Wurzen: Dilemma und Perspektiven antifaschistischer Politik in der ehemaligen DDR – Interview mit dem Leipziger „Bündnis gegen Rechts“
(Aus telegraph #1 _ 1998)
Der Muldentalkreis um die sächsische Stadt Wurzen gilt als Nazi- Hochburg. Die rechte Hegemonie äußert sich in unaufhörlichen Angriffen auf Flüchtlinge, Punks, Obdachlose aber auch auf unbeteiligte Passanten. So sahen sich die meisten linken Jugendlichen gezwungen, den Ort zu verlassen. Die Nazis bezeichnen den Muldentalkreis dann auch als eine national befreite Zone. Regionen, die von Faschisten kulturell und militant kontrolliert werden, ohne daß dabei eine Organisation oder Partei dahinter stehen muß, sind exemplarisch für den ländlichen Raum in Ostdeutschland.
Erst vor kurzem sorgte Wurzen wieder für Schlagzeilen: als am 24. Januar 1000 Nazis in Dresden gegen die Wehrmachtsausstellung demonstrierten, griffen Faschisten aus dem Muldentalkreis den Zug an, in dem Antifas aus Leipzig nach Dresden fahren wollten. .
So war es Ziel einer antifaschistischen Demonstration im November 1996, die Entwicklung faschistischer Aktivitäten in und um Wurzen öffentlich zu machen.
Die bundesweite Demonstration wurde vom Leipziger Bündnis gegen Rechts (BgR), ein Zusammenschluß, der von autonomen Antifas bis zur PDS reicht, umfangreich vorbereitet. Zu der Demonstration, unter dem Motto „Das Ende faschistischer Zentren, wie wir sie kennen“, kamen ca. 6000 Menschen nach Wurzen. Obwohl das Bündnis gegen Rechts sich um ein breites Bündnis bemüht hatte, bestand die Demonstration hauptsächlich aus angereisten autonomen Antifas. So wurde die Demo und deren Erfolg dann auch unterschiedlich wahrgenommen und eingeschätzt. Für ostdeutsche Antifa-Gruppen, die erstaunlich zahlreich vertreten waren, war es ein enormer Motivationsschub, gemeinsam mit vielen Antifas in einer Stadt zu demonstrieren, deren Probleme analog zu vielen Städten in Ostdeutschland sind.
Trotzdem gab es Kritik. So wurde bemängelt, daß die Demo die sozialen Problemen der Bevölkerung und die gesellschaftlichen Ursachen für die Stärke und Akzeptanz der Nazis nicht thematisierte. Das Ausklammern der Situation in Wurzen, die eben auch durch allgemeine Arbeitslosigkeit und sozialen Abstieg gekennzeichnet ist, macht es unmöglich, antifaschistische Positionen auch außerhalb der eigenen Subkultur zu verankern. Praktisch werden die drängenden Probleme in Wurzen durch nationalistische Inhalte der Nazis besetzt.
Ein Antifaschismus, der faschistische Tendenzen nicht als fehlgeleitete Reaktion auf gesellschaftliche Entwicklungen, begreift, kann nur deren Symptome behandeln. Die Nazis wirksam zu bekämpfen bedeutet, linke Perspektiven auch über eine kleine Szene hinaus zu vermitteln. Eine Sichtweise, die in der normalen Bevölkerung ausschließlich potentielle Faschisten sieht, schließt aus, daß die Nazis gesellschaftlich isoliert werden können. Dennoch ist in der ostdeutschen Antifa-Szene diese Einstellung weit verbreitet.
Im folgenden Interview bewerten Antifas aus Leipzig den Erfolg der Demo und sprechen über mögliche Perspektiven für ostdeutsche Antifas.
telegraph: Wie ist Eure Einschätzung der Situation in Wurzen, ein Jahr nach der Demo?
Bündnis gegen Rechts: Die Nazis sind dort natürlich nicht vom Erdboden verschwunden, die Anzahl der Nazis ist nicht geringer geworden. Ihre Hegemonie ist noch dieselbe geblieben, sie bestimmen auf der Straße und in den dortigen Jugendclubs, wer dort verkehren kann.
Vor einigen Monaten ist offiziell ein NPD-Kreisverband Muldental gegründet worden. Kreisvorsitzender wurde der als federführend bekannte Nazi Markus Müller. Darin zeigt sich, daß der harte Kern der Faschos sich einer Parteistruktur zuwendet. Zugleich ist aber auch zu verzeichnen, daß sich im Nazi-Skinheadspektrum eine Organisierungsfeindlichkeit ausbildet, es gibt Reibereien zwischen Partei-Kadern und denjenigen, die in der Subkultur der Nazi-Skins aktiv sind. Das schließt gemeinsame Aktivitäten natürlich nicht aus. Beispielsweise gab es dieses Jahr wieder eine große Sommersonnenwendfeier. Es gab um die Heß-Aktionswoche, eine Woche nach dem eigentlichen Aufmarschtermin der Nazis, in Schildau eine, als „Geburtstagsfeier“ getarnte, Zusammenkunft von ca. 150 Nazis aus dem Muldentalkreis und Umland. Diese wurde von staatlicher Seite aufgelöst.
An der Situation hat sich demzufolge nichts weiter geändert als das wir sagen können, daß Wurzen und der Muldentalkreis in der Öffentlichkeit stigmatisiert worden sind – berechtigterweise – für den Umgang der lokalen Verantwortlichen mit den dortigen Nazis. Die Stigmatisierung sieht so aus, daß sich in den neuen Bundesländern öfter darauf berufen wird, daß Wurzen das Beispiel ist- ob es denn so schlimm in der jeweiligen Gemeinde wie in Wurzen ist. Das meine ich nicht von Antifa-Seite aus, sondern tatsächlich von Parteien, Behörden usw.
Ein weiteres Ergebnis der Demo ist, daß von staatlicher Seite die Soko Rex (Sonderkommission Rechtsextremismus des Landeskriminalamtes) in Wurzen tatsächlich präventiv tätig geworden ist. Inzwischen hat sich sachsenweit ein Mobiles Einsatzkommando (MEK) gebildet, was an die Soko Rex angebunden ist. Dieses MEK fährt in großen BMW-Limousinen martialisch in schwarzen Klamotten quer durch Sachsen und wird dort, wo es vom Verfassungsschutz Hinweise auf rechtsextreme Aktivitäten bekommen hat, präventiv tätig. In Wurzen ergaben sich einige Male solche präventiven Tätigkeiten.
Was durch die Demo in Wurzen geblieben ist, ist vor allem eine Angst vor einer weiteren Stigmatisierung der Stadt, in den Medien, durch eine erneute Demo.
telegraph: Ist das jetzt der Erfolg der Demonstration ? Wie bewertet ihr das damalige Großereignis heute? Was hat sich in Wurzen danach verändert ?
Bündnis gegen Rechts: Zum Erfolg der Demonstration läßt sich sagen, daß sich bereits während der Mobilisierung abzeichnete, daß es eine Innenwirkung für die Antifa-Szene und eine Außenwirkung für die Öffentlichkeit geben wird.
Das stellte sich so dar: Durch die erfolgreiche Mobilisierung kamen mehrere tausend Antifas zusammen, was der Szene recht gut getan hat. Von uns wurde, gerade auch mit der Floskel „Das Ende faschistischer Zentren, wie wir sie kennen“, darauf Wert gelegt, ein stärkeres Augenmerk auf die rechten Subkulturen zu legen. Wir haben damit erreicht, daß das Verständnis von einer Region, in der Nazis als „rechte Jugendliche“ mit Rückhalt in der Bevölkerung diese Hegemonie kulturell, wie auch militant ausüben können, vermittelt wurde. Wir schätzen es als Erfolg ein, das nicht gesplittet thematisiert zu haben. Die Stärke der Nazis ist gerade ihre Rückendeckung in der Bevölkerung. Das drückt sich so aus, daß dort alle davon sprechen, daß die Nazis „unsere Kinder“ sind und daß das Leugnen einer ausgeprägten rechten Szene Gang und Gebe war. Das fing beim Bürgermeister an und ging bis zu Sozialarbeitern.
Das Leugnen der Existenz einer rechten Szene ist heute nicht mehr ohne weiteres möglich. In der Praxis bedeutet das relativ wenig, das heißt ihnen ist wohl bewußt, daß es eine Menge Leute gibt, die ihnen viel Ärger machen können, ihnen ist bewußt, es gibt einige, die meinen, es gibt viele Nazis im Muldentalkreis, obwohl das vor Ort nicht so gesehen wird. Ihre Angst bezieht sich nicht darauf, daß die Nazis für Schlagzeilen sorgen könnten, sondern darauf, daß noch einmal so viele Antifas nach Wurzen kommen bzw. in den Medien etwas Schlechtes über Wurzen stehen könnte.
telegraph: Was kannst Du zur Entwicklung von antifaschistischen Aktivitäten in Wurzen sagen ?
Bündnis gegen Rechts: Die Situation in der linken Jugendszene in Wurzen hat sich nach der Demo nicht wesentlich geändert. Es gibt sehr viele Punks, die durch die Demo ein anderes Verständnis von ihrer eigenen Situation bekommen haben. Zum anderen gibt es den konkreten Erfolg, daß sich ein Antifa-Plenum in Grimma konstituierte, das auch schon in der Grimmaer Lokalpresse Erwähnung fand. Von der Entstehung einer ausgebildeten Struktur kann man jedoch nicht sprechen. Bestrebungen linker und alternativer Jugendlicher in Wurzen, einen eigenen Club zu bekommen, sind zum jetzigen Zeitpunkt zum Scheitern verurteilt.
Provokativ gesagt, kann man also als Antifa in Nazi-Zentren, Demos organisieren, kann dorthin mobilisieren und erreicht damit eine Stigmatisierung in der Öffentlichkeit und daß die Bullen öfter dort einreiten- man ruft also den Staat auf den Plan. Das klingt ein wenig nach der Rolle der Presse als „Vierte Gewalt“. Man skandalisiert anhand eines bestimmten Anlasses und zwingt so den Staat zum Handeln.
telegraph: Kann das eine antifaschistische Perspektive sein ?
Bündnis gegen Rechts: Praktisch ist das das Dilemma der Antifaszene, wenn sie in solchen Orten aktiv werden will, wo sie keine eigene Struktur hat. Ich denke, daß alle von uns, das, schon allein aufgrund der politischen Grundeinstellung, das, was Du eben formuliert hast, nicht als das Ziel von antifaschistischer Politik unterschreiben können. Es ist nur so, daß wir anhand von Wurzen gelernt haben, zu solchen Dingen ein taktisches Verhältnis zu entwickeln – was uns schwer im Magen liegt.
Also davon auszugehen, dort militant mit Rollkommandos die Sache in die Hand zu nehmen, dort zu verhindern, daß MigrantInnen ständig bedroht werden, ist illusionär. Es gibt somit ein Auseinanderklaffen von Theorie und Praxis. Man hat klar, worauf der eigene Antifa-Anspruch beruht: Wir arbeiten dem Staat nicht zu, wir erwarten vom Staat nicht, daß er antifaschistisch aktiv wird. Wir sind aber in dem Dilemma, daß solche Situationen, wie wir sie im Muldentalkreis oder an anderen Orten finden, es notwendig machen, daß für den Alltag der dort lebenden potentiellen Opfer etwas in dieser Richtung passiert.
telegraph: Wenn die klassischen Muster von Antifapolitik in Wurzen nicht greifen, was ist Eure Schlußfolgerung daraus?
Bündnis gegen Rechts: Die Demo war als Höhepunkt in andere antifaschistische Aktivitäten eingebettet. Diese Aktivitäten hatten zum Ziel, in die Jugendpolitik einzugreifen, auf dem Gebiet der Stadtpolitik zu intervenieren und der kulturellen Hegemonie der Nazis etwas entgegenzusetzen. Die Intervention sah so aus, daß wir in der Lage waren, mehrere tausend Antifas in die Stadt zu mobilisieren und so ein gewisses Druckpotential entwickelten.
Praktisch war uns das kulturelle Feld sehr wichtig. Dort setzen wir den Schwerpunkt, da wir dieses Feld bei der angestrebten Entwicklung, an deren Ende ein alternatives Jugendzentrum stehen sollte, für wesentlich halten. Wir haben uns sehr langsam rangetastet. Wir wollten keine einmaligen Events schaffen, wie es bei der Antifa-Konzertreihe „Am Rande des Wahnsinns“ (einer Antifa-Konzert-Tour durch fünf brandenburgische Städte im Jahr 1994) der Fall war, sondern Modelle entwickeln, die kontinuierlich funktionieren. Wir haben uns dann auch bewußt gegen Konzerte entschieden und mit Kinoveranstaltungen angefangen, die politisch sehr niedrigschwellig angesetzt waren. Wir brachten völlig triviale Filme, wie die „Olsenbande“, die doch attraktiv waren, um zu versuchen, andere Leute zu ziehen.
Die Prämisse bei diesen Veranstaltungen war, daß Leute mit Naziaufnähern oder -symbolen keinen Zutritt finden. Das Problem stellte sich jedoch nie ein, weil Leute dieser Coleur überhaupt nicht kamen. Das Spektrum des Publikums waren dann eher Gymnasiasten, jüngere Kids und normale Jugendliche. Das haben wir vier Mal gemacht. Der Zulauf war schwankend, er reichte von 10 bis 50 Leuten. Wir haben im Nachhinein jedoch festgestellt, daß wir es so niedrigschwellig angesetzt hatten, daß die überhaupt kein Verständnis dafür entwickeln konnten, was da jetzt eigentlich passiert. Sie wußten im Endeffekt gar nicht mehr, daß wir Antifas waren. Wir haben es nicht geschafft, uns nicht als Sozial- oder Jugendarbeiter darzustellen.
telegraph: Die Demo in Wurzen wurde von einem breiten Bündnis unterstützt, wie setzte sich Eure Bündnispolitik fort ?
Bündnis gegen Rechts: Um die Wurzen-Demo gab es sehr haarige Auseinandersetzungen, die uns sehr viele Nerven kosteten, weil wir beispielsweise bei der PDS nichts vorraussetzen konnten. Dort wurde mit einer Ostbrille durchs Leben gegangen und sie konnten mit einem autonomen Habitus nur sehr wenig anfangen. Bei der Verteidigung unserer Inhalte, speziell was die Sicht auf die Bevölkerung betrifft oder was den Rassismus aus der Mitte angeht, hatten wir gerade mit der PDS Probleme, weil sie ja von den Leuten gewählt wird, die wir dort angreifen. So kam es zu sehr grundsätzlichen Diskussionen.
Diese intensiven Diskussionen führten allerdings auch dazu, daß dieses Bündnis wirklich demofest war – es hat sich weder im Vorfeld der Demo, noch danach auseinanderdividieren lassen. Geblieben ist davon eine ziemlich gute Arbeitsbasis. Die Bündnisarbeit am 1.Mai (im Bündnis gegen den geplanten Nazi-Aufmarsch in Leipzig) war durch die Vorarbeit der Wurzen-Demo um einiges einfacher. Wir brauchten nicht mehr grundsätzlich diskutieren, sondern konnten auf gemeinsame Positionen aufbauen.
Hinter Eurem Satz „Das Ende faschistischer Zentren, wie wir sie kennen“ steht die Analyse, daß wir es in Ostdeutschland mit einer besonderen Situation zu tun haben, in der es zu einer solchen Ausbildung von Nazi-Zentren kommen kann.
telegraph: Seht Ihr das immer noch so und wie muß sich demnach eine ostdeutsche Antifapolitik gestalten ?
Bündnis gegen Rechts: Das Hauptmotiv, warum wir die Demo gemacht haben war: So eine schlimme Situation wie hier finden wir nirgends. Dann haben wir uns in die Arbeit gestürzt, haben recherchiert und fanden uns bestätigt: Es ist tatsächlich sehr schlimm dort. Wir haben dann aber im Zuge der Mobilisierung auch mit anderen ostdeutschen Antifagruppen Kontakt bekommen, zum Beispiel in Ostsachsen, um Görlitz herum, oder wir haben die Wurzener Situation mit der in Schwedt abgeglichen. Wir haben ziemlich lange daran festgehalten zu behaupten, daß die Situation in Wurzen am weitesten fortgeschritten ist. Aber die Grundmuster, aus denen so etwas entstehen kann, sind in Ostdeutschland überall die selben. Irgendwann haben wir gesagt: Die These, das Wurzen am weitesten fortgeschritten ist, können wir nicht mehr aufrechterhalten, weil wir aufgrund von Erfahrungsberichten von Antifas gesagt haben: Der einzige Unterschied ist der, daß es bei Euch noch eine Antifastruktur gibt, ansonsten habt Ihr dieselben Probleme, die es im Muldentalkreis auch gibt. Man kann daher nicht sagen, daß Wurzen und der Muldentalkreis besonders herausragend sind.
telegraph: Was sind die spezifischen Ostbedingungen, aus denen solche Probleme resultieren ?
Bündnis gegen Rechts: Das Gefälle zwischen Ost und West zeigt sich zum einen erst einmal darin, daß es im Osten eine viel offenere rassistische Subkultur gibt, so schreitet z.B. die Verbreitung von Fascho-Musik wahnsinnig fort. Zum anderen: Was die DDR an Mief aus tausend Jahren in vierzig Jahren nicht abgelegt hat, wirkt sich insofern aus, daß die Bevölkerung im Osten, was die sogenannten deutschen Sekundärtugenden betrifft, tatsächlich deutscher ist, als die Bevölkerung im Westen deutsch ist. Die Provinzialität und die Deutschtümelei ist im Osten um einiges offener, als man es im Westen findet. Grundsätzlich tritt hier Rassismus viel offener zutage. Die Nazi-Strukturen sind nicht so ausgeprägt, aber dafür massiger anzutreffen. Es gibt so gut wie kein liberales Spektrum, das einen Puffer darstellen könnte und es gibt hier kaum MigrantInnen.
telegraph: Wenn sich die Bedingungen im Osten von denen im Westen so sehr unterscheiden, was muß dann hier an Antifapolitik anders laufen ?
Bündnis gegen Rechts: Ich denke, eine Antifapolitik müßte grundsätzlich anders aussehen. Die Antifapolitik, die es im Osten gibt, ist – berechtigterweise – von Modellen der West-Linken-Antifaszene übernommen. Rein vom Strukturaufbau sieht es so aus, daß es nach ‘89 hier rübergeschwappt ist und auch das Entstehen einer autonomen Szene bewirkt hat. Eine Ost-Spezifik in der Antifaszene sehe ich überhaupt nicht, was die Symbolik, die Politikmittel und das Politikverständnis betrifft, ist es hier genauso heterogen, wie im Westen. Mit dem Unterschied, daß es eine bewegungslinke Geschichte im Osten nicht gab.
Konkret zu sagen, was Antifa-Politik anders machen sollte, ist derzeit genauso wenig möglich, wie eine Aussage darüber, was die gesamte Linke anders machen müßte, um erfolgreich zu sein. Das Einzige, was sich anböte darüber zu diskutieren, wäre ein anderes Verständnis von Rassismus. Das heißt eine andere Analyse von Rassismus, ein anderes Verständnis von der Besonderheit des Nationalsozialismus, seine Singularität und seine Besonderheit innerhalb anderer Faschismen, die es in der Geschichte gegeben hat. Mit dem anderen Verständnis von Rassismus meine ich, ihn nicht als ausschließliches Herrschaftsmodell verstehen zu wollen, sondern auch als Ausdruck eines weitverbreiteten Volkswillens. Wenn man darüber in der Antifaszene diskutieren könnte, was für meine Begriffe sehr schwer ist, könnte man zu neuen Politikformen und einem neuen Politikverständnis kommen.
telegraph: Was wären die Konsequenzen daraus ?
Bündnis gegen Rechts: Die Konsequenzen wären die, daß es einen mutmaßlichen Massenbezug ohne weiteres nicht mehr geben könnte.
telegraph: Das würde bedeuten, antifaschistische Politik wäre Politik gegen die Bevölkerung ?
Bündnis gegen Rechts: Ja, weil der Rassismus aus der Mitte dieser Gesellschaft kommt.
telegraph: Was kann nun eine spezifische Politik zu den spezifischen Bedingungen sein ?
Bündnis gegen Rechts: Die Frage ist, in wie weit läßt sich aus der Analyse, daß es den Massenbezug nicht geben kann, ein „konstruktiver“ Politikansatz ableiten. Das läßt sich geschichtlich an der Marginalität, die der antifaschisitische Widerstand in Deutschland gehabt hat, ablesen. Darauf fußend stellt sich dann die Frage: Wie „konstruktiv“ kann Antifapolitik tatsächlich sein? Ich denke, die Konstruktivität stößt dort tatsächlich an ihre Grenzen. Viel mehr ist es so, daß das Subversive und Rebellische in der Antifaszene durchaus ein wesentliches Element ist, um auch perspektivisch attraktiv für jüngere Leute zu sein. Das heißt, die Entscheidung zum Antifaschismus ist auch in den Zusammenhang zu stellen, zu welchem Wertemodell man sich in diesem Land bekennt: Ist es das Bekenntnis zu den deutschen Tugenden oder ist es das dagegen?
Eine individuelle Entscheidung zum Antifaschismus ist schwierig, wenn die Antifas wie in Wurzen oder in Schwedt in der Minderheit sind. Dort können Antifas von außen immer nur sporadisch einfallen bzw. die Presse alarmieren – aus diesem strukturellem Manko muß ein Weg hinaus gefunden werden.
Wir haben sarkastisch gesagt, es gäbe in Wurzen die Konsequenz, für einige Jahre und zuhauf in den Muldentalkreis zu ziehen. Aber das ist eine individuelle Kiste, wo ganz schnell klar wird, daß man gewisse Annehmlichkeiten des Rückzugsgebietes sehr schätzt. Das muß man der Ehrlichkeit halber sagen, daß eine Konsequenz in dieser Form von niemanden zu erwarten und zu verlangen ist.
Zum anderen ist die Frage der Adressaten von Antifapolitik eine ziemlich entscheidende. Die Sozialisation der West-Linken und der Antifa, die daraus entsprungen ist, ist immer darauf gerichtet, eine liberale Öffentlichkeit für sich mobilisieren zu können. Das hat sich ’68 gezeigt, das hat sich im „Deutschen Herbst“ gezeigt und das hat sich selbst bei den Häuserkämpfen gezeigt. Die Situation ist aber die, daß diese liberale Öffentlichkeit im Westen spätestens seit ’89 hinweggegangen ist und daß es sie im Osten nie gegeben hat und vermutlich nie geben wird. Das ist ein Dilemma, mit dem sich schwer abzufinden ist. Mein persönlicher Vorteil ist, daß ich diese liberale Öffentlichkeit nie kennengelernt habe.
telegraph: Worin liegt nun das ostspezifische an dem Antifanasatz, wie Du Ihn vorschlägst ?
Bündnis gegen Rechts: Es muß nichts Spezifisches geboren oder heraufbeschworen werden. Das subversive und rebellische Element gilt es, kritisch zu hinterfragen und zu überarbeiten, aber ich sehe dazu tatsächlich keine Alternative, weil das Heraufbeschwören des Generationskonfliktes in meinen Augen immer noch ein Erfolgsmodell ist.
telegraph: Es gibt also gegen eine ostspezifische Faschoproblematik keine ostspezifische Antifastrategie? Zu den Antifamodellen der West-Linken gibt es keine Alternative ?
Bündnis gegen Rechts: Es gibt dazu keine Alternative. Das Problematische ist, daß man an diesem Bruch mit den Wertemodellen und am symbolischen Rebellieren festhält, indem man sagt, wir unterstützen Alternativzentren, wir brauchen Jugendzentren, sie sind die Homebase, um überhaupt etwas ausrichten zu können.
In der Nazi-Szene oder in der rechten Jugendkultur funktioniert aber genau dasselbe Modell. Der einzige Unterschied ist, daß die in ihrer Argumentationsweise hintenrum den Umkehrschluß mit ihren Eltern hinbekommen. Die Argumente des täglichen Rassismus, die Konsequenz, die verbal eingefordert wird, die trifft sich hintenrum wieder. Was zum Beispiel in der Punk-Bewegung nie Anspruch gewesen ist, Avantgarde für die Eltern zu sein- das funktioniert bei den Nazi-Jugendlichen. Das heißt, die beanspruchen für sich: wir sind die Vorhut für unser eigenes Volk, wir sind die Vorhut unserer eigenen Eltern. Diesen Unterschied herauszuarbeiten und daraus etwas praktisch abzuleiten ist sehr spannend auf subkulturellem Feld. Die Schwierigkeit ist, daß vieles, was als linkscodiert gilt, zur Ware geworden ist und durch Verpoppung rebellische Momente weggeblendet worden sind. Das macht das Dilemma aus.
telegraph: Wo siehst Du erfolgversprechende Ansätze ?
Bündnis gegen Rechts: Generell läßt sich das nicht sagen. Der wichtigste Ansatz ist, sich nicht aus subkulturellen Sachen rauszunehmen. Das Bestreben sich davon rausheben zu wollen, führt dazu, daß die Antifaszene zur Pufferzone zwischen denen, die rebellieren und der Masse von Sekundärtugendfreunden wird. Diese Hin- und Hergerissenheit sollte eine Antifaszene nicht nötig haben. Die Richtung ist aber schon die, ein abgrenzerisches Wertemodell vom Mainstream zu entwickeln. Diese Abkehr ist grundsätzlich richtig – das Problematische an der Sache ist, wie können wir uns davor schützen, selbst nur Jugendtrends zu machen. Unsere Codes, wie Kleidung etc. sind nicht davor gefeit, vermarktet zu werden und durch Pop populär zu werden, so daß eine völlige Beliebigkeit entstehen würde, ob jemand eine Hassi trägt oder eine Faust, die ein Hakenkreuz zerschlägt. Ich denke, der Ansatz kann nur sein, theoretisch fundierter dazu zu arbeiten, daß genau der Zustand, daß alles zur Ware wird, kritisiert wird. Das heißt eine Kapitalismuskritik zu bringen. Wie das praktisch aussieht, ist unklar.
telegraph: Danke für das Interview
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