FORMEN UND INHALTE DER DDR-OPPOSITION

Aufbruch und Abbruch der Initiative für unabhängige Gewerkschaften in der Wende – DDR 1989/ 90
oder Martin Jander’s Abwicklung der DDR-Opposition

von Bernd Gehrke
(Aus telegraph #1 _ 1998)

Die in dieser und der folgenden Ausgabe des telegraph erscheinenden Teile 5 und 6 kritisieren nunmehr Janders These, es hätte in der DDR keinerlei bewußte und organisierte politische Opposition gegeben und be-schäftigen sich mit den verschiedenen Formen und Inhalten von Opposition in der DDR. Er wurde im Winter 1997 abgeschlossen. Die ebenfalls vorliegenden Teile 7 und 8 behandeln abschließend noch einmal Grundfragen der kritischen Methodik der DDR-Oppositionsforschung und werden demnächst als selbstständige Arbeit erscheinen.

Ausgehend von der Charakterisierung der DDR als „totalitäres System“ unterscheidet Martin Jander, wie andere Historiker auch, hinsichtlich widerständigen Verhaltens „Phänomene von Opposition, Dissidenz und Verweigerung“ (S. 29). Diese Unterscheidung entlehnt er der historischen Forschung über den antifa-schistischen Widerstand, insbesondere der von Richard Löwenthal. Dessen Ansinnen war es, nicht nur die organisierte politische Opposition, sondern die differenzierte Wirklichkeit des Widerstandes gegen die nationalsozialistische Diktatur zu erfassen. In seiner Zusammenfassung des Löwenthalschen Gedankens werden die verschiedenen „Grundformen des antitotalitären Widerstands“ von Jander folgendermaßen beschrieben: „Als ‘bewußte politische Opposition’ definiert Löwenthal (…) ‘Aktivitäten, die bewußt gegen die (nationalsozialistische) Parteidiktatur gerichtet waren, ihre Untergrabung und ihren schließlichen Sturz anstrebten und daher notwendig und von vornherein illegal waren und konspirativ betrieben werden mußten.’ Davon unterscheidet Löwenthal Aktivitäten, ‘die sich ohne politische Flagge konkret und relativ offen gegen die Eingriffe (des Nationalsozialismus – M.J.) in das gesellschaftliche Leben und seine Organisationen richteten – in den Betrieben und auf dem Lande, in den Kirchen und in der Nachbarschaft’ als ‘gesellschaftliche Verweigerung’. Von diesen beiden Formen hebt Löwenthal als gesondertes Handeln ‘eine bewußte Ablehnung der nationalsozialistischen Weltanschauung’ in Teilen von Literatur, Kunst und Wissenschaft ab, er nennt dies ‘weltanschauliche Dissidenz’, die dazu beigetragen habe, ‘durch ihre Wirkung auf das Bewußtsein wichtiger Minderheiten die kulturellen Traditionen des früheren Deutschland über die Jahre des Schrecken hinweg zu retten’, auch wenn sie die Aktionen des Regimes zunächst kaum praktisch behinderte“ (Jander, S. 30f)2.

Dieser Löwenthalsche Ansatz von Widerstandsforschung im Nazi-Reich bietet wegen seiner Suche nach Differenzierung durchaus einen Zugang zu unterschiedlichen Praxen oppositionellen Handelns auch in der DDR. Jenseits aller ethymologischen Debatten über den Zusammenhang von Worten wie Widerstand, widerständiges Verhalten und Opposition behalte ich aus Gründen historischer Unterscheidung jedoch den Begriff Widerstand den Regimegegnern im Nazi-Reich vor, während ich im Unterschied hierzu grundsätzlich von der DDR-Opposition und ihrer verschiedenen Erscheinungsformen spreche.3 Trotz des differenzierten Zugangs, den der Löwenthalsche Ansatz bietet, gelingt es Jander allerdings wie ansonsten auch durch unbewiesene Generalisierungen ein Urteil über die DDR-Opposition „an sich“ zu fällen und alle ideologisch unliebsamen Erscheinungen auszublenden. Trotz besseren Wissens, wie seine zitierten Quellenangaben belegen.

Ausgehend von der „Diskontinuität im historischen Verlauf und der Gegensätzlichkeit der Motive“, die Opposition und Widerstand in der DDR über die verschiedenen Jahrzehnte ihrer Existenz hinweg charakterisieren, billigt er „politische Opposition“ nur den 40er und 50er Jahren zu. Allerdings höchst einseitig. Denn hierzu zählt er nur jene „politische Opposition, die sich aus sozialdemokratischen und christdemokratischen Wurzeln gegen die Gleichschaltung der Parteien und Organisationen richtet“ (S. 31)4. Allerdings konstatiert er selbst für die SED in dieser Zeit: „Bis in die Parteispitze hinein lassen sich seit dem Tod Stalins Konflikte und Auseinandersetzungen beobachten“ (ebenda). Was er freilich nicht einmal erwähnt, ist der Widerstand linkssozialistischer und oppositionell-kommunistischer Gruppen oder Individuen gegen die Aufrichtung der stalinistischen Diktatur. Sei es von Seiten der ehemaligen Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP), der ISK, der Gruppe Neu Beginnen, der FAUD, der Räte-Kommunisten, der ex-KAPDler, der Trotzkisten, Leninbündler, der KPD (Opposition) oder der sogenannten Versöhnler-Fraktion in der KPD. Diese illegalen und konspirativen Oppositionsgruppen, die nach 1945 auch in die SBZ/DDR und in die SED wirkten und die von den Stalinisten bereits seit den 20er Jahren gewaltsam verdrängt, verfolgt und dann ermordet wurden, dürfen mit den Gruppen- und Cliquenkämpfen im Politbüro der SED keinesfalls verwechselt werden. Obgleich erst in jüngeren Forschungsergebnissen genauer belegt wurde, daß der illegale Widerstand von Gruppierungen aus solchen Traditionsbezügen heraus nach 1946 ausgeprägter war, als derjenige von sozialdemokratischen Gruppierungen5, so ist doch zumindest seit dem im Jahre 1964 erfolgten Erscheinen von Martin Jänickes Buch über die antistalinistische Opposition gegen Ulbricht das Problem bekannt, daß die von der SED nach dem 17. Juni 1953 losgetretene Säuberungskampagne gegen „Rechtsabweichungen“ und „Sozialdemokratismus“ mit ursprünglichen Parteizugehörigkeiten von SED-Mitgliedern zur SPD kaum etwas zu tun gehabt hatten. So belegte bereits Jänicke, „daß von den nach dem Juni-Aufstand ausgeschlossenen oder in den Kanndidatenstand zurückversetzten SED-Mitgliedern durchschnittlich 30% bereits vor 1933 der KPD angehört hatten. In mehreren Kreisen, die als Zentren des ‘Sozialdemokratismus’ galten, lag der Anteil von der Säuberung betroffener Altkommunisten sogar besonders hoch!“6 Staritz zeigt ebenfalls die Unterschiedlichkeit der ursprünglichen Parteizugehörigkeit für die Austritte von SED-Mitgliedern nach dem 17. Juni im Buna-Werk.7 Die von Jander global erwähnten „Konflikte“ innerhalb der SED in jener Zeit sind also durchaus wert, zumindest auf politisch-oppositionelles Aktivitäten von Nichtsozialdemokraten hin befragt zu werden. Zumal auch Jander aus hinreichend vorhandener Literatur bekannt sein sollte, daß seit dem Auftreten der „Gruppe Ulbricht“ im Frühjahr 1945 Jagd auf „Trotzkisten“ und andere linksoppositionelle Gruppen gemacht wurde.

Das Pochen auf die Einbeziehung dieser Gruppen und Strömungen in die historische Oppositionsforschung erfolgt keineswegs aus dem Motiv der Überschätzung ihres Wirkens. Zunächst geht es darum, der Unterschlagung ihrer bewußten und aktiven Opposition entgegenzutreten. Janders politische Einseitigkeit, die bereits für die frühen Jahre der DDR nur bestimmte Richtungen politischer Opposition als solche zu akzeptieren bereit ist, also die sozialdemokratische und christdemokratische, verfährt allerdings konsequent, wenn sie mit dem historischen Verschwinden eben dieser oppositionellen Richtungen für die 70er und 80er Jahre die Existenz einer politischen Opposition überhaupt verneint.

Hinsichtlich der Anwendung des Löwenthalschen Begriffes von „bewußter politischer Opposition“ auf die DDR in den letzten zwei Jahrzehnten zitiert Jander zustimmend Roger Woods8, der nicht nur „drei Quellen“ oppositionellen Verhaltens ausmachte (sozialistische Kritik von Intellektuellen, Ausreisewunsch und christlich bzw. nichtsozialistische Friedensbewegung), sondern als Merkmale der DDR-Opposition im Unterschied zu anderen Ostblockländern zwei wesentliche Besonderheiten nannte: das Fehlen jeden Kampfes um die Macht und „die Abwesenheit von ‘pragmatischem Dissenz’, der gewöhnlich von Wissenschaftlern, Technikern und Experten erzeugte Druck und Widerstand im Namen größerer Effektivität, wirtschaftlichen Fortschritts und militärischer Macht“ (Jander, S. 32).

Doch eine Erklärung für seine Leser, was damit konkret gemeint ist oder die Frage danach, warum es einen erkennbaren Kampf um die Macht nicht gegeben hat, was denn „ein Kampf um die Macht“ überhaupt bedeuten würde, ob die gesellschaftlichen Bedingungen eines wie auch immer vorgestellten Kampfes um die Macht gegeben waren und ob nicht der praktisch beschrittene Weg eine andere als vorgestellte, vielleicht sogar die historisch optimale Form des „Kampfes um die Macht“ war, all solche Fragen, über die ernsthaft zu diskutieren wäre wird man bei Jander vermissen9. Ebenso die Frage danach, weshalb sich in der DDR kein sichtbares Potenzial jenes „pragmatischen Dissenses“ einstellte und wie dieses Ausbleiben jenes Potenziales die vorhandene DDR-Opposition und ihr Verhalten prägte. Auch die stark kulturoppositionelle und subkulturelle Prägung der Opposition und der Zusammenhang zum „sozialethischen“ Charakter vieler Gruppen bleibt außer Betracht10. Da sich solche Fragen, die die differenzierte Widersprüchlichkeit der DDR-Opposition berühren, erst gar nicht stellen, kann er dann kategorisch eine seiner Globalbehauptungen abgeben: „Die Verwendung der Begrifflichkeit einer ‘politischen Opposition’ im Sinne Löwenthals wird auf die DDR der 70er und 80er Jahre bezogen problematisch. Versteht man unter ‘politischer Opposition’ eine Gruppe von Menschen, die sich bewußt den Sturz des Regimes vorgenommen hat und die diesen Sturz illegal vorbereitet, dann gilt es festzuhalten, daß es eine solche Gruppe in der DDR vor der Wende nicht gegeben hat.“ (S. 32, Hervorhebung – B.G.). Wohlgemerkt: hier ist nicht die Rede vom Erfolg oder Mißerfolg, von der Anzahl, von der Stärke oder Schwäche oder vom temporären Charakter, kurzum, von der historischen Relevanz einer ‘bewußten politischen Opposition’ im Löwenthalschen Sinne für den Umbruch 1989, sondern davon, daß es sie überhaupt nicht gegeben haben soll! Ihre Existenz wird schlichtweg geleugnet!

Löwenthal hatte gerade die notwendiger Weise illegale und deshalb konspirative Praxis zum Merkmal einer bewußten politischen Opposition im „totalen Staat“ gemacht. Diese ergab sich folgerichtig aus dem Ziel der Beseitigung des politischen Regimes, das hieß der nationalsozialistischen Parteidiktatur. Nun könnte man meinen, daß Janders einseitig-antisozialistische Sichtweise und seine „Forschungsblindheit“ ihn daran hinderte, die Existenz von illegalen politischen Gruppen überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, deren Ziel -in Analogie zum Nazi-Reich- die Beseitigung der Parteidiktatur der SED war. Doch dem ist durchaus nicht so! Jander weiß, was er verschweigt, diese Existenz paßt ihm nur nicht ins antisozialistische Konzept. Sein Buch selbst ist dafür der beste Beleg. So schreibt er bei der Darstellung eines Mitbegründers der IUG, u.a. folgenden biografischen Ausschnitt auf: „Während des Studiums (Anfang der 70er Jahre – B.G.) gründete er einen Zirkel, der Bücher aus dem Westen in die DDR schmuggelte. Den Kontakt in Westberlin hielt konspirativ die trotzkistische ‘Gruppe Internationale Marxisten’ (GIM). In der Ostberliner Gruppe wurde z.B. ein Aufruf an eine Konferenz der Kommunistischen Parteien in Ostberlin erarbeitet. Sechzig Seiten dieses Entwurfes wurden später bei Uwe Dähn gefunden. Die Mitglieder der Gruppe wollten eine Sammlung verschiedener Artikel zu einem Buch ‘ähnlich wie Die Alternative von Bahro’ zusammenstellen. An diesem Vorhaben arbeiteten verschiedene Zirkel Ostberlins“ (S. 68).

Dieser Ausschnitt mag genügen. Er soll nur die Existenz mehrerer solcher illegalen Gruppen in den 70er Jahren belegen, die, wie zu lesen, untereinander Verbindung hatten, auf konspirativem Wege Bücher schmuggelten, illegale Publikationen vorbereiteten und mit einer trotzkistischen Gruppe im Westen Verbindung hielten. Eine Gruppe, auf die eben jene von Löwenthal genannten Kriterien einer „bewußten politischen Opposition“ zutrafen. Wesentliches Ziel eben derjenigen Gruppierung, über die Jander hier berichtet, war die revolutionäre Ersetzung des Regimes der stalinistischen Parteidiktatur durch ein Regime der Arbeiterdemokratie in der Gestalt von Arbeiterräten mit einem sozialistischen Mehrparteiensystem. Auch der von Jander mehrfach als Quelle zur DDR-Opposition zitierte Rüddenklau berichtet über die Existenz solcher illegalen politischen Gruppen11. Was Jander ebenfalls unter ausdrücklichem Bezug auf Rüddenklau berichtet, freilich ohne sich über Details auszulassen, ist die Existenz einer illegalen Sektion der KPD/ML in der DDR.(siehe S. 38f, Fußn.63). In der von Jander erwähnten Stelle bei Rüddenklau wird darüber informiert, daß die KPD/ML in der DDR über Zellen in allen großen Städten und allein in Ostberlin über ca. 50 Mitglieder verfügte. Sie gab regelmäßig Publikationen heraus und führende Aktivisten dieser Partei wurden nach ihrer Zerschlagung durch die Stasi Anfang der 80er Jahre zu hohen Haftstrafen verurteilt.12 Ziel der KPD/ML war die Beseitigung des „Staatskapitalismus“ und der „sozialfaschistischen Diktatur“ in der Sowjetunion und der DDR und ein vereinigtes sozialistisches Deutschland. Diese illegale Partei mit illegalen Zeitungen und Flugschriften soll keine „bewußte politische Opposition“ im Sinne Löwenthals sein? Die Reste der ehemaligen KPD/ML geben bis heute eine Broschüre mit Artikeln aus ihren illegalen Publikationen Roter Morgen und Roter Stachel aus den 70er Jahren heraus. Bereits im Vorwort dieser Broschüre heißt es: „Die DDR ist ein Arbeiter- und Bauerngefängnis. Deshalb, so die Meinung der KPD in der DDR, gibt es nur die Möglichkeit, über eine Revolution, über einen gewaltsamen Umsturz, den Sozialismus wieder zu errichten. Eine solche, grundsätzliche kommunistische Kritik, duldet das SED-Regime nicht. Kommunisten der KPD können ihre Meinung in der DDR nicht offen äußern. Sie müssen sich heimlich treffen. Sie müssen ihre Publikationen, die Zeitung ‘Roter Morgen’, das Berliner Sammelflugblatt ‘Roter Stachel’ und einzelne Flugblätter illegal herstellen und heimlich verbreiten. Denn ‘die STASI’, wie man in der DDR den Staatssicherheitsdienst nennt, hat ihre Augen überall.“13 Dieser Gruppierung, deren radikale Kritik am SED-Regime bereits in diesen wenigen Zeilen grundsätzlicher und drastischer ausfällt, als die zahlreicher späterer Gruppen zusammengenommen, die in den 70er Jahren einige spektakuläre Aktionen in der DDR durchführte und deren Aktivist/innen etliche Jahre in den Gefängnissen der DDR verbringen mußten, einer solche Gruppierung den Charakter einer aktiven politischen Opposition gegen das SED-Regime abzusprechen, nur weil deren ideologische oder politische Zielstellungen mißfallen, ist schlichtweg eine intellektuelle Lumperei.

Eine weitere illegale Gruppierung, die Jander wegen ihres spektakulären Auftretens im Westen und ihres Bekanntheitsgrades mindestens hätte erwähnen müssen, ist der durch die Veröffentlichung eines Manifest der Opposition im Spiegel bekannt gewordene Bund demokratischer Kommunisten. Trotz der -nach heutigen Veröffentlichungen- durchaus dubiosen Vorgänge im Zusammenhang mit der Entstehung dieses Manifestes (bei denen zumindest klar ist, daß die wirkliche Existenz eines solchen Bundes nach Kenntnisnahme der Stasi-Akten nicht belegt werden kann, während der Verfasser dieses Manifestes selbst IM der Hauptverwaltung Aufklärung des MfS war und sich im Geflecht von Geheimdienstaktivitäten bewegte14), hätte diese Gruppierung dennoch eine Erwähnung und -zumindest- eine Problematisierung finden müssen. Denn die wirklichen Vorgänge um dieses Manifest werden erst jetzt, nach und nach, deutlicher. Immerhin aber wurde in jenem Manifest vom Januar 1978 die Ersetzung der Einparteiendiktatur der SED durch ein unabhängiges Parlament, ein Mehrparteiensystem und zahlreiche andere Maßnahmen gefordert, die auf die Beseitigung der stalinistischen Diktatur durch ein demokratisches, auf der Durchsetzung der Menschenrechte beruhendes System zielten.15 Die Existenz dieses Manifestes ist ganz nebenbei auch eine Widerlegung von Janders Behauptung, die DDR-Opposition hätte keinerlei Konzeptionen und institutionelle Vorschläge für eine demokratische Gesellschaft hervorgebracht. Sie gefallen ihm nur nicht! Neben zahlreichen Einzelartikeln mit Kritiken an der DDR ist aus diesem politischen Spektrum immerhin auch später, im Westen, der erneute Versuch zu einer programmatischen Alternative für die DDR gemacht worden.16

Doch Jander tilgt nicht nur Gruppierungen der 70er und vom Anfang der 80er Jahre aus der „bewußten politischen Opposition“. Sein schnödester Umgang mit der DDR-Opposition ist die Vertuschung der illegalen Arbeit der Gruppe Gegenstimmen, die aus der Spaltung des Menschenrechtsseminars 1986 hervorgegangen war und die dessen linken Flügel repräsentierte. Sie übte innerhalb der DDR-Opposition der letzten Jahre einen wichtigen Einfluß aus. Obwohl Jander über langjährige persönliche Kontakte zu Angehörigen dieser Gruppierung verfügte und obwohl der von ihm mehrfach zitierte Rüddenklau unter anderem beschrieb, daß sich die Gruppe als „Interessengemeinschaft von Sozialisten“ verstand, die ihre sozialistischen Positionen in verschiedenen anderen Kreisen und Arbeitsgruppen der Opposition vertrat, wichtige Aktivitäten dieser Bewegung organisierte oder an deren Organisation beteiligt war, sowie im Jahre 1988 den Versuch machte, ein Reformprogramm für die DDR zu erarbeiten17, gelingt es Jander, in einer Fußnote lapidar über die Aktivitäten dieser Gruppe hinwegzugehen. „Über diese Gruppe gibt es noch keine Darstellung. Umrisse werden erkennbar in: Rüddenklau…“ (S. 63, Fußn. 47). Die Umrisse, die bei Rüddenklau nachzulesen sind, sind aber eben die einer bewußten politischen Opposition mit den eben dargestellten Merkmalen!

Hätte Jander seine zitierten Quellen und seine eigenen Darstellungen ernst genommen, so hätte ihm auch auffallen müssen, daß in den Erklärungen der von ihm erwähnten sog. „Kontaktgruppe“, die seit dem 4. Oktober 1989 existierte und in der nach seiner eigenen Darstellung „die wichtigsten Oppositionsgruppen zusammengeschlossen waren“ (S. 78), entgegen seiner Darstellung (S. 78, Fußn. 22) die „Vereinigte Linke“ gar nicht genannt wurde, obwohl sie durchaus darin anwesend war. Statt ihrer unterzeichnete eine Gruppe Demokratischer SozialistInnen18, die in der dann entstandenen Initiative für eine Vereinigte Linke aufgegangen ist. Immerhin aber muß diese vor der VL existierende Gruppe Demokratischer SozialistInnen zumindest existiert haben, wenn sie sogar in der „Kontaktgruppe“ vertreten war!

Ein Vorgang soll noch erwähnt werden, der eigentlich hinreichend gut bekannt ist und dessen Darstellung Janders Konstrukt der DDR-Opposition nicht einmal grundsätzlich infrage gestellt hätte. Dieser Vorgang wird aber ebenfalls von ihm unterschlagen und verdeutlicht Janders doktrinäre Enge besonders anschaulich: die Spaltung der Umweltbibliothek im Jahre 1988. Dieser relativ bekannte Vorgang, der auch in Rüddenklaus Buch über die DDR-Opposition längst besprochen wurde19, drehte sich ganz wesentlich darum, daß er ein Streit zwischen verschiedenen Strömungen der oppositionellen Umweltbewegung über die sog. „Organisationsfrage“ war. Basisgruppe oder parteiähnliches Gebilde? hatte Rüddenklau diese Streitfrage in seinem Buch tituliert. Ein „parteiähnliches Gebilde“ wie das Grün-ökologische Netzwerk Arche, welches zum Vorläufer der Grünen Partei der DDR im Herbst 1989 wurde, darf doch wohl gewiß als politisch bewußte Opposition gelten! Dies wird durch die inzwischen vorliegende umfangreiche Darstellung der Arche bestätigt, in der auch die bereits vor der „Wende“ verfolgte Option zur Aufstellung einer „Grünen Liste“ bei den DDR-Wahlen dokumentiert wird.20

1 Martin Jander, Formierung und Krise der DDR-Opposition. Die „Initiative für unabhängige Gewerkschaften“ – Dissidenten zwischen Demokratie und Romantik, Akademie Verlag Berlin, 1996

2 Janders Löwenthal-Zitate entstammen oben genannter Schrift, S. 11

3 Die Diskussion der Möglichkeiten des differenzierten Begriffes von Widerstand und/oder Opposition soll hier allerdings nicht „an sich“ geführt werden. Hier geht es nur um die Widerlegung Janderscher Zumutungen.

4 Mit dieser Ansicht ist er allerdings nicht allein.

5 Vgl. Thomas Klein, Die Herrschaft der Parteibürokratie. Disziplinierung, Repression und Widerstand in der SED, Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zu Das Parlament, B 20/96, S. 4ff; ders., Widerstand und Verfolgung von Kommunisten während der Stalinisierung der SED 1946 – 1951, in: UTOPIE kreativ, H. 81/82 (Juli/ August 1997, S. 123 – 133; ders., SED-Parteikontrolltätigkeit in den vierziger Jahren, in: Staatspartei und Staatssicherheit. Zum Verhältnis von SED und MfS, Herausgegeben von Siegfried Suckut und Walter Süß, Berlin 1997, S. 95ff

6 Martin Jänicke, Der dritte Weg, Die antistalinistische Opposition gegen Ulbricht seit 1953, Köln 1964, S. 50-52

7 Dietrich Staritz, Geschichte der DDR. Erweiterte Neuausgabe. Frankfurt/ M 1996, S. 129

8 Roger Woods (ed.), Opposition in the GDR under Honnecker 1971-1985, London 1986

9 Auch in dieser Hinsicht steht Jander nicht allein. Vgl. Rainer Eckert, Die Vergleichbarkeit des Unvergleichbaren. Die Widerstandsforschung über die NS-Zeit als methodisches Beispiel, a. a. O. S 81; selbst der von Martin Gutzeit vorgetragene Gedanke einer impliziten, indirekten Infragestellung des Monopolanspruches der SED durch die Gruppen wird von Eckert bezweifelt, siehe ebenda; an dieser Stelle sei aber darauf hingewiesen, daß zur Debatte eben eines solchen Problems Martin Broszat seinen zentralen methodischen Gedanken zur Untersuchung des Widerstandes im Faschismus eingebracht hat: nämlich zu fragen, welche Form des Widerstandes die größte praktische Wirkung hatte. Vgl. Martin Broszat, Gesellschaftsgeschichte des Widerstands, in: ders./ Elke Fröhlich, Alltag und Widerstand Bayern im Nationalsozialismus, München 1987

10 Diese Seite der DDR-Opposition ist inzwischen hinreichend belegt; vgl etwa Hagen Findeis/ Detlef Pollack/ Manuel Schilling,, Die Entzauberung des Politischen, Leipzig, Berlin 1994; Jan Wielgohs/ Marianne Schulz, „Die revolutionäre Krise am Ende der achtziger Jahre und die Formierung der Opposition“, in: : Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“, a. a. O., Bd. VII/2, S. 1950 – 1995

11 Wolfgang Rüddenklau, Störenfried – DDR-Opposition 1986-1989, Berlin 1992, S. 21f

12 ebenda; Genaueres zur DDR-Sektion der KPD/ML vgl. v. a.: Für Frieden und Solidarität ins Gefängnis – Kommunistische Oppositionelle in der DDR verhaftet, Kommunistische Partei Deutschlands, Dortmund, o. J. (1981), Kommunistische Oppositionelle in der DDR verhaftet. Informationen und Dokumente, Herausgeber: Solidaritätskommitee für die verhafteten kommunistischen Oppositionellen in der DDR, Dortmund o. J. (1981), Die unbekannte Opposition. Kommunistische Arbeiter gegen das Honecker-Regime, Hrsg.: ZK der KPD, Stuttgart, o. J (1981)

13 Die unbekannte Opposition. Kommunistische Arbeiter gegen das Honecker-Regime, a. a. O., S.2; Die Existenz der KPD/ML in der DDR wiederlegte übrigens auch die Behauptung, es hätte in (Mittel-)Osteuropa nur eine maoistische Oppositionsgruppierung um Miklos Haraszti in Ungarn gegeben. Eine maoistische Untergrund-KP soll es auch in Polen gegeben haben. Vgl. Ferenc Feher – Agnes Heller, Die Linke im Osten – Die Linke im Westen. Ein Beitrag zur Morphologie einer problematischen Beziehung, Köln 1986, S. 24 (Fußn. 31). Auf die inhaltlichen Aspekte dieser Arbeit, auf die von Jander in seiner Kritik an der DDR-Opposition mehrfach zurückgegriffen wurde, kann wegen der Vielzahl von Problemen, die einer eigenen Auseinandersetzung wert wären, nicht eingegangen werden.

14 Vgl. zusammenfassend: Dominik Geppert, Störmannöver. Das „Manifest der Opposition“ und die Schließung des Ost-Berliner „Spiegel“-Büros im Januar 1978, besonders S. 114-130; interessanterweise werden hier nur mögliche Verwicklungen von Stasi und sowjetischen Stellen erörtert, während eventuelle Aktivitäten westlicher Geheimdienste nicht einmal ins Kalkül gezogen werden. Zur IM-Erfassung Herrmann van Bergs siehe auch: Irene Chaker, Die Arbeit der Hauptverwaltung Aufklärung (HV A) im „Operationsgebiet“ und ihre Auswirkungen auf oppositionelle Bestrebungen in der DDR, in: Materialien der Enquetekommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ (12. Wahlperiode des Deutschen Bundestages), Herausgegeben vom Deutschen Bundestag, Band VIII,, Das Ministerium für Staatssicherheit. Seilschaften, Altkader, Regierungs- und Vereinigungskriminalität, Baden-Baden 1995, S 142

15 Ich beziehe mich hier auf das von Günter Johannes und Ulrich Schwarz verantwortlich gezeichnete und mit einem Vorwort von Rudolf Augstein versehene Sachbuch, in dem die Spiegel-Leute nicht nur die Vorgänge um die Erscheinung dieses Manifestes veröffentlichten, sondern obendrein noch die Mitteilungen eines mit erstgenannter Gruppierung nicht identischen Bund Deutscher Kommunisten, der aus ehemaligen SED-Mitgliedern gegründet worden sein sollte und sich mit den demokratischen Oppositionen Osteuropas solidarisierte. Vgl. DDR. Das Manifest der Opposition. Eine Dokumentation. Fakten-Analysen-Berichte, München 1978, 2.Aufl.

16 Vgl. Herrmann von Berg. Franz Loeser. Wolfgang Seiffert. Die DDR auf dem Weg in das Jahr 2000. Politik-Ökonomie-Ideologie. Plädoyer für eine demokratische Erneuerung, Köln 1987

17 Vgl. Wolfgang Rüddenklau, a.a.O., S.194f

18 Vgl. Gerhard Rein (Hg.), Die Opposition in der DDR, Berlin 1989, S.122f; auch: Zeno und Sabine Zimmerling, Neue Chronik DDR, Berichte-Fotos-Dokumente, 1. Folge, Berlin 1990, S. 71

19 Vgl. Wolfgang Rüddenklau, a.a.O., S.178ff

20 Vgl. Carlo Jordan/ Hans Michael Kloth, Arche Nova. Opposition in der DDR. Das „Grün-ökologische Netzwerk Arche“ 1988-1990, Berlin 1995

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