DIE DOPPELTE ISOLATION

Zum Ausgang der oppositionellen Gruppen in der „Wende“
aus telegraph 1/1999
von Thomas Klein

Vorbemerkung
Einige Zeithistoriker gehen heute der Frage nach, worauf die Marginalisierung der neuen politischen Bewegungen des Herbstes 1989 in der DDR zurückzuführen ist, welche schon unmittelbar in und nach dem Umbruch des Jahres 1990 einsetzte. Es ist vernünftig, diesen Begründungszusammenhang nicht nur und noch nicht einmal hauptsächlich in den Essentials des Agierens der Opposition während der „Wende“ und in den politischen Randbedingungen im Kontext der sich entfaltenden DDR-Systemkrise zu suchen, sondern in der Vorgeschichte dieser Bewegungen, also in der Geschichte des alternativen Basis-gruppenmilieus der achtziger Jahre. Ein Schlüssel zur Erklärung des Ausgangs oppositioneller Bewegungen nach der „Wende“ liegt darüber hinaus in der Analyse des Verhältnisses von Loyalitätsbindungen der Bevölkerungsmehrheit an das Herrschaftssystem und der tatsächlichen Wirkung von herrschaftskritischen Gegenkräften im Minderheitenspektrum jener alternativen und informellen Gruppen, die als Vorläufer dieser Opposition gelten können. Um dieses Verhältnis in seinem Wandel bestimmen zu können, muß natürlich der jeweilige politik- und sozialgeschichtliche Kontext der letzten Entwicklungsphasen des gesellschaftlichen Systems in der DDR Berücksichtigung finden. Nur dann entgeht man der wohlfeilen Versuchung, das Scheitern der Opposition „kontextfrei“ als organisations- oder strategiepolitisches Phänomen zu erklären.

Die Tücken der wertfreien Forschung
Wie abhängig allein schon die Begrifflichkeit und die Begriffszuweisung dissidenten Handelns von der eigenen Sicht des Betrachtenden auf die vormaligen gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR ist, erweist sich immer wieder von neuem. Dies verdeutlichen Ansätze, welche die DDR als gleichgeschaltete, entdifferenzierte und homogenisierte Gesellschaft behandeln, die Überangepaßtheit auch des intellektuellen Protestpotentials behaupten und dies kritisch an dessen Verhaftung an die Ideale des Sozialismus festmachen. Folgerichtig ist bei solcher Sicht kaum Resistenz oder Opposition auszumachen, der Massenprotest gegen das System wird aus seinem Untergang selbst erklärt oder nur auf den reißenden Strom der Abwanderer zurückgeführt. In totalitarismustheoretischen Ansätzen findet man bei gleichem Beschreibungszugang zur DDR-Gesellschaft jedoch auch Positionen vor, die in einem derart gleichgeschalteten System jedes abweichende Verhalten als grundsätzliche Opposition gegen das System qualifizieren. Auf diese Weise versuchen die Verfechter solcher Positionen, das von ihnen selbst definierte Problem zu lösen, in einer jeden Freiraum vernichtenden Gesellschaft die Entfaltung von oppositionellem und widerständigem Verhalten überhaupt erklären zu können.

Solcherart inkonsequente starre Dichotomie der Qualifizierung mitunter gleichen Verhaltens von Akteuren entweder als durchgehende Anpassungsstrategien oder als Systemopposition weist auf einen wenig tragfähigen Begriff von dieser Gesellschaft hin. Diesen statischen Ansätzen im „bürgerlichen“ Lager der „Sozialismuskritik“ ist dann die Unfähigkeit geschuldet, die Widersprüchlichkeit sich entwickelnder Gesellschaftsstrukturen und ebenso der Opposition gegen sie zu begreifen.
Derart statische Ansätze finden sich jedoch auch im „linken“ Spektrum von Kritikern der Opposition in der DDR. Sowohl die noch verbliebenen doktrinentreuen Betonköpfe aus dem ehemaligen DKP/SEW/SED-Lager als auch Teile des überlebenden „linksradikalen“ antidogmatischen Sektengefüges treffen sich häufig, so spinnefeind sie sich ansonsten immer gewesen sein mögen, wenigstens in einem Punkt: Das Ergebnis der „Wende“ in der DDR betrachtend, war Opposition in der DDR für sie im wesentlichen ein auf die „Konterrevolution“ zielendes oder ein „bürgerlich-reaktionäres“ Unternehmen zur Beendigung des „Sozialismus“. Die damit hergestellte intime Nähe zu konservativen Ges-chichtsbildern, wie sie zum Beispiel in der CDU etwa durch Erhard Neubert erzeugt werden, mag den Betroffenen peinlich sein, aber über die dann von allen Seiten betonte Differenz in der Bewertung dieses Ergebnisses hinaus bleibt kaum etwas übrig, was wirklich als Gegensätze zu vermerken wäre.

Auch der Autor dieses Artikels befindet sich als teilnehmender Akteur des oppositionellen und widerständigen Spektrums der siebziger und achtziger Jahre in der DDR nicht in der Position des distanzierten Zeithistorikers, welcher ausgewogen und unvoreingenommen die Bestandsaufnahme und Analyse seines Gegenstands vornehmen könnte. Die eigene Verwicklung in den Prozess, der hier zur Begutachtung ansteht, belastet die Resultate mit dem Vorbehalt der Befangenheit. Der Hinweis auf den Vorteil der Nähe des damaligen Akteurs zum Gegenstand seiner Betrachtungen kann dies nicht relativieren, wenngleich dieser Vorteil im Besonderen genauere Einsicht in die Prozesse erwarten lassen darf. Dies hier festzustellen, ist um so wichtiger, als Zeithistoriker auch jenseits dieser Art von Befangenheit und ihres Zustandekommens immer auf ihre besondere Weise voreingenommen werten und den Leser darüber nicht im unklaren lassen sollten. Den eigenen Ansatz klar zu formulieren, gehört daher zu den Geboten der Transparenz und dementiert die Legende der wertfreien Forschung.

Worum geht es also, wenn man sich trotz solcher Befangenheiten an die Arbeit machen will? Es geht letztlich darum, aus dem Kontext der Entwicklung des DDR-Systems, ihrem sozialen und politischen Wandel, sowie unter Berücksichtigung der Unterschiede zu bürgerlich-demokratischen Systemen und von systemexternen Einflüssen die Genesis der Begriffsinhalte von Verweigerung, Resistenz, Protest, Opposition und Widerstand zu vollziehen. Der Zusammenhang von jahrzehntelanger über Krisen hinweg sich immer wieder auf neuem Niveau reproduzierender Stabilität des Systems, der Erstarrung seiner Verhältnisse und des plötzlichen Zusammenbruchs ist ebenso herzustellen, wie das tatsächliche Gewicht der in diesem Prozess entstehenden differenzierten Oppositionsmilieus zu bestimmen ist.

So richtig es bleibt, die im Vergleich zu demokratischen Systemen völlig andere Bedeutungszuordnung und Risikozuweisung von Widerstand und Opposition zu betonen, so wichtig ist es, politischen und konzeptionellen gemeinschaftlichen Widerstand auch in Diktaturen deutlich innerhalb der vielen Formen abweichenden Verhaltens identifizierbar zu machen, deren Bandbreite zu erforschen eine Voraussetzung dafür ist.

Eine beliebte Fehlzuordnung resultiert zum Beispiel aus einer wertenden Unterscheidung von Personen und Ini-tiativkreisen in der DDR, die offizielle Institutionen infiltrierten und dort Informationen beschafften oder Selbst-organisations–ve-r-su-che zur kon—ze-p-tio-nellen Arbeit unternahmen, von jenen der „anti-insti-tutio-nellen“ Selbst-organi-sation et-wa in kirchlichen Basisgruppen: Diese Un-ter-schei-dung fällt oft zusammen mit ihrer Qualifizierung im Sinne „konstruktiver“, systemkonformer (also immanenter) Kritik bei Ersteren und als Akteure der Ablehnung oder sogar Bekämpfung des politischen Systems bei Letzteren. Dies darf bezweifelt werden. Nicht der Ort, sondern das Konzept und die tatsächliche Arbeit entscheiden über diese Zuordnung. Mitunter war ein konspirativ rückgebundener Entrismus in legalen öffentlichen Institutionen mit einer klaren eigenen und zum Teil sogar radikalen Zielbestimmung folgenreicher, als das im Vergleich komfortablere Engagement in kirchlichen Tei-l-schutzräumen. Der notwendig größere taktische Aufwand zur Verhinderung einer Selbstkriminalisierung oder machtgeleiteten Ausgrenzung in „institutionellen“ widerständigen Initiativen darf nicht darüber täuschen, daß der Aufwand zur Überwindung einer „Ghettoisierung“ des Milieus im Erfolgsfall bei solchen Gruppen wiederum geringer war.

Politbürokratische Herrschaftstechniken und entpolitisierte Loyalitätsbindungen
Zunächst ist der verbreiteten öko-no-mist-ischen Deutung des Zusammenbruchs der DDR zu widersprechen. Tatsächlich entscheiden neben der Schärfe der inneren Krise und der Auflösung des politischen Herrschaftszusamm-enhangs letztlich weltpolitische Konstellationen über das Fortbestehen wirtschaftlich und finanziell „bankrotter“ Staaten (von denen die DDR nur einer unter vielen war). Häufig trifft man auch auf einfache Deutungen, die sich nur darauf berufen, daß die Herrschenden in der DDR in der Bevölkerung angeblich niemals Akzeptanz gewinnen konnten, woraus dann der Zusammenbruch der DDR als „folgerichtige“ Konsequenz von Massendemonstrationen erklärt werden soll.
Dagegen hat sich aber seit den sechziger Jahren eine langandauernde, unpolitische und ideologieinvariante Loyalität der Bevölkerungsmehrheit zum herrschenden System hergestellt, die in den durch soziale Sicherheit, begrenztem Wohlstand und übersichtlichen sozialen Aufstiegschancen charakterisierten Lebensbedingungen wurzelte. Auch dieser Loyalitätszuwachs hat eine Vorgeschichte: Zuvor war der Versuch der Parteibürokratie gescheitert, durch machtgeleitete ideologiezentrierte und repressionsgestützte Überpolitisierung eine positive Identifikation der Gesellschaft mit dem ihr aufgezwungenen System zu erzeugen. Vor allem seit den siebziger Jahren nahm man diese Überpo-litisierung schrittweise zurück, ohne sie aufzugeben und ergänzte diese Technik um den im Grunde bürgerlichen Rückverweis der Gesell-schaftsmit-glieder auf kompensativen Konsum und übersichtliche Karriere-per-spek-tiven. Gleichzeitig ging mit quantitativem Ausbau der Sicher–heitsapparate die Gewichtsverlagerung von der Repression auf Prävention einher. In der Phase des begrenzten Funk-tio—nierens dieser Herrschaftstechniken stellte sich so eine wachsende „passive“ Loyalität einer Bevölkerungsmehrheit her. Trotz des anhaltenden Politisierungsdrucks und des aufrechterhaltenen umfassenden Orga-nisationsmonopols der Herrschenden führte dies aber nur bei einer (allerdings vergleichsweise größeren) Minderheit über die passive Loyalität hinaus auch zu einer aktiven politischen Identifikation mit diesen Verhältnissen. Gravierend war vor allem die fast durchgehende Entpolitisierung der Gesellschaft. Dies war die Kehrseite des zynischen Sozialvertrags, im Tausch gegen politisches Wohlverhalten die gesellschaftliche „Wohlfahrt“ garantieren und persönlichen Karriereerwartungen entsprechen zu wollen. Mehrheitlich dominierte dann der Rückzug in private Nischen oder die flexible Anpassung. Als durch wirtschaftliche und politische Stagnation auch die loyalitätsbildenden materiellen und sozialen Standards gefährdet wurden und mit abnehmendem Repressionsdruck in den achziger Jahren die systemimmanenten politischen Beschränkungen nicht nur stärker erfahrbar, sondern in Grenzen sogar artikulierbar wurden, brach schließlich das stabilisierende, aber letztlich „äußerliche“ Loyalitätskorsett weg und das Herrschaftssystem zusammen. Denn mit den materiellen Folgen ökonomischer Fehlentwicklungen mußte die an funktionierende Kom-pensationen gebundene Massenloya-lität aufweichen.

Opposition und Widerstand im „real existierenden Sozialismus“
Kamen nun den alternativen und informellen Gruppen insbesondere der achtziger Jahre eher systemstabilisierende Funktionen (im Sinne als das System nicht herausfordernde und daher von den Herrschenden tolerierbare Auffangbecken für Unruhepotentiale) zu oder gefährdeten sie den der Gesellschaft auf-geherrschten „Basiskonsens“? Wie sind überhaupt jene Vorläufer der späteren, allgemein als „oppositionelle“ Gruppen anerkannten und zuletzt legalen politischen Vereinigungen des Herbstes 1989 zu charakterisieren ?

In Anlehnung an die Begrifflichkeit parlamentarischer Systeme wird unter „Opposition“ gemeinhin eine legitime „Gegenkraft im Institutionengefüge“ verstanden, die den Basiskonsens der Gesellschaft teilt. Wird entsprechend dieser Begrifflichkeit oppositionelle Formierung überdies an eine gewisse Homogenität, innere Struktur, Organisation und öffentliches Agieren gebunden, so führt die konsequente Anwendung solcher systemfremden Kategorien auf politbürokratische Verhältnisse zur Charakterisierung der informellen Gruppen als „voroppositionelle Formen der Systemdistanz“. Folgerichtig wären dann frühestens die seit dem Oktober 1989 in Gestalt des Bündnisses von „Neues Forum“ (NF), „Demokratie Jetzt“ (DJ) und „Initiative Frieden und Menschenrechte“ (IFM), dem Kern des späteren „Bündnis 90“ vom Januar 1990, als eine Opposition zu akzeptieren, weil sie die SED „innersystemisch“ herausforderte.

Die Berechtigung solcher Sichtweise darf bezweifelt werden. In allen nominalso-zia-listischen Systemen war jegliche Opposition, ob sie nun den Basiskonsens teilte oder nicht, illegal, auch wenn die Repressionstechniken einem fortlaufendem Wandel unterlagen. Im Normengefüge der DDR-Gesellschaft wäre unter den Bedingungen der Kriminalisierung jeder Opposition dann nur Raum für die Alternative „Anpassung oder Widerstand“ auszumachen, wogegen die Tatsache spricht, daß spätestens seit Ende der siebziger Jahre spezifische Formen von Gegenöffentlichkeit, Organisiertheit und Konzeptionalität entwickelt wurden. Deshalb wäre das besondere Verhältnis von „Opposition und Widerstand“ in der DDR unter den Bedingungen von Konspiration und der Eroberung halblegaler öffentlicher Räume zu problematisieren. Dafür ist die Analyse des spezifischen Prozesses einer „Politisierung“ der Gruppen im Gefüge der unabhängigen Friedens- Ökologie- und Menschenrechtsbewegung in den achtziger Jahren ein brauchbarer Schlüssel. Dies ist aber weiterhin ein Forschungsdesidirat.

Wenden wir uns dem Prozeß der Konstitution und Entfaltung der neuen Oppositionsbewegung vor dem Hintergrund ihrer ursprünglichen Ziele zu. Dazu gehört der soziale Erfahrungshintergrund und das Zustandekommen des Politikbegriffs der neuen Gruppen in den Zeiten des „Vorherbstes“. Wie erwähnt, fand oppositionelle Ideenbildung in den informellen Gruppen der achtziger Jahre in einer Zeit partieller „Liberalisierung“ und sozialstruktureller Differenzierung (von den Herrschenden ursprünglich im Kontext zu entwickelnder Leistungsstimuli projektiert) statt. Das Bestreben einer Mehrheit der informellen Gruppen des „Vorherbstes“, in dieser „liberaleren“ Atmosphäre dem Regime Legalitätsräume auch außerhalb des Kir-chenghettos abzuringen, hat bei einigen Zeithistorikern zu einer Fixierung auf den „bürgerlichen“ Oppositionsbegriff (von dem der erwähnte Konnex einer Geographie „voroppositioneller Formen der Systemdistanz“ nur ein Derivat ist) geführt. Im Rahmen dieses „bürgerlichen“ Begriffs von Opposition wird ihre Spezifik in den siebziger und achtziger Jahren oft als innersystemisch und „gegenöffentlich“ im Unterschied zur „fundamentaloppositionellen“ und auf den Sturz der SED (mit dem damit verbundenen Ende der DDR) zugunsten einer Wiedervereinigung Deutschlands orientierenden Opposition der fünfziger Jahre charakterisiert. Im letzten Fall wäre dann eigentlich der Begriff des „Widerstands“ angemessen, da zu Recht unterstellt wird, sie hätte den Basiskonsens dieser Gesellschaft verlassen. Wenn dabei sogar einer auf Rechtsstaatlichkeit und auf freie Wahlen abhebende Spezifik dieser frühen Opposition eine nur auf gegenkulturelle und auf staatsunabhängige Kommunikation zielende For-de-rungs-charakteristik der „späten“ Opposition gegenübergestellt wird, ist hier nicht nur für den Begriff des „Widerstands“ kein Raum, sondern ist sogar ihre Anerkennung als „Opposition“ umstritten. Hilfreich für eine solche Sicht ist dabei die vereinzelte Zurückweisung dieser Qualifizierung durch Zeitzeugen selbst bei der retrospektiven Beschreibung ihrer eigenen Tätigkeit.

Doch eine solche Charakterisierung – sowohl des frühen Widerstands als auch der späten „Opposition“ – ist kurzsichtig. Bereits in der stalinistischen SBZ/DDR gab es tatsächlich nicht nur Opposition, sondern bis in die frühen fünfziger Jahre hinein auch konsequenten und mit den in einer Diktatur unverzichtbaren Methoden der Konspiration verbundenen Widerstand, welcher ebenso auf Öffentlichkeit zielte, wie die Praxis offen auftretender und ebenfalls kriminalisierter Opposition. Widerstand wurde nicht nur und noch nicht einmal in erster Linie als antikommunistischer Widerstand, sondern als antistalinistischer linker Widerstand manifest. Er wurde von den Herrschenden „zu Recht“ besonders hart als für sie gefährlich verfolgt, obwohl oder gerade weil er mit seiner Praxis auf eine antistalinistische sozialistische Perspektive abzielte. Er war die fundamentaloppositionelle Alternative zur stalinistischen Parteidiktatur, deren Gefährlichkeit sich daraus ergab, daß sie „von innen“, „von unten“ und „von links“ gegen eine „von oben“ aufgeherrschte Zwangsver-gesell-schaftung ankämpften. Für die Bürokratie war es schwerer, antistalinistischen linken Widerstand als prowestlich zu denunzieren, obwohl er letztlich doch als solcher hingestellt wurde.

Diese Anfang der 50er Jahre zerschlagenen Gruppen sind nicht zu verwechseln mit den zum politischen System im Grunde loyalen innerparteilichen, kritischen oder abweichenden Kreisen der fünfziger und sechziger Jahre, deren Protagonisten später unter ähnlichen Anklagen oder als „parteifeindliche Plattformen“ abgestraft wurden, aber kaum konspirative Praktiken nutzten. Es gab jedoch durch die ganze Geschichte der DDR hindurch immer wieder Versuche und Ansätze widerständiger Praxis, die in viel konsequenterer Weise als die heute immer wieder im Mittelpunkt des Interesses stehenden parteireformerischen oder parteidissidenten Kräfte („Kritiker“ oder „Parteioppositionelle“) agierten, aber natürlich im Unterschied zu letzteren aufgrund ihrer besonders brutalen Verfolgung weniger Öffentlichkeit erlangten. Die Genesis der informellen Gruppen aus den verschiedenen Milieus der gesellschaftlichen Verweigerung und der alternativen Kultur in den siebziger und achtziger Jahren und ihrer Themen darf einen wichtigen Zusammenhang nicht ausblenden, der erst auf den adäquateren Begriffszusammenhang von Widerstand und Opposition führen kann: die besondere Form der Verschmelzung der Praxis konspirativer Zirkel der siebziger Jahre (die in diesem Jahrzehnt weitgehend zerschlagen wurden) mit der Eroberung halblegaler öffentlicher Räume durch die unabhängige Friedensbewegung in den achtziger Jahren. Andernfalls wird die Praxis der informellen Gruppen vorwiegend aus sich selbst oder ihren authentischen Milieus heraus erklärt und die besonderen Verhältnisse der Politisierung der unabhängigen Friedensbewegung in den achtziger Jahren (das oben erwähnte Forschungsdesidirat) unterschlagen.

Tatsächlich hat der Begriff der Opposition sogar im „bürgerlichen“ Sinne seit Beginn der achtziger Jahre im Umfeld der „Gegenöffentlichkeitsarbeit“ kirchlich begrenzt geschützter Räume bereits seine Berechtigung, wenn die besonderen Verhältnisse einer erodierenden Diktatur berücksichtigt bleiben. Dies läßt sich nachvollziehen, wenn betrachtet wird, wie die Basisgruppen etwa im Falle der breiten Proteste wegen des Überfalls der Staatssicherheitsorgane auf die Umweltbibliothek 1987, der Verhaftungen wegen der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 und den Protesten gegen die Kommunalwahlfälschungen 1989 wirksam ihr Ghetto zu durchbrechen vermochten. Taktische Selbstbeschränkungen dieser Opposition in öffentlichen („bekennenden“) Aktionen zur Verhinderung ihrer Selbst-kriminalisierung und solche Rücksichten fallenlassende konspirative Aktionen aus dem illegalen Hinterland des gleichen Umfelds verschmelzen hier zu einer neuen politischen Praxis, deren Analyse das Verhältnis klassischer „Opposition“ und manifesten Widerstands unter polit-bürokratischen DDR-Verhältnissen erst deutlich werden läßt. Auch wenn in der Opposition vielfach die „realsozia-listische Wirklichkeit“ mit dem uneingelösten legiti-ma-tor-ischen sozialistischen Anspruch bemessen wur-de, ist der Befund des Historikers Staritz, „die Struk–turen der Sozial- und Wirtschaftsordnung hingegen unterliegen kaum noch fundamentaler Kritik“ unzutreffend. Diese Kritik war nicht „prokapitalistisch“, aber deshalb vielfach doch nicht weniger fundamental. Die Konfrontation der in der DDR Herrschenden mit den emanzipatorischen Essentials eines demokratischen und freiheitlichen Sozialismus war keine „systemimmanente Kritik“ im Rahmen des von den Herrschenden der Gesellschaft aufgezwungenen Basiskonsens, sondern eine viel radikalere und gefährlichere Infragestellung dieses Basis–konsenses, als durch Forderungen nach bürgerlichen Freiheiten, denen die Herrschenden in den achtziger Jahren selbst kontrollierten Raum zu gewähren begannen. Weiterhin darf auch die Behauptung bezweifelt werden, daß in diesem Milieu die Herstellung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bei der Kritik dieser Gruppen an den gesellschaftlichen Zuständen deutlich in der zweiten Reihe standen, wie zum Beispiel Pollack/Rink behaupten. Dies trifft nicht einmal auf die erklärte linke Minderheit in dieser Opposition zu. Eher ist anzunehmen, daß solche politischen Forderungen die Opposition vom Gros der DDR-Bevölkerung isolierten, deren Kritik sich auf die vom Regime selbst kompensatorisch erzeugten und letztlich nicht eingelösten materiellen und Konsum-Verheißungen konzentrierte.

Die erwähnte Politisierung des oppositionellen Milieus hat Mitte der 80er Jahre auch zu einer Di-versifizierung des Profils der ursprünglich eher pazifistisch orientierten Friedensgrup-pen beigetragen. Grundlage dieses Prozesses waren die politischen Umbrüche der 80er Jahre selbst. Nicht nur Frauen-, Menschenrechts- und Umweltgruppen, sondern auch Dritte-Welt-Initiativen, Arbeitskreise zur Problematik der Weltwirtschaft (Schuldenkrise, IWF-Politik), zur Situation in Osteuropa, zum Afghanistankrieg, zur Energiepolitik (nach der Tschernobyl-Katastrophe) u. a. entfalteten sich. Mit dem Umbruch in der UdSSR entstanden nach 1985 vermehrt Arbeitszusam-menhänge und Veranstaltungen zur Geschichte der ost- und südosteuropäischen kom-munistischen Par-teien, zur Wirtschaftspolitik und zum Reformge-sche-hen in diesen Ländern.

Daß dabei der Rahmen DDR-spezifischer Themen weit überschritten wurde und die antikapitalistische Ausprägung solcher Themen im oppositionellen Spektrum weitgehend kon-sensfähig war, zeigt eine Fülle von Beispielen oppositioneller Themenarbeit. Eine weitgefächerte Öko-logiebewegung griff auch die grünen Es-sentials einer damals noch hochpolitisierten Atomkraft-Debatte auf und beschränkte sich gerade nach der Katastrophe von Tscher-nobyl keineswegs nur auf die Kritik der fatalen osteuropäischen Kernkraftpolitik. Sie richtete ihre Angriffe gleichermaßen gegen den internationalen Atomlobbyismus. In der ab 1986 intensiv geführten energiepolitischen Debatte wurden Fragen nach den wirtschaftspolitischen Ursachen einer verfehlten Energieerzeugung gestellt. Die Antworten führten nicht nur zur Kritik organisierter polit-bürokratischer Verantwortungslosigkeit im Osten, sondern auch zur Ablehnung zivi-lisationsgefährdender kapital- und markt-wirtschaftsabhängiger Interessenlagen im Westen. Im Vorfeld des IWF-Gipfels in Westberlin 1987 zeigte diese Bewegung, daß sie bei der Kritik wirtschaftsdirigistischer Absurditäten in der DDR und anderen Ostblockländern über den eigenen Tellerrand hinauszublicken imstande war. Gerade in den „Dritte Welt“ – Gruppen der Friedensbewegung wurden die solidarischen Kampagnen gegen die Schuldenfallen-Politik von IWF und Weltbank verbunden mit Untersuchungen zur Verwicklung der Ost-blockländer in die Ausbeutungsstruk-turen der kapitalistischen Weltwirtschaft und den internationalen Waffenhandel. Diskutiert wurden auch die fehlenden Voraussetzungen und Bedingungen einer ansonsten nur akklamierten „gerechten Weltwirtschaftsordnung“ und die Solidarität mit den Befreiungsbewegungen insbesondere in Lateinamerika und Südafrika. Die Vermutung, daß im Kontext der „Niederlage der Friedensbewegung“ 1983 ein Bedeutungsverlust der Friedenskreise eingetreten wäre und deshalb andere Themengrup-pen ihren randstän-digen Status überwinden konnten, ist nicht zutreffend, wie die fortlaufende The-matisierung solcher Fragen (etwa des US-amerikanischen SDI-Programm und der euro-strategischen Rüst-ungsspirale) belegen.
Ein sich immer wiederholender Konflikt bestand darin, daß Verantwortungsträger der evangelischen Amtskirche, zum Teil gegen solidarische Gemeindepfarrer agierend, unter ihrem Dach arbeitende Gruppen behinderten und die Gruppen (einschließlich ihrer religiös gebundenen Mitglieder) sich fortwährend und letztlich erfolgreich (zum Beispiel mit der „Kirche von unten“) dagegen wehrten. Zu berücksichtigen ist hier, von welcher besonderen Interessenlage die evangelische Amtskirche ausging, als sie ihre Politik gegenüber den unabhängigen Friedenskreisen unter ihrem Dach im Kontext des amtskirchlichen Dialogs mit der Staatsmacht gestaltete: Einerseits bedrohte die politische Brisanz der oppositionellen Themenarbeit dieser Gruppen das beiderseits konsensorientierte Einvernehmen von Kirche und Staat/Partei, andererseits gestattete gerade dieser Konflikt, daß die Amtskirche als Moderator zwischen Gruppen und Staatsmacht letzterer gegenüber an Gewicht zulegte und so auch ihre eigene Interessenpolitik Staat und Partei gegenüber aussichtsreicher vertreten konnte.

Das Verhältnis der Gruppen zur „Ausreiserbewegung“ war zwiespältig infolge der Furcht Ersterer, von Letzteren zugunsten deren privater Ausreiselösung instrumentalisiert zu werden. Tatsächlich wollten die „Ausreiser“ solche Gruppen, welche die Aufmerksamkeit der Sicherheitsorgane längst durch ihre eigenständige staatsfeindliche Öffentlichkeitsarbeit auf sich gelenkt hatten, für die Herstellung von Öffentlichkeit für ihr eigenes Anliegen nutzen. Hinter dieser Problematik steht eigentlich der Sachverhalt, daß die oppositionelle Minderheit, welche später, im Herbst 1989, kurzzeitig den einsetzenden Massenprotest politisch zu artikulieren imstande war, mit ihren Forderungen nicht mit dem Mehrheitsstrom der Massenstimmungen konform ging, zumal sich diese Stimmung im Winter sehr schnell in Richtung Wiedervereinigung wendete und die Ausreiser quasi die Initialströmung dieser viel mehr materiell als politisch fundierten Tendenz waren.

Hinzuweisen ist auch auf die Parallelität der Verläufe einer sich immer stärker politisierenden Gruppenarbeit innerhalb der unabhängigen Friedensbewegung und einer rapiden Entpolitisierung eines Teils der nonkonformistischen Kunstszene, von der sich auch kritische Literaten distanzierten. Doch auch die stark politisierten oppositionellen Basisgruppen waren infolge ihrer sozialen Zusammensetzung und wegen der von den Herrschenden erfolgreich betriebenen „Ghettoisierung“ selten imstande, die wirklichen Interessenlagen der DDR-Bevölkerung zu antizipieren.

Es gab weiterhin (letztlich gescheiterte) Versuche insbesondere des linken Rands der Oppositionsgruppen, SED-Reformer über konspirativ organisierte Kontakte inhaltlich in die Oppositionsarbeit einzubinden. Die hier gemachten Erfahrungen (insbesondere in Berlin) ließen die Distanz und das Mißtrauen in die Ernsthaftigkeit des „Reformwillens“ dieser SED-Strömung wachsen. Diese reformdiskursive SED-Strömung kann sowohl vom widerständigen Handeln politischer Minderheiten, als auch vom eigensinnigen Interessenhandeln der Bevölkerungsmehrheit, aber auch von Reformdiskursen innerhalb der herrschenden Parteischicht unterschieden werden. Diese Strömung hat aus der Perspektive der Macht auf eine Selbstveränderung von innen (also über die Umgestaltung der Rolle der SED) gesetzt. Die „konservative“ Antwort der Reformer auf ihre durchaus kreative und radikale Frage nach den systembedingten Ursachen des regelmäßigen Scheiterns bisheriger Reformansätze (also die Frage nach der wirklichen „Natur“ dieses Nominalsozia-lismus) gaben sie allerdings aus ihrer affirmativen Rezeption westlicher Modernetheorien und ihrem negativen Verhältnis zu Gegenmacht und Opposition. Hier scheint es möglich, die Konvergenz so disparat anmutender Konzepte, wie der Bürgerrechtsströmung in der Opposition und der SED-Reformströmung zu erklären: So wie die Bürgerrechtsströmung unreflektiert und nur aus der Erfahrung des „Mangels“ heraus konfrontativ die Implantation bürgerlicher Freiheitsrechte in den Korpus des „real existierenden Sozialismus“ erzwingen wollte, ohne die „Systemfrage“ konsequent zu stellen, erwarteten die Parteireformsozialisten, die nur aus der Systemperspektive heraus argumentierten, durch die machtgeleitete Implantation von Regulativen der westlichen Moderne die Selbstreform des Systems, welche durch Aktionen politischer Opposition nur bedroht oder verzögert werden könnte. Die Bürgerrechtler wagten es nicht, mit ihren oppositionellen Forderungen politischer Freiheit die soziale Konsequenz eines „dritten Wegs“ jenseits von Kapitalismus und Stalinismus zu formulieren und landeten zusammen mit ihren Opponenten im real existierenden Kapitalismus, während die reformsozialistischen Agitatoren des „dritten Wegs“ eine politische Opposition als Gefahr für diese Perspektive ausmachten und sich an ihnen vorbei der „erste Weg“ durchsetzte.

Der Eindruck, das in der gemeinsamen Gegnerschaft zur herrschenden SED-Bürokratie vereinte und angesichts der gegen sie gerichteten Repressionen solidarische Konglomerat informeller Gruppen wäre politisch homogen gewesen, ist trotzdem falsch. Die Auseinandersetzungen zwischen den „reinen Bürgerrechtlern“ (etwa in der IFM) und den auf Veränderungen der Gesellschaft als Ganzes abzielenden Akteuren (zum Beispiel in der linksorientierten Gruppe „Gegenstimmen“) waren extremster Ausdruck und eine inhaltliche Vorwegnahme der schnellen Ausdifferenzierung des oppositionellen Milieus während des Umbruchs 1989/90. Die schon vorher sichtbare Brüchigkeit des gegen die SED gerichteten Konsenses im oppositionellen Minderheitenspektrum wurde schon am Beginn der formellen Konstituierung einer nunmehr nicht mehr nur halböffentlich, sondern öffentlich agierenden Opposition deutlich. Als Beispiel können der Aufruf der Gruppe „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung“ vom August 1989 und der Appell „Für eine Vereinigte Linke – Böhlener Plattform“ Anfang September 1989 gelten. Den sich dann bildenden legalistischen Gruppen NF, DJ und der sozialdemokratischen Parteigründungsinitiative SDP, die innerhalb des Institutionengefüges die SED in freien Wahlen herausfordern oder die gesetzeskonforme Selbstorganisation anstreben wollten, stand mit der „Initiative für eine Vereinigte Linke“ (VL) eine auf die antibürokratische, explizit auf demokratischen Sozialismus zielende und „auf die Selbsttätigkeit der Massen“ in Form einer räteähnlichen Volksbewegung setzende linke Programmgruppe gegenüber. Mit dieser Radikalität trat die VL nicht nur konsequent gegen die SED-Diktatur auf, weil sie den der Gesellschaft aufgezwungenen Basiskonsens ablehnte, sondern auch die Perspektive eines demokratischen Sozialismus gegen die kapitalistische Alternative verteidigte. Die Forderungen und Vorschläge des VL-Aufrufs gingen weit über die reformdemokratischen Positionierungen der anderen Gruppen hinaus und waren gerade durch die Bekräftigung der sozialistischen Perspektive eine „fundamentaloppositionelle“ Positionierung nicht nur gegenüber der SED, sondern auch gegenüber der kapitalistischen Lösung. Damit erwies sie sich später als am weitesten von diesen Massen entfernte Gruppe, obwohl gerade sie in ihrem Aufruf sehr realistisch auf die durchgehende Entpolitisierung der Gesellschaft und Diskreditierung der sozialistischen Perspektive im Volk als Resultat von vierzig Jahren Stalinismus und Politbürokratismus hinwies und so ihre eigenen Chancen nüchtern bilanzierte.
Im Vorfeld der Bildung des Zentralen Runden Tisches votierte die VL in der Kontaktgruppe der Opposition als einzige Gruppe vergeblich für einen eigenen „Runden Tisch der Opposition“, von dem aus die Altparteien herausgefordert werden sollten. Am statt dessen eingerichteten „Zentralen Runden Tisch“ der Opposition und der Altparteien und -organi-sationen fand nun die Absorption der begrenzten Kräfte der neuen politischen Vereinigungen durch die institutionalisierte Arbeit dieses Runden Tisches statt: Nicht mehr die Kooperation mit den gegen die Zustände im Land protestierenden Massen, sondern die Kooperation mit den für diese Verhältnisse verantwortlichen Parteien stand nun im Mittelpunkt. Auch damit hingen die Wandlungen der Teilnehmerzusam-men-setzung und der Losungen der Massendemonstrationen weg von den anfänglichen Parolen „Wir sind das Volk“ und „Wir bleiben hier“ hin zu den Losungen „Wir sind ein Volk“ und „Deutschland einig Vaterland“ zusammen. Die Opposition ließ sich sogar von Modrow in einer „Regierung der Nationalen Verantwortung“ binden (aus der nur die VL ausstieg, weil Modrow schon vor ihrer Bildung wortbrüchig an den neuen Partnern vorbei vollendete Tatsachen schuf). Die wichtigste Funktion des „Zentralen Runden Tisches“ kann in der von seinen Teilnehmern auf Seiten der Opposition und namentlich durch das „Neue Forum“ erzwungene massenmediale Verbreitung seiner Sitzungen gesehen werden. Erstmals konnte die Bevölkerung am Fernsehschirm die aufgedeckte Tiefe der Krise, die Manöver der vor den Runden Tisch zitierten politisch Verantwortlichen, aber auch die politische Ohnmacht der Opposition gegenüber den Problemlagen und ihren Verursachern verfolgen.

Der Ausgang der „neuen Opposition“
nach dem Herbst 1989
Der Umbruch in der DDR war kein Produkt der Opposition. Die Opposition wurde vielmehr durch die Massenproteste und die Ausreisewelle kurzzeitig zum politischen Akteur, der die Unzufriedenheit der Bevölkerung zu bündeln vermochte. Bevölkerung und Opposition waren einig in ihrer Ablehnung des Regimes, ohne daß die oppositionellen Akteure ihre Ziele trotz der gemeinsamen Pro-test-parolen der frühen De-monstrationen wirk-lich in der Bevölkerung aufgehoben sehen konnten. Diese Ziele der Opposition in Richtung einer emanzipatorischen Neu-konstituierung des gesellschaftlichen Systems in der DDR, entwickelt in der Zeit des Booms informeller Gruppen vor dem Herbst 1989, waren im Jahre 1990 tatsächlich nicht konsensfähig. Der Wandel dieser Massenlosungen weg von den oppositionellen Forderungen hin zur alten Losung der Wiedervereinigung entwickelte sich ebenso schnell, wie klar wurde, daß die Opposition der neuen politischen Vereinigungen für ihre Verwirklichung (sowohl ihrer eigenen Forderungen als auch für die Losung des Anschlusses der DDR an die BRD) nicht ernsthaft zur Verfügung stand. Die Macht, die „auf der Straße lag“, konnte gar nicht von „der Opposition“ ergriffen werden und das als ihren „Fehler“ zu bilanzieren, geht an ihrer Vorgeschichte vorbei und ignoriert ihre Differenziertheit. Tatsächlich haben ja auch Teile dieser Opposition sich an dem Geschäft derer, die sie dann tatsächlich ergriffen haben, verantwortlich (wenn auch nicht maßgeblich) beteiligt. Der Preis für die Teilhabe an der Macht oder wenigstens am neuen Management ihrer Verteilung auf dem Markt konkurrierender bundesdeutscher politischer Parteien wurde gerne gezahlt: Es war die Kastration oder sogar die Distanzierung von politischen Es-sentials, der sich die alte DDR-Opposition jenseits ihrer Differenziertheit mehrheitlich verpflichtet hatte. Das Schrumpfen solcher Essentials wie „politische Freiheit“ auf gesetzlich geregelte politische Orga-nisationsfreiheit in Parteien und Vereinen, die Do-mestizierung emanzipatorischer An–sprüche in der Teilhabe am parlamentarischen Kom–promißgeschäft, die Begrenzung von Solidarität auf Koalitionsdisziplin sind die Lernschritte, die neue Parteiarbeiter aus der alten DDR-Opposition machen, wenn sie ihr neues Verständnis von politischer Selbstbestimmung als Teilhabe im parteipolitischen System der Stellvertreterpolitik einüben.

Doch nicht nur die begrenzte Konfliktfähigkeit der DDR-Gesellschaft, sondern das Zusammenspiel interner und externer Einflußfaktoren erwies sich für die politische „Entmachtung“ eines eigenen Wegs jenseits von Politbürokratismus und Kapitalismus, der auch in der Bevölkerung nicht einfach bloß eine Minderheitenposition war, als konstituierend. Das Ende der DDR und ihrer Opposition ist das Resultat weltpolitischer Umbrüche, der Politik der bundesdeutschen Parteien und der Bundesregierung, des Agierens der Modrow-Regierung, der westdeutschen Medien und schließlich der machtpolitischen Selbstblockade der Opposition, welche durch die Bevölkerung als mangelnde Durchsetzungsfähigkeit bei den Wahlen im März 1990 quittiert wurde. Es war das Scheitern des Versuchs der Opposition, in der Bevölkerung für diskurs- und kon-sensorientierte Po-litik-modelle einer zivilen Gesellschaft in der DDR als Alternative zur machtori-entierten parteiför-migen Durchsetzung von Interessen zu werben. Als das polit-bürokratische System in den acht-ziger Jahren an den selbst gesetzten (ökonomischen) Maßstäben scheiterte und deshalb die zuvor erfolgreich erhaltene Massenloyalität (basierend auf materieller Kompensation statt politischer Identifikation) verlor, erwies sich die Disparität der Zielprojektionen des dissidenten subkulturellen und links-intellektuellen Minderheitsmilieus und des verinnerlichten konservativen Werteensembles der Bevölkerungsmehrheit: Man kann einschätzen, daß die vom Regime erfolgreich erzeugte Entpolitisierung und kompensatorisch-privatistische Umlenkung der Bedürfnisse auf materielle Werte eine Ursache für die nun folgende Niederlage der alternativen politischen Kultur nach dem Zusammenbruch des Nominalsozialismus war. Die erzeugten vermeintlich loyalitätsstiftenden Werte des bürokratischen Systems waren die Basis zur Beerdigung der DDR zugunsten der authentischen bürgerlichen Werte und des politischen Systems der alten Bundesrepublik Deutschland. Mit dem Scheitern eines eigenständigen Wegs brachen die „subkutanen“ Differenzen innerhalb der Opposition auf und die späteren „gewendeten“ Positionen der neuen politischen Vereinigung „Demokratischer Aufbruch“ innerhalb der „Allianz“ mit der CDU „für Deutschland“ erhielt als erfolgreichste, weil mehrheitsfähige, konservative Fundamentalopposition gegen die SED den Zuschlag, da sie nun gegen „Sozialismus“ (der mit der SED identifiziert wurde) und für die Vereinigung mit der Bundesrepublik eintrat.

Man kommt also letztendlich zum Befund einer doppelten Isolation des oppositionellen Basisgruppenmilieus der achtziger Jahre und einer dieser Isolation entspringenden Niederlage der neuen politischen Bewegungen des Herbstes 1989 im Jahre 1990: Die weitgehend erfolgreiche Herrschaftstechnik der Ghetto-isierung dieser Basisgruppen funktionierte bis in die achtziger Jahre hinein und verhinderte ihr Hineinwirken in die Gesellschaft. Als diese Ghettoisierung in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts endlich durchbrochen werden konnte, traf die Opposition auf die Fernwirkungen des herrschaftstechnisch ebenfalls bis in die achtziger Jahre hinein erfolgreichen ent-politisierenden „neuen Sozialvertrags“, der seit den siebziger Jahren die Bevölkerung ruhig stellte. Die „Kündigung“ dieses Sozialvertrags durch die Bevölkerung erfolgte nicht auf der Grundlage oppositioneller politischer Forderungen des Basisgruppenmilieus, sondern wegen der Unfähigkeit der Einlösung von anderweitigen Verheißungen, die von den Herrschenden (und nicht von der Opposition) erzeugt und die für die Bevölkerung, welche diesen Sozialvertrag zuvor auch angenommen hatte, orientierungsbestimmend waren. Die Opposition ihrerseits war mehrheitlich unfähig, den „Sinn“ der sich hier aufscheinenden „sozialen Frage“ zu begreifen. Da sich der Bevölkerungsprotest nun auch politisch artikulieren und an die Adresse der Herrschenden richten ließ, gab es ein sich kurzzeitig „öffnendes Fenster“ vermeintlicher „Identität“ von Oppositions- und Bevöl-kerungs-protest: Die oppositionellen Minderheiten hatten anders als die entpolitisierte Bevölkerungsmehrheit solcherart Artikulationen einüben können und waren deshalb imstande, sich kurzzeitig an die Spitze des Protests zu stellen, der durch eben diese politische Dimension zur Revolte wurde. Diese kurze „Verbindung“ der die öffentlichen Räume erobernden politischen Opposition mit der protestierenden Bevölkerung war trotzdem nur „äußerlich“, da sie ganz verschiedene „Di–men–sionen“ ausdrückte. Die Auflösung dieser „Fremdheit“ war nur durch eine „Wende“ eines Teils des oppositionellen Spektrums mehr oder weniger weit weg vom der Substanz alter oppositioneller Positionierungen hin zum (von den SED-Bürokraten erzeugten) konservativen Werteensemble der Bevölkerungs-Mehrheitsströmung zu haben: Die alten konsumistischen Verheißungen der Bürokratie wurden zu neuen materiellen Verheißungen im Gewand einer „Allianz für Deutschland“, in dem es allen besser und niemandem schlechter gehen solle.

Thomas Klein: Diplommathematiker, Mitarbeiter trotzkistischer Arbeitsgruppen, Mitinitiator der Initiative gegen Berufsverbot in der DDR und der BRD, daraufhin eineinhalb Jahre Haft, ab 1982 Mitarbeiter des Friedenskreises der Berliner ESG, später Friedenskreis Berlin-Friedrichsfelde, Mitbegründer der Gruppe „Gegenstimmen“ und später der Vereinigten Linken, Mitarbeiter am Zentralen Runden Tisch, 1990 Abgeordnetereter in der Volkskammer.

© telegraph. Vervielfältigung nur mit Genehmigung des telegraph