Kritische Bemerkungen zu drei Beiträgen aus Heft 3/4 1998

aus telegraph 1/1999

Es geht im Folgenden nicht um Einwände gegen die beabsichtigten Aussagen der Autoren, sondern um m.E. fehlerhafte Darstellungen, unausgewogene Wertungen, sachliche Wider-sprüche etc., die geeignet sind, den Wert dieser Beiträge erheblich zu mindern, zumal bisweilen der Eindruck entsteht, als solle eine Aussage mit Beispielen statt mit Methoden der Gesellschaftsanalyse bewiesen werden.

1. Dirk Teschner: Faschistische Vergangenheit in der DDR

– S. 81: Um der Seriosität willen wäre es angemessen gewesen, zu erwähnen, daß diese Faschismus-Definition der dimitroffschen Analyse für den VII. (und letzten) KI-Kongreß (1935) entstammt, daß es hingegen eine (freilich in der Öffentlichkeit kaum verbreitete) wissenschaftliche Faschismus-Forschung gab, (ich nenne hier nur Petzold), die sehr wohl den Ansprüchen einer (freilich marxistisch fundierten, also vom Wechselverhältnis zwischen Basis und Überbau geprägten) ernst zu nehmenden Gesellschaftsanalyse genügt.

– Bei der Beurteilung der ‚mangelhaften‘ Diskussion werden zwei Momente nicht beachtet: Erstens erschienen in den ersten Nachkriegsjahren in den einschlägigen Verlagen der SMAD, der KPD, der Ost-SPD und der SED eine Anzahl von Schriften (ich nenne hier pars pro toto nur ‚Max Fechner – Wie konnte es geschehen?‘, erschienen im Sommer 1946), die aber zweitens von der Öffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommen wurden, weil natürlich die überwiegende Mehrheit der deutschen Bevölkerung ihre vielfältigen Verstrickungen in dieses System ver——drängen wollte. Die damals (etwa 1945 – 1950) von der Parteiführung noch sehr wohl betriebenen Versuche, diese Diskussion öffentlich zu führen, liefen daher weitgehend ins Leere. Eben weil Stalin und die SED-Führung (aus außenpolitischen bzw. gesamtdeutschen Erwägungen) das deutsche Volk damals noch keines Wegs zu den ‚Siegern der Geschichte‘ zählten, galt es als sektiererisch, die (zwischen 1945 und 1952) offiziell als ‚antifaschistisch-demokratisch‘ bezeichnete Ordnung als volksdemokratisch oder gar als sozialistisch zu charakterisieren. Erst der Beschluß der 2. Parteikonferenz (1952) brachte die DDR mit einem Sprung von heut auf morgen auf die Siegerseite, womit sich die breite ideologische Auseinandersetzung mit der faschistischen Vergangenheit der meisten DDR-Bürger ‚erledigt hatte‘.

– S. 82: Nicht nur in der offiziellen Parteigeschichte, sondern auch bei Wolfgang Leonhardt ist nachzulesen, daß die beim Eintreffen der drei Arbeitsgruppen (Ackermann, Sobottka, Ulbricht) bestehenden bzw. neu entstandenen Parteigruppen unverzüglich wieder aufgelöst wurden. Die von der Besatzungsmacht ursprünglich befolgte Linie bestand eben gerade darin, diesen Schritt erst zu erlauben, wenn flächendeckend neue, arbeitsfähige Kom-munalorgane, Kreisver-waltungen und Länderregierungen existieren. Erst der im Juni 1945 aus Moskau eingetroffene Pieck brachte die neue Linie mit: Juni-Aufruf des (Moskauer) ZK der KPD und gleichzeitige Zulassung von Parteien und Gewerkschaften durch die SMAD.

– Unklar ist mir der wahre Hintergrund der mir bisher nicht bekannten Streiks von 1947 und der Grund, was der Verfasser in diesem Zusammenhang zum Thema aussagen will: Am 30.6.46 wurde mit großer Mehrheit in Sachsen der Volksentscheid zur Enteignung von Kriegsverbrechern und Naziaktivisten positiv entschieden. Mit diesem und den gleichlautenden Gesetzen der übrigen vier ostdeutschen Länder war aus sequestrierten Betrieben staatliches Eigentum entstanden, dessen Reprivatisierung juristisch auszuschließen war. Initiatoren dieser Maßnahmen war die SED-Führung im Einvernehmen mit der SMAD (in Sachsen Ministerpräsident Friedrich, ehem. SPD; Innenminister Fischer, ehem. KPD; Parlamentspräsident Buchwitz, ehem. SPD). Es gab m.E. keinen Grund, ein Jahr später für eine Sache zu streiken, die schon ein Jahr zuvor im vorgeblichen Sinne der Streikenden entschieden war.

Zwei Ausnahmen, die allerdings auch nicht zur Klärung beitragen:
1. die zum Zwecke der Produktion von Reparationsgütern von der Demontageliste wieder gestrichenen SAG-Betriebe, vorübergehend im Eigentum der Besatzungsmacht und zwischen 1950 und 1952 an die DDR übergeben;

2. In Berlin hatte die damals noch arbeitsfähige Gesamtberliner Stadtverordnetenversammlung 1947 ein noch erheblich weitgehenderes Gesetz mit der Mehrheit von SPD und SED beschlossen, das allerdings durch das Veto der drei Westmächte nur in Ostberlin und dort erst 1949, nach vollzogener Spaltung im Herbst 1948, in Kraft trat.
Das 1948 von der SMAD verfügte Ende der Sequestrierung (das für Minderbelastete die Rückgabe persönlichen Eigentums – z.B. Einfamilienhäuser – vorsah), schloß die Rückgabe von Betrieben aus. Die für der Beendigung der Sequestrierung vom Autor genannten Gründe halte ich für eine Spekulation. Ich könnte ein Handvoll ganz anderer, und aus der Sicht der Herrschenden in dieser Zeit logischerer Gründe nennen.

– S. 83: Es gab nur eine kleine Minderheit in Deutschland, die nicht einer Gliederung der NSDAP angehörte (von den Jungmädchen und Pimpfen, BDM und HJ, über Frauenschaft, Volkswohlfahrt und Arbeitsfront, die wehrsportlichen, traditionsmilitaristischen bzw. paramilitärischen Organisationen bis hin zu der kaum überblickbaren Zahl der berufs-ständischen Organisationen). Welche sind denn nun gemeint? Die Mehrheit in den hier aufgeführten Organisationen (einschließlich jener NSDAP-Miglieder, die keinen Dienstrang bekleideten), waren in ihrem Denken zwar sehr wohl Faschisten oder zumindest Chauvinisten und Rassisten. Nur läßt sich das über die Mitgliedschaft in Organisationen (ich lasse Mal NSDAP-Amtswalter, SA- bzw. SS-Mitglieder und noch paar andere Verbände aus) nicht beweisen. In den meisten dieser Verbände (z.B. der DAF) aber auch bei einfachen Parteimitgliedern reichte es aus, Beiträge zu zahlen.
2. Dietmar Wolf: Antifa-Ausschüsse und ihre Zerschlagung in der SBZ/DDR

– Schon die Überschrift ist falsch. Die meisten dieser Ausschüsse brauchten nicht zerschlagen zu werden, sondern sahen ihre Aufgaben spätestens 1946 als erfüllt an und lösten sich von selbst auf. Das mindert nicht den Wahrheitsanspruch der geschilderten Beispiele, aber dies waren eben nicht die, sondern eben nur einige. Als die DDR 1949 gegründet wurde, gab’s die Ausschüsse nicht mehr. ‚Die Zerschlagung von Antifa-Ausschüssen in der SBZ‘ käme als Überschrift der (immer sehr differenzierten) Wahrheit näher. Der Autor macht diesen Einwand zwar selbst, hält ihn aber nicht durch, überschätzt m.E. die politische Bedeutung (vom Selbstverständnis der Agierenden her) des Gesamtphänomens. Dazu ein Beispiel aus eigenem Erleben:

In den drei (später zusammen geschlossenen) Köpenicker Ortsteilen Rahnsdorf, Wilhelmshagen, Hessenwinkel entstanden unmittelbar nach dem Einmarsch der Sowjetarmee (22. April), der Bildung von Ortskommandanturen und der Einsetzung von Bürgermeistern in Kooperation mit den Kommandanten Antifa-Ausschüsse (ehemalige Mitglieder von KPD und SPD, bürgerlichen Parteien und parteilose Intellektuelle, wobei die KPD/SPD-Hegemonie gesichert war). Ihre Tätigkeit richtete sich vor allem auf Fragen der politischen Säuberung, also der personellen Überprüfung von Kandidaten für die Arbeit in den drei (später einer) Bürgermeistereien, der maßgeblichen Leute in den Frauen- und Jugendausschüssen, die Auswahl der Abschnitts- und Straßenvertrauensleute. Dazu kam dann die Ve-rmittlung von Impulsen zur Entwicklung der Eigeninitiative der Bürger bei der Eindämmung und Überwindung unmittelbarer Nachkriegsfolgen, etwa bei der Suche nach Familien, die bereit waren, elternlose Flüchtlingskinder aufzunehmen. In diesem Sinne verstanden sie sich also nicht als Basis für gesellschaftliche Veränderungen, sondern eher als eine nicht durch Wahlen sondern durch praktische Kommunalpolitik legitimierte ‚Volksvertretungen‘.

Die Ortskommandanturen verschwanden noch 1945, das Köpenicker Bezirksamt verwandelte die Bürgermeistereien in rein administrative Ortsamtsstellen, Jugend- und Frauenausschüsse erhielten ihre Anleitung von gleichnamigen Bezirksausschüssen. Die Ausschüsse verloren ihre Aufgabengebiete und lösten sich auf.
– Zum Juni-Aufruf des ZK der KPD: Dort, wo es keinen politischen Untergrund gegeben hatte, und das war in den meisten Gemeinden der Fall, war dieser Aufruf (verbunden mit dem Parteien-Zulassungsbefehl der SMAD) erst das Signal zur Bildung von Ortsgruppen der KPD. Zuvor gab’s da lediglich informelle Kontake übrig gebliebener Genossen. In diesen Orten war i.d.R. der Juni-Aufruf die entscheidende politische Direktive. Was der Autor hier meint, betraf eher solche Gruppierungen (z.B. die antistalinistische KPO), bei denen es sehr schnell gelang, ihren öffentlichen Einfluß zu unterbinden. Ich kann jedoch nicht nach vollziehen, daß solche Gruppierungen (bezogen auf die SBZ) flächen-deckend existierten oder gar eine relevante Zahl von Antifa-Ausschüssen beherrscht hätten. Dietmar Wolf unterschätzt erstens die Parteidisziplin gerade jener KPD-Mitglieder (mit schlechtem Gewissen), die sich nicht am Widerstand beteiligt hatten und zweitens die erheblich größere Zahl der Neuaufnahmen, die zu solchen Fragen schon gar keine von der Parteiführung abweichende Meinung hatten.

3. Thomas Leusink: Vom Kampf gegen „Kosmopolitismus“ zum Kampf gegen den „Aggressorstaat“
Die vom Autor behauptete Kongruenz zwischen ‚Kosmopolitismus‘ und ‚Zionismus‘ im angeblichen Selbstverständnis der Partei stimmt so nicht. Das verwundert um so mehr, als er die für sein Thema einschlägige Literatur linker Autoren unter seinen Quellen erwähnt.
1. Im DDR-Sprachgebrauch existierte m.E. das Wort ‚Kosmopolit‘ überhaupt nicht; so wenig, wie z.B. ein des ‚Sozialdemokratismus‘ bezichtigtes Parteimitglied als ‚Sozialdemokrat‘ galt. Insofern gab’s auch keine Gleichsetzung der Begriffe ‚Kosmopolit‘ mit ‚Zionist‘ oder gar ‚Jude‘.

2. Der theoretisch-ideologische Gegensatz zwischen ‚bürgerlichem Kosmopolitismus‘ und proletarischem Internationalismus (in seinen theoretischen Wurzeln schon bei Marx – nicht erst im ‚Manifest‘ – zu finden) gehörte von je her zum Fundus der an Marx orientierten Arbeiterbewegung. Ich halte ihn auch noch heute (freilich mit neu zu konkretisierenden Inhalten) für unerläßlich, ganz besonders in Zeiten kosmopolitisch ideologisierter kapitalistischer Globalisierung. Der Begriff ‚Kosmopolitismus‘ wurde zweifelsfrei mißbraucht, als er Anfang der 50er Jahre zur ideologischen Bemäntelung antisemitischer Tendenzen genutzt wurde. Aber auch in dieser Zeit galt er nicht als kongruentes Synonym für Zionismus, vielmehr galt Zionismus als besonders gefährliche Spielart von Kosmopolitismus.

3. Persönliche Wiedergutmachung oder Entschädigung sah das für Deutschland geltende Nachkriegsrecht (Potsdamer Abkommen und Kontrollratsgesetze) nicht vor. Statt dessen gab es eindeutige Reparationsvereinbarungen: Die Ansprüche der UdSSR und Polens waren aus der SBZ zu decken (mit einer Option für zusätzliche Leistungen aus den Westzonen); alle Ansprüche der übrigen Länder waren aus den Westzonen zu befriedigen. Wo der später gegründete Staat Israel Reparationen beanspruchte, waren sie im Einklang mit geltendem internationalen Recht aus Westdeutschland zu befriedigen.

4. Lange Zeit galt die schon 1945 in Ostdeutschland eingeführte ODF-Rente (auf die alle im Osten lebenden Juden Anspruch hatten) als beispielhaft für den Westen. Eine ganz andere Sache ist, ob die Beschränkung auf diese Rente in späterer Zeit, als sich international schrittweise die Rechtsauffassung persönlicher Entschädigungen durchsetzte, noch politisch vertretbar war. Das Problem – auch gegenüber jüdischen Kapitalisten – ist natürlich, ob es angängig gewesen wäre, angesichts flächendeckender als „Sozialisierung“ verkaufter Enteignungen (worunter eben auch „arisierte“ Betriebe fielen) dieses Eigentum rückzuübertragen. Aber das Prinzip der Eigentümervergütung verstaatlichter Betriebe gab’s in der DDR seit den 60er Jahren. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war hier über Entschädigungen jüdischer, aus dem Gebiet der DDR stammender Naziopfer neu zu befinden. Aber zu dieser Zeit hatten solche Nicht-Entscheidungen wohl weder antisemitische noch antizionistische, sondern ökonomische Gründe.

Mit all diesen Bemerkungen soll überhaupt nichts von dem beschönigt werden, was auf dem Gebiet antijüdischer Maßregelungen in der DDR passierte.

Wolfgang Wolf, Malta

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