AUFSTAND IN OST UND WEST – WESTBERLINER AUTONOME UND DIE DDR

aus telegraph 1/1999
von Benjamin Kaminski

Am Abend des 13.12.1981 klirrten am Kurfürstendamm in Westberlin mal wieder die Scheiben. Gezielt wurden aus einer Spontandemo von etwa 200 Menschen heraus die Schaufenster der sowjetischen Fluggesellschaft Aeroflot, der polnischen LOT, der britischen BEA und der US-amerikanischen Pan Am eingeworfen – „Aufstand in Ost und West, gegen Warschauer Pakt und Nato-Pest“. Beschlossen und organisiert hatte diese Demo am selben Nachmittag der westberliner Besetzerrat als Antwort auf den Militärputsch in Polen. Verwirrt schrieb die „Bild“-Zeitung am nächsten Tag von „wütenden jungen Leuten“ statt der üblichen „Chaoten“.

Soviel zum in Ostberliner Seitenstraßen gerne kolportierten Gerücht, „die“ Westautonomen bzw. Westlinken hätten sich nie um den Osten geschert. Trotzdem wundert es mich noch heute, wie widerspruchslos diese Demo von fast allen Anwesenden auf dem Besetzerrat getragen wurde. Natürlich kann diese Aktion gegen den Militärputsch in Polen nicht wegmachen, daß es einen antiimperialistischen Flügel der HausbesetzerInnenbewegung und einen DKP-gesteuerten Flügel der Friedensbewegung gab. Aber uns gab es auch. Und wir fühlten uns mit allen Aufständischen weltweit solidarisch. Sicher hatten wir mit den realen Menschen in Polen wenig zu tun (genau so wenig wie mit den Menschen in Mittelamerika), aber wir hatten ein sicheres Gespür, wo sich Aufständische und RebellInnen gegen Macht und Herrschaft bewegten. Und dieses Gefühl war für uns unteilbar.

Und es war nicht nur Gefühl: Die anarchistische und sozialrevolutionäre Kritik an der SU war uns geläufig, die DKP und SEW uns verhaßt, und der Kampf der eritreischen Befreiungsbewegung gegen das von der SU gestützte Folterregime in Äthiopien ein Begriff. Aus dem alles lähmenden Dualismus BRD/DDR wollten wir raus. Die RAF interessierte uns als politisches Projekt wenig, auch wenn wir noch nicht wußten, daß sie zur gleichen Zeit bei der StaSi unterm Kirschbaum saß und an ihrem Frontpapier schrieb. Vielleicht gefühlsmäßig ahnten. Im wohl wichtigsten Organ der Bewegung 1980/81, der radikal, wurde immer wieder positiv auf Solidarnosc und die Streiks in Polen Bezug genommen.

Doch nun zur DDR. Dort gab es 1980/81 eben keine Aufstände, und mit unserem reduzierten Raster suchten wir nach Mollies und Steinen. Wer keine Verwandten in der DDR hatte, kannte höchstens die Transitautobahnen und die beliebten Mitropa-Gaststätten. Die wenigen Menschen, die in diesen Jahren aus der DDR nach Westberlin kamen, ließen sich in unserer Szene wenig blicken oder verließen diese meist nach wenigen Tagen kopfschüttelnd.
Im Oktober 1983 erscheinen in der radikal zwei Artikel über die DDR, die beide als wesentliches Gefühl bei einem Besuch der DDR die Fremdheit beschreiben, obwohl die politischen Gemeinsamkeiten wie der Kampf gegen Militärdienst und Hochrüstung auf der Hand zu liegen scheinen. Mauerspringer erzählt vom Besuch einer Bluesmesse in der Erlöserkirche, „keine 500 Meter von Kreuzberg entfernt“. Weil er nach ein paar Stunden wieder rüber kann, fühlt er eine Fremdheit in sich, die zur Distanz wird und verhindert, daß er jemanden anzusprechen getraut. Enttäuscht stellt er am Abend fest: „… ich fahr‘ wieder zurück, hab‘ die Fremdheit nicht knacken können, Spielfilmwechsel, jetzt läuft wieder Westprogramm.“ Ansonsten wird beschrieben, wie Tausende diese Bluesmesse besuchen, und im Rahmen von Gottesdiensten darum gebetet wird, daß „der Herr uns die Kraft geben möge, allen Militärdiktaturen zu widerstehen, in Chile, in Guatemala und anderswo“. Jeder weis, daß mit „anderswo“ Polen gemeint ist, aber dieses kleine Wort explizit in der Öffentlichkeit auszusprechen ist die Grenze, wo 1983 in der DDR die reale Bedrohung mit Knast anfängt. Mauerspringer ist wahrscheinlich gewohnt, bei „Anarchie als Minimalforderung“ mit diskutieren anzufangen. In einem Vorspann versucht die radikal-Redaktion eine Parallelität in der Benutzung von Pseudonymen herzustellen: „Beide Artikel unter Pseudonym – Angst vor Moabit. In der DDR müßten sie auch ein Pseudonym benutzen – Angst vor Pankow.“

Diese Fremdheiten beginnen sich erst ab Mitte der 80er Jahre ansatzweise aufzulösen, als immer mehr Exilanten aus Sachsen und Thüringen in Westberlin stranden, die alltagskulturell an die inzwischen entstandene autonome Szene andocken können. In manchen Klassen der SFE im Mehringhof (Schule für Erwachsenenbildung – zweiter Bildungsweg) stammt fast die Hälfte der SchülerInnen aus der DDR. Erst dadurch entstehen mehr persönliche Beziehungen. Da sie meist nicht mehr in die DDR einreisen dürfen, fahren wir für sie zu ihren Eltern und Geschwistern, Weihnachtsgeschenke und Briefe, die besser nicht mit der Post gehen sollen, abgeben, und Treffs mit ihren FreundInnen in der CSSR klarmachen.

Doch für die Allermeisten bleibt die Fremdheit. Kopfschüttelnd kommen drei Freund-Innen von einer Fahrt nach Jena, Weimar und Leipzig zurück. Als zu fremd, zu eingesperrt, empfinden sie die alltägliche Lebens-athmosphäre. Wir, die wir die Enge der süddeutschen Kleinstädte nicht ertragen, wie sollen wir es in Jena oder Weimar aushalten?
Auch konkret politisch fällt der autonomen Linken bis Mitte der 80er Jahre nicht allzuviel zur DDR ein. Klar sind wir abstrakt gegen die Diktatur der SED, gegen Militär, militärische Disziplin und Wehrpflicht, gegen die Mauer und das Reiseverbot, doch wir finden, und meiner Meinung nach gibt es auch keinen Ansatz zum aktiven Handeln. Da liegt Nicaragua einfach näher. Und gleichzeitig genießen wir in unseren Nischen in Westberlin auch die kleinen Vorteile der Ost-West-Konfrontation: keine Wehrpflicht und jede Menge staatliche Subventionskohle, um das Schaufenster des Kapitalismus am Leuchten zu halten. Und welche implizite Bedeutung die Systemkonkurrenz für die Ausgestaltung des Sozialstaats in Westdeutschland hat, erleben wir seit dem Ende der DDR.

Doch im Laufe des Jahres 1987 beginnt sich dies zu ändern. Langsam entsteht ein neues Interesse an den Veränderungen im Ostblock, nicht zuletzt durch Gorbatschow. Dieser löst mit seinen ambivalenten politischen Botschaften – einerseits endlich bürgerliche Freiheitsrechte auch im Sozialismus zuzulassen, andererseits den Ostblock für den kapitalistischen Weltmarkt fitmachen und das jahrzehntelange Patt zwischen ArbeiterInnenklasse und Kommunistischen Parteien aufbrechen – auch bei uns eine irritierte Neugierde aus. Soll auf die zentralstaatlich gelenkte nachholende Modernisierung doch die Fabrik mit von der Belegschaft gewählten Fabrikdirektoren folgen? Sollen die Kolchosen wirklich in selbstverwaltete Genossenschaften als freie Assoziation der BäuerInnen übergehen? Oder bereitet er nur den Ausverkauf an den westlichen Kapitalismus vor? Klar wissen wir heute, was Illusionen waren und was sich real durchgesetzt hat. Aber um die politische Ambivalenz zu verstehen, mit der wir damals den politischen Veränderungen im Ostblock gegenüberstanden, ist es wichtig, uns dies nochmal klarzumachen. Und diese Ambivalenz durchzog und lähmte auch die Opposition in der DDR, als es drauf ankam. Revolutionen macht mensch auf jeden Fall nicht mit Ambivalenzen, sondern mit klaren Forderungen und Zielen. Für die DDR hießen damals die realpolitischen Alternativen: Sturz der SED-Herrschaft um jeden Preis, was de facto eine Übernahme durch den Westen bedeutete, oder ein Bündnis mit den moderaten Teilen der DDR-Eliten in Partei, StaSi, Staat und Kirche, um eine grundrenovierte DDR zu erreichen. Realpolitik ist – zum Glück – nicht unsere Stärke. Nur sollten wir uns auch dies nochmal klarmachen, wenn wir über die Wende reden. Und nicht anderen die Schuld geben, wenn wir über unsere eigenen Füße gestolpert sind.

Auf jeden Fall gibt es seit 1987 wieder mehr politische Kontakte in die DDR. Viele nehmen den „Kirchentag von Unten“ 1987, mit der Androhung einer Kirchenbesetzung durch die DDR-Opposition, wahr. Die im Vorfeld der IWF-Kampagne 1988 neu gegründete Wochenzeitschrift Interim der westberliner Autonomen druckt viele Flugblätter und Zeitschriftenartikel aus den Ostberliner Untergrundzeitschriften Umweltblätter, Grenzfall und Friedrichshainer Feuermelder nach. Und in autonomen Kreisen wird manche Reise einer Geha-Druckerpatrone für die Abziehgeräte und Doppelcassettendecks in den Osten organisiert; bezahlt aus den finanziellen Überschüssen vieler autonomer Projekte und Alternativbetriebe. Nur bindet man es den „Schwatzbasen im Osten“ nicht auf die Nase, sondern faselt was von Alternativer Liste (AL), etc. als Quelle. Spätestes seit Mitte 1988 war die Interim, die radikal und das Antifa-Infoblatt in der Ostberliner Umweltbibliothek erhältlich. Gleichzeitig entstehen Radio Glasnost im Rahmen von Radio 100 und auch bei der taz gibt es ab und zu eine Seite der Ostberliner Opposition.

Das hört sich jetzt alles sehr bauchpinselnd euphorisch an. Was ich damit sagen will, ist, daß ein gemeinsames bzw. paralleles Vorgehen gegen die Herrschenden in Ost und West nicht an technischen Problemen und Voraussetzungen gescheitert ist, sondern an kulturellen Fremdheiten im Alltag und inhaltlichen politischen Ambivalenzen auf beiden Seiten. Wie aus dem Osten uns zu recht vorgeworfen werden kann, daß die realen Unterdrücker in der DDR all zu oft verharmlost wurden, gilt dies umgekehrt aber genauso: wer schrieb denn 1988 einen Bettelbrief an IBM und andere Westfirmen, um alte Kopiergeräte für die DDR-Opposition zu bitten? Im Buch „20 Jahre radikal“ schreibt dazu Billy the kid: „Es gab Solidarität mit den kämpfenden Bewegungen im Ostblock. Aber diese Solidarität braucht erstens ein Subjekt und zweitens die Voraussetzung, daß die Kämpfenden dort sich nicht den Herrschenden hier in die Arme werfen.“ Diesen Satz können sich nun West- wie Ostlinke gegenseitig um die Ohren knallen. Und dann das Problem des fehlenden Subjekts in der DDR, auf das man sich hätte beziehen können. Sicher setzte die StaSi alles daran, genau das Entstehen eines antagonistischen Subjekts (wie Solidarnosc in Polen) zu verhindern. Und sie war jahrelang erfolgreich mit ihrer Strategie, den Widerstand durch mehr oder weniger freiwillige Ausreisen in den Westen ständig ausbluten zu lassen. Und als es im Januar 1988 endlich so weit hätte sein können, knickten zu viele der Akteure nach wenigen Tagen in StaSi-Haft ein und willigten in ihre Ausreise ein. Persönlich sicher nachvollziehbar, aber politisch eine Katastrophe.

Auch im Jahr vor der Wende wird der sich weiter immer wieder neu formierende Widerstand in der DDR aufmerksam verfolgt. Am 25.11.88 nennt sich die Interim „VEB Interim“ und berichtet auf 12 Seiten über die Aktionen in Ostberlin gegen die IWF/Weltbank-Tagung, wirtschaftpolitische Diskussionen in Berlin-Friedrichsfelde und die Repression gegen Punks in Dresden. Das einleitende Vorwort endet mit dem Hinweis, daß die von 25 DDR-Basisgruppen geforderte Wählbarkeit von Direktoren und Lehrern „auch hier mal auf die Tagesordnung gesetzt werden könnte“. Ich glaube behaupten zu können, daß 1988 sich in keiner westdeutschen Zeitschrift so viele Originaltexte aus der DDR finden lassen wie in der Interim. Immer ihrer Zeit voraus, spüren einige westberliner Autonome sehr wohl, daß sich im Osten eine „vorrevolutionäre Situation“ zusammenbraut, wie die Interim am 26.10.89 schreibt. „Nur sei leider noch völlig offen, ob es in Richtung einer bürgerlichen Demokratie oder eines libertären Sozialismus kippt.“ Den ganzen Sommer und Herbst 1989 finden sich in der Interim Artikel, Beiträge und öffentliche Briefe aus der DDR und vereinzelt anderen Ostblockstaaten. Die grundsätzliche Zurückhaltung der Redaktionen der Interim mit eigenen Kommentierungen – in der Interim sollen die AutorInnen der Texte selbst sprechen – gilt auch für die Texte aus der DDR. Das Politikum ist, daß sie an so hervorgehobener Stelle im Heft abgedruckt werden. Es kann nicht behauptet werden, daß sich „die“ Westautonomen nicht für die Situation im Ostblock interessierten. Wenn’s überblättert wurde, war dies ein individuelles Problem; machten aber meiner Erinnerung nach viele, weil die DDR ihnen einfach – wie oben beschrieben – zu fremd war. Eine reale Auseinandersetzung mit den Verhältnissen in der DDR hätte zuviel Anstrengung bedeutet und als Projektionsfläche für revolutionäre Träume taugte sie nun ja überhaupt nicht. Da war Nicaragua einfach exotischer. In der Ausgabe vom 12. Oktober 1989 taucht eine Stellungnahme einer Interim-Redaktionsgruppe auf, die klar benennt, welche Gruppen in der DDR sie unterstützen möchte: „Keine Wiedervereinigung und Beibehaltung des gesellschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln (unabhängig von den konkreten Organisationsformen) sind jedenfalls für uns Grundvoraussetzungen für einen Widerstand gegen die Parteibonzen in der DDR, der nicht Gefahr läuft, direkt in die Hände der Bonner Mafia zu arbeiten.“ Desweiteren wird sich in diesem Vorwort explizit gegen die Einmischung durch Westmedien in die inneren Angelegenheiten der DDR ausgesprochen. Dies geschieht durch die Veröffentlichung eines taz-Konzepts zum 7. Oktober, das die Herausgabe eines Extrablattes plant, falls es an diesem Tag zu großen Ereignissen in Ostberlin kommt.

Von der Flüchtlingswelle des Sommers ’89 werden wir genauso überrollt wie alle anderen in Westdeutschland. Was sollst du gegen Menschen sagen, die einfach auch mal nach Italien und ein Auto fahren wollen, das aus mehr als Pappe besteht. Und „richtiges Geld“ verdienen. Du hast es selbst nicht in Süddeutschland ausgehalten, warum sollen sie es aus „revolutionärer Pflichterfüllung“ in der DDR aushalten. Gleiche Rechte für Alle!
Den Abend des Falls der Mauer am 9.November würde ich auch heute noch als einen der glücklichsten Momente in meinem Leben und im Leben dieser Stadt bezeichnen. Ungeachtet all‘ der politischen Implikationen, die die Maueröffnung nach sich zieht, sondern auf der rein menschlichen Ebene. Jetzt können wir uns mit den FreundInnen aus Ostberlin und der DDR auch in Westberlin treffen. Und etliche meiner aus der DDR ausgebürgerten Bekannten können seit diesem Tag FreundInnen, Geschwister und Eltern wiedersehen. Man sollte diese Ebene nicht zu gering schätzen, denn daraus speist sich zu einem Teil die Dynamik der kommenden Monate.

Gleichzeitig laufen wir an den Tagen der Maueröffnung nochmal mit unserem autonomen Aktionismus zur Höchstform auf. Es gelingt uns, zusammen mit vielen anderen, Kohl und seine Bande beim Absingen des Deutsch-landslieds vor dem Rathaus Schöneberg abstürzen zu lassen. Wir organisieren eine Demonstration auf dem Ku’damm am 12.11.89 mit ca. 3.000 Leuten. „Die Freiheit die sie meinen, ist die der Deutschen Bank“ schreien wir den hunderttausenden an den Straßenrändern stehenden DDR-BürgerInnen entgegen. Doch die schauen uns nur völlig entgeistert wie Marsmenschen an. Real sind wir zu schwach und haben weder im Osten noch im Westen eine ausreichend im Alltag der Menschen verankerte Programmatik, um der Entwicklung etwas entgegenzusetzen. Die „reale“ ArbeiterInnenklasse der DDR entscheidet sich ganz klar für die Westmark. Warum sollen sie für 800 Mark der DDR weiter in ihren heruntergewirtschafteten Betrieben schuften, wenn es bei einer Vereinigung für die gleiche Arbeit auch 2.500 DM geben wird. „Kommt die DM, bleiben wir!“ lautet die geschickte Erpressung des westdeutschen Etablishments, das sich aufgrund dieses Drucks für die – rein wirtschaftlich betrachtet widersinnige – sofortige Einverleibung der DDR entscheiden muß. Die ersten Pläne der Bundesregierung im Herbst/Winter 89/90 gingen noch von einem zehnjährigen Anpassungsprozeß aus. Daß sie dies einem großen Teil der ArbeiterInnen der DDR bitter heimzahlt, steht auf einem anderen Blatt.

Und auch die sonstige Westlinke spricht sich immer nur abstrakt und auf der ideologischen Ebene für den Erhalt der DDR aus. Konkret hat auch von ihnen niemand Lust für 800 Mark der DDR im Monat nach Leipzig zu ziehen und dort Straßenbahn zu fahren. An den großen Entwurf des Kommunismus glauben zu wollen, aber sich selbst nicht auf der konkreten Baustelle im Schlamm denken zu können. An dieser zentralen materiellen Frage, woher sollen die Brötchen kommen, und wieviele für welche Anstrengung, scheitern wir im seit Jahrzehnten im Westen und genauso die libertären Linken im Osten. Als sich die Staubwolken der Wendewirren lichten, stellen sie sich als genauso gesellschaftlich isolierte, persönlich meist aus dem Mittelbau der DDR-Eliten kommende, Szene heraus wie die Autonomen im Westen.

Zehn Jahre später ist es müßig, darüber zu spekulieren, was wäre gewesen, wenn …! Würde ein Hans Modrow als Ministerpräsident der DDR 1999 anders handeln können als die ex-kommunistischen Präsidenten von Polen oder Ungarn? Mit der gleichen Ambivalenz, mit der wir uns Ende der 80er Jahre nicht für oder gegen die DDR als solches entscheiden konnten, weinen wir ihr nun eine freudige Träne nach. Einerseits sind wir endlich raus aus dem alles lähmenden Systemdualismus, und andererseits erleben wir jetzt, wie die Systemkonkurrenz unsere Ver-handlungsposition als Menschen, die vom Verkauf ihrer Arbeitskraft leben, gegenüber den Kapitalisten gestärkt hat.

Die anstehenden Fragen einer sozialrevo-lutionären Bewegung in Europa hat meiner Meinung nach wenig bis nichts mit der historischen Frage nach der DDR und dem Widerstand in diesem Land zu tun. Zu verwickelt ist die Geschichte der DDR mit den stalinistischen Verbrechen und den Fehlern der kommunistischen Bewegungen, als da etwas als Vorbild zu retten wäre. Die paar positiven Mentalitätsunterschiede der BewohnerInnen der Ex-DDR im Verhältnis zu den Ex-BRDlerInnen wiegen sich mit den negativen auf. Die Grenze verläuft weiterhin nicht zwischen der Ex-BRD und der Ex-DDR, sondern zwischen Oben und Unten.

Der Autor war Anfang der achtziger Jahre in der Westberliner Hausbesetzerbewegung aktiv, Autonomer der ersten Stunde, Autor verschiedener Zeitschriften.

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