Wurst und Speck, Medikamente und Decken gekauft, die am 9. mit Lastwagen in Krankenhäuser im Maramures-Gebirge versandt wurden.

k.j.a.

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