von Knobi
(Aus telegraph #1 _ 1998)
Alles ist im Fluß, alles verändert sich: so auch z.B. die Edition ID-Archiv, die/der jetzt ID Verlag heißt und weiter produziert (das ID-Archiv ist natürlich auch weiterhin im Amsterdamer IISG tätig). Die Hauseigene Zeitschrift Die Beute ist im Winter 97/98 mit einer Doppelnummer erschienen (192 S. / 28,–DM), und fortan kommt Die Beute dann halbjährlich. Schwerpunkt der Doppelnummer ist: Humanismus und Terror. Mit Beiträgen von D. Diedrichsen, K.-H. Dellwo, K.H. Roth, R. Curcio u.v.a. Ohne eine große Ankündigung erschien außerdem ein Interview mit dem ehemaligen RAF-Aktivisten Stefan Wisniewski, der sich hier das erstemal nach zwanzig Jahren zu Wort meldet: Wir waren so unheimlich konsequent… ( 59 S. / 10,–DM).
Im fleißigproduzierenden UNRAST Verlag aus Münster erschien u.a. der interessante Titel: Thomas Nöske; Clockwork Orwell – über die kulturelle Wirklichkeit negativ-utopischer Science fiction ( 156 Seiten / 24,80 DM). Der unfertige Mensch wird hier dem technischen, zerstörerischen Potential entgegengesetzt. Nöske dürfte einigen als Aktivist und Theoretiker des literarischen Undergrounds bekannt sein.
Der Hambuger Nautilus Verlag wagt mal wieder eine Delikatesse. Mit Louis Mercier Vega; Reisende ohne Namen (187 S. / 29,80 DM). Ein autobiographischer Bericht über die Flucht einer Gruppe von Anarchisten nach der Niederlage im Spanischen Bürgerkrieg. Die Flucht geht quer durch Europa bis nach Südamerika, und gibt natürlich die politische Lage der damaligen Zeit autentisch wieder. Vega war in Spanien Mitglied der „Kolonne Durruti“. Mit zahlreichen Fotos sowie einigen Artikel, die Vega in Spanien veröffentlichte.
Eine besondere verlegerische Anstrengung unternahm der Berliner Karin Kramer Verlag mit dem bereits 1988 in Frankreich erschienenen Buch: Michael Löwy; Erlösung und Utopie – Jüdischer Messianismus und Utopie (303 S. / 45,–DM). In dieser äußerst interessanten Untersuchung des Soziologen Löwy werden so interessante Personen wie E. Toller, G. Landauer, M. Buber, E. Bloch, K. Tucholsky, W. Benjamin, F. Kafka, C. Einstein u.a. im Kontext ihrer Zeit vorgestellt. Sie alle verbindet eine Wahlverwandschaft, in der jüdischer Messianismus und libertäre Utopie den Geist Mitteleuropas prägten. Die behandelten Personen werfen auch einen Blick auf eine Intelligenz, die uns dank eines 12jährigen Terrorregimes eine Lücke in die deutsche Geistesentwicklung riß.
Ein schönes, aber leider auch teures Buch ist: Steven Watson; Die Beat Generation – Visionäre, Rebellen und Hipsters, 1944 – 1960 (Hannibal Verlag / 382 S. / 54,–DM). Nachdem im letzten Jahr W. S. Burroughs und Allen Ginsberg gestorben sind, gibt es kaum noch aktive Vertreter der legendäre Beatnik Generation, die wohl die interessanteste Literatur-Avantgarde war, die die USA je hervorgebracht hat. Der Aufbruch einer Generation nach dem 2. Weltkrieg, der geprägt war von schwarzer Musik, Drogen, und der Weite Nordamerikas. Mit zahlreichen Fotos.
Zum Schluß noch ein kleines, preiswertes Büchlein, welches aber durchaus inhaltlich gewichtig ist. Passend zum Super-Wahljahr 98 (Nie wieder Wa(h)lfang!): Erich Mühsam; Der Humbug der Wahlen (Klaus Guhl Verlag / 56 S. / 6,–DM). Der Mühsam’sche Text wurde 1912 in der Zeitschrift KAIN veröffentlich. Seine beißende Kritik an der Sozialdemokratie liest sich auch heute noch (bzw. wieder) sehr aktuell, denn nachdem die SPD 1912 einen erdrutschartigen Sieg davon trug, enttäuschte sie bekanntlicherweise zwei Jahre später das Wahlvolk, in dem sie den Kriegskrediten für den 1. Weltkrieg im Reichstag zustimmten.
Wer weiß also, was passiert, wenn Ihr meint, Euch diesesmal für das kleinere Übel Schröder zu entscheiden. Aber das ist ja nun noch etwas hin bis zu den Bundestagswahlen im November.
Bis dann.
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