STATIONEN DES KRASSEN ÜBERGANGS VOM UNRECHTSBEWUSTSEIN

aus telegraph 1/1999
von Bert „Bierwolf“ Papenfuß

1 Nach dem bißchen Bambule um die langhaarige Kirche mit solchem Bart wurde ich im Bullenwinkel gekascht, kriegte kurz eins vor den Latz und saß bzw. stand knapp zwei Tage in Rummelsburg rum, die Taschen voller Geld, Zigaretten und Bier – eingedeckt hatten wir uns reichlich, man konnte ja nie wissen wie einem der real Existierende mitspielt. Warm war’s jedenfalls, bißchen eng vielleicht, die Essenausgabe war erwartungsgemäß Bockwurst und zum krönenden Abschluß wurden wir mit Strafverfahren abgespeist; das war der Osten wie wir ihn liebten: repressiv, caritativ und originell in Grenzen.

Rausgeschmissen wurde ich gerade rechtzeitig, um das Flugzeug nach Frankfurt am Geld zu schaffen, um auf einer Luchterhand-Soiree als Opfer des roten Terrors meinen Salm zu versingen; so spielt man im hinsterbenden Kapitalismus und in anderen Bädern.

Die Duckmäusigkeit westpräsenter Ost-Autoren war im übrigen hanebüchen; sie hatten ihre „Vergünstigungen“, wie Privilegien in meiner Soldatenzeit taktvoll umschrieben wurden, zu verlieren. In halbweltlichen Fachkreisen sprach man übrigens von „Freiheiten“, ohne die bekanntlich die ganze Internierung keinen Spaß macht. Die dissidenten Staatsartisten waren für eine Handvoll Dollars zu jeder Dienstleistung mehr als immer bereit, und durchaus keine Dummbrote; sie waren vorgewarnt, angemahnt und blümerant – deswegen hielten sie sich gern im affirmativen Dunstkreis des einst bewaffneten bürgerlichen Widerstandes auf. Auch der Sklave muß mitspielen, sonst stockt der Ausbeutungsprozeß und der Liberalismus macht keinen Sinn.

Im Unrechtsstaat, und buchty-barachty im Rechtsstaat ebenso, steckt der Wurm der Kollaboration; denn jeder Staat, auch ein absterbender, ist ein einziges Unrecht – und Kunst ist Waffe und umgekehrt, wenn man sich ein bißchen Mühe gibt.

2 Nach dem Entstehen, Erstarken und dem Ausverkauf des Ost-Kultes sowohl im Westen, insbesondere in der New Wave-Nachhut der Punk-Kommerzialisierung, als auch im Osten selber, z.B. im skeptischen Anti-Westlertum der Mitki, also kurz vor dem „Überholen ohne einzuholen“, war was im Busch. Hätten die aufgeweckteren Geister damals nicht so fürchterlich auf Umbau, Durchsicht und Öffnung gemacht, wäre die Kulturreaktion im Anzug erkennbar, wenn auch nicht abwendbar gewesen, obwohl …
Die Eskapaden des galoppierenden Gorbat-schows, mit denen er kein Springreiten gewinnen würde, gingen nicht nur mir auf den Zünder, führten aber nichtsdestotrotz unangefochten zum kulturellen Zusammenbruch – nichts gegen einen gesunden Kulturschock, wenn das Überraschungsmoment aber hinterrücks zum Totalabriß kultureller Identität genutzt wird, kann man schon von einer Katastrophe sprechen. Die forcierten, teilweise national motivierten Aktivitäten der Bürgerzerrüttung und anderer Handlanger der Macht sah ich ohne Enttäuschung mit Widerwillen; es gab ja nicht einmal ein Revolutiönchen, von dem die DDR-Trotzkisten permanent träumten, vor der Reaktion und dem guten Ton, geschweige eine Rebellion. Schwach-matismus, Neofaschismus, Zukreuzekriechen, Verrat und Staatshörigkeit insbesondere bei ehedem staatsnahen Gesocks stachelten Breitseiten Verdruß. Der Anblick des Büchsenbieres war niederschmetternd.

Als, wenn auch mittlerweile deklassierter, Sproß der militärischen Intelligenz war ich immer arbeiter- und bauernfeindlich eingestellt, und wurde auch nie eines Besseren belehrt, wie prollig auch immer meine Attitüde; ohne Spaß kein Selbstaufzug und umgekehrt – Ganfen min Ganf is poter.

Und also tröstete ich meine subkulturellen Verwandten und Bekannten der schwindenden westlichen Hemisphäre über die zaghaft anhebende Ossifizierung hinweg, zog mir das Tarnzeug über den Kopf und verhielt mich selbstverständlich.

3 Ich dallerte durch die Weltgeschichte und hakte subventionierte Kulturinstitutionen, Literaturfestivals und andere bezahlte Ver-lustierungen ab; und verdiente nicht schlecht dabei, in Maßen. Der Brutto-Stundenlohn eines Dichters, Schriftsteller stehen auf einem anderen Blatt, liegt zwischen zwei und drei Mark, egal unter welcher Gesellschaftsordnung; alles darüber ist illegal und steht auf gar keinem Blatt. Den Umständen entsprechend nahm ich beherzt die Dreimarkhürde.
Aus einer Fernfahrerkneipe in der Nähe von Prag, wo die Landestöchter die Titten raushängen, und sich von schmerbäuchigen Inhabern „harter Währung“ angrabschen ließen, scheste ich zur vorgezogenen Wahl und gab meine Stimme den „Weißen Wölfen aus dem All“ (WYDOKS) und dem Unabhängigen Frauenverband, weil ich das Gute stets gewollt.

Frischgebackene freie Wähler faselten von weiter Welt, schmalem Geld. unbegrenzten Möglichkeiten – und kratzten das Bunte zusammen, aber nur wenige entkamen.
Ich war auf dem Sprung nach sonstwo, wegen der Unkosten.

4 Den letzten geschlossenen Anblick der zersplitterten Hauptstadtszene vor dem Auseinanderfliegen bot das „Rechenberg“ in der Choriner. Leute unter Strom, Kaskaden preiswerter Durstlöscher und die gewohnte Willkür, die nachließ. Langgehegte Vermutungen wurden wahr, das Mobiliar erwies sich als verrückbar – und ein Bier war tatsächlich kein Bier.

Das schäbige Florieren der Szenekaschemmen brachte uns unter anderem auch auf den Vorgeschmack deklassierter Existenz. Vergleichbare Unorte der Frontstadt zelebrierten diese schon bis zum Erbrechen.

Der Ostfraß wurde geschliffen, man hatte die Wahl zwischen Grünzeug mit Schafskäse und Grünzeug mit Thunfisch. Mit der Salatplage hob das mentale Darben an, einen der knappen Fixpunkte bot Berliner Bier, einen anderen Koks, mit dem ganze Mannschaften plötzlich da waren. Und schon waren die Tage ausgefüllt und rundum zugemüllt, wobei inhaltlich leicht ausgedünnt. Es war ja nicht alles schlecht, was diesem Paradigmendilemma entsprang, es brauchte bloß keiner – bis auf den heutigen Tag. Tanzen kann ich selber, und singen; ich brauch mich bloß zu erinnern, und dazu im Viereck springen.

Die Salatplage wurde erst Jahre später durch die Sandwich-und-schales-Wernesgrüner-Bier-Plage in der Kommandantur abgelöst, allerdings in Tateinheit mit der Beziehungskisten-Plage. Wir kamen vom Darben ins Barmen.

5 Dann war da noch das Kreuz mit den Hausbesetzern und der politischen Korrektheit.
Vorwiegend hinterwestelbische und ost-fälische Bürgertöchter und Studenten brachten den Ossis den korrekten Umgang mit den Prenzlauer Berg-Eingeborenen bei, und natürlich der Volkspolizei, zumindest wenn Kempe, der ja an sich ganz vernünftige Ansichten hat, nicht in Reichweite war. Der Häuserkampf erwies sich als arrogante Inanspruchnahme von Privilegien gegenüber dem Kiez, dem man auf die Beine helfen wollte, was man andersrum auch schaffte. Die Folge war die erste Abwanderungswelle der doch etwas irritierten angestammten Population. Nun konnte man mit Schöner Wohnen loslegen und die Infoläden in Boutiquen und Spezialitätenrestaurants umwandeln.

Mein Vorderhaus wurde von einem Schwung Ost-Medikaster „besetzt“, was wenig störend war, das Nachbarhaus, mit dem unser Haus einen gemeinsamen Hinterhof hat, allerdings von den üblichen Abenteuerbesetzern jüngeren Jahrgangs und vorwiegend westlicher Provenienz.

Eines Nachts zu Bett mit meiner Freundin, legten wir uns ein bißchen Musik dazu auf. Das hörten auf Streife zwei Westbullen, die ihren beiden Vopo-Kollegen mal zeigen wollten, wie man mit Hausbesetzern, für einen derer sie mich zugegeben halten konnten, fachgerecht umspringt. Im Zuge der Auseinandersetzung faßte ich eine tüchtige Tracht Prügel ab und löhnte in Folge einen schlappen Riesen Züchtigungspauschale wegen Widerstands, Herabwürdigung usw. – schönen Schrank noch nachträglich.

Unterdessen im Seitenflügel die Prolls tickten durch, weil sie mit dem ungewohnten Gewusel auf ihrem Hinterhof, wo gemeinhin die Kinder spielten und sich die Alten ihre Speckseiten grillten, an und für sich doch recht wenig anfangen gekonnt. Die besten starben gleich, die mallen kehrten in die Geschlossenen zurück und die vollschacken zündeten sich im Anschluß an eine der zahlreichen kleineren Feierlichkeiten das Dach über’m Kopf an. Das war leider auch mein Dach, und Feuersbrünste stehen ganz oben auf meiner Wunschliste.

Mit dem Kampfruf „Bloß weg vom Zeckenpöbel!“ machten sich verschweißte Klein-familienstrukturen, denen ich hiermit mein persönliches („Die Runde geht auf meine Rechnung“) Bedauern ausspreche, auf den Weg nach Hinterschweineöde – da lachten die Hausbesitzer unisono mit den Hausbesetzern, die in aller Ruhe, besonders in meiner, anfingen, ihre Dielen abzuschleifen.

Als ich eines Nachmittags an einem kniffligen Gedicht saß und mir dazu Discharge oder die „Stations of the CRASS“ aufgelegt hatte, begann mir jemand die Tür einzutreten. Ich dachte schon, es sind wieder die Kameraden vom VPKA gegenüber, straffte mich und machte das Brett auf. Vor mir stand ein sandalettenbewehrter Milchreis-Rasputin, der mich höflich bat, die „Musik“ leiser zu machen. Der sanfte Ton flößte mir Furcht ein und ich gehorchte lieber. Wortknobelnd lauschte ich nun dem Hausbesetzekakophonie aus Flex-Gekreisch und Weltmusik, als plötzlich meine Lieblings-zecke, Wand-an-Wand-Nachbarin und Hobbyschlagzeugerin Andrea, die ich gottseidank nie zu Gesicht bekommen habe, anfing, mit ihrer kleinen Hippie-Combo zu proben. Volle Backline, Hinterhaus 4. Stock, Hut ab.

Die dreifach terroristische Offensive von Suffprolls, Besetzern und Bullerei war meine Triple Oppression. Die Tage meines Harrens waren gezählt, ich hatte sowieso noch nicht ausgepackt.

Von der Problematik der künstlerischen Freiheit und politischen Korrektheit will ich gar nicht erst anfangen – ist mir viel zu heikel.

6 Ein alter Kumpel aus der Kampfzeit des Ostbleis, von Haus aus Kriegskommunist, postwendend jedoch Mitbegründer der dann doch eher bürgerbewegten Postille „die andere“, lud mich ins Feuilletong des blassen Wochenblattes, das seine Funktion für die verunsicherte DDR-Halblinke vorübergehend erfüllte. Zusammen mit zwei neuen westdeutschen Freunden, die wenigstens englisch konnten, stieg ich ein.

Kurskorrekturlehrjahre mit anschließenden Macht-er-grei-fungs-Workshops im kleinen Kreise sind allerdings nicht meine Spezialstrecke, und die Mehrung journalistischen Sal-aderns auch nicht. Statt der von uns erwarteten Be-sprech-ung-en cine—–astischen und literarischen Mainstream Scums sorgten wir für Originalbeiträge uns geistesverwandter Artisten auf dem Tapet. Im Vergleich zu Redaktions-ärschen, die sich das Zeug kommen lassen, das brisanteste, sprich unver-fänglichste aussuchen und genüßlich lektorieren, gaben wir uns Mühe und stiegen den unsicheren Kantonisten unserer Wahl auf ihre Klabüsterbuden, was einiger Trostgetränke bedurfte.

Nach spätestens einem halben Jahr wurden wir im Rahmen einer weiteren Säuberung rausgeschmissen, wie genau, weiß ich nicht mehr und will es auch nicht wissen. Ich war nicht sauer, eher froh, und gefehlt hat mir weißgott nichts, höchstens die Ausstrahlung einiger Mitarbeiterinnen, die durchaus mit Melde-stellensekretärinnen konkurrieren konnten.

Redaktionelle „Arbeit“ ist mir ein Greuel, mein Ideal redaktioneller Tätigkeit ist Konspiration und Direkte Aktion, und das nicht, weil man ein Preßerzeugnis rausgibt, sondern weil man, wenn es pressiert, bewegt ist, bewegen will und sich selbst bewegt. „die andere“ hingegen war Stillstand und der Basis–Druck Verlag, mit dem das Blatt verbandelt war, erwies sich als Hort des Abwiegelns und -würgens.

Diesem Miasma entstiegen nach dem Ableben der „anderen“ erstaunlicher- und konsequenterweise die SKLAVEN.

7 Mit der Situierung der Szeneörtlichkeiten hielt das Essengehen Einzug. Mit jedem beschissenen Geschäfts- und Projektpartner, und wer war keiner, ging man essen ohne soviel kotzen zu können, wie man sich auftischte. Erst gab man sich sonstwo die ethnische Küche und dann in einer Szenekneipe die Kante. Auf Essensbruch stand Schmackhaft, und das uns Kochkünstlern, die wir waren, und aus dem Geringsten das Optimale zauberten. Wir schlugen Feinkost mit Dauerwurst und bissen einen ab, wo sich Gelegenheit und Diebesgut bot. Für uns Halbrussen ist Saufen Gottesdienst, von dem wir nichts Geringeres erwarten als Aufschluß, und derlei Erkenntnis gibt es bekanntlich nicht ohne gelegentliche Aus- und Abschweifungen – auf daß poly-toxikoman und zweifelsfrei die Schwarte kracht. Für Reue und Nachdenklichkeit sorgt der Körper von ganz allein.

Allein, ich kann heut noch nicht verstehen, warum ich meinen Kumpels, nur weil sie plötzlich Kneiper sind, Geld, und noch dazu so viel, dafür geben soll, daß ich einen mit ihnen saufe. Rückblickend interpretiere ich den latenten Unmut, befreundeten Postwendewirten ihr Bier zu bezahlen, als das Aufglimmen des Rechtsunbewußseins. Beim Bier hört nämlich die Freundschaft auf.

8 Die Dekomposition der gewachsenen Festkultur schritt indeß voran. Auf die Technopest folgten Ausverkauf ethnischer Musik, wohl zu einem guten Zweck, Krusten-mucke, neue deutsche Bedenklichkeit, Todesmetall, Postmusik und andere Spe-renzchen mehr. So extrem „lustvolle“ neo-hedonistische Bür-ger–bewegungen wie die Tango-, Flamenco- und Salsa-Wellen fanden gottlobteufelnoch-mal außerhalb meiner verbohrten Sozialrevo-lutionärswachsamkeit statt. Ich kaprizierte mich unterdessen auf Ostblock-Staatsrock mit Flöten und Trompeten, und bekämpfte Easy Listening mit Dampfhammer, Schlepprock und Schwarzmetall.
Gegen den Radiopiratismus wurden Friedesender ausgelegt; brav schlüpften die Korsaren in der Medienlandschaft unter, in der mit Sicherheit kein Kraut gegen den allgegenwärtigen Luftwellenschmiersalm wächst.

Was das Fernsehen anbetrifft, empfehle ich jedem, sich die Propagandasendungen für die lieben kleinen Zuschauer so ab sechs Uhr morgens reinzuziehen, die wirklich gute Arbeit leisten, wie man unschwer an den Aufwachsenden sieht. Der restliche Programmwust aus Desinformation und Filmkunst ist bloße Bildschirmwischerei, aber Erwachsene sind ja genügsam und haben auch gar nicht so viel Zeit, sich einen Gedanken zurechtzubasteln. Blinde, die was taugen, schlafen mit offenen Augen. Die amüsierte Akzeptanz von Werbung in fast jedem Kinotheater spricht in diesem Zusammenhang ebenfalls Bände.

Im Zeitalter der totalen Manipulierbarkeit, das wir gerade, auch aufgrund eigener Dummheit und Duldsamkeit, durchleben, ist Fernsehen einfach nicht das Medium für Information und Lichtspielkunst. Bei Lichte besehen ist die Television ein zutiefst christliches, und somit, wenn man will, satanistisches Medium, das sich insbesondere auf die Förderung der Sieben Todsünden spezialisiert hat. In der Version von Hans Burgkmair sind diese im einzelnen: FRESEREI, NEID, GEITIKAIT, HOFART, TRAKAIT, VNKEISCH und ZORN. Nicht umsonst steht ständig „SAT“ auf dem Bildschirm, und man wird inständig gebeten, Nummern mit 666 anzurufen.

Den Luftwellenrundfunk, im Unterschied zum ganzen Kabelsalat, halte ich für benutzbar, da er nicht so sehr fesselt und in einer unabhängigen Form eine Quelle der Konterkultur sein könnte. Ans Werk, wennís pressiert.

9 Die letzten Dezennien, um nicht zu sagen Millenien politischen Geschehens bestärkten mich in der Überzeugung, daß unsere natürlichen Probleme auf keinen Fall politisch lösbar sind, sondern auf dem längeren Wege kulturell zu bewältigen, allerdings unter strikter Zuhilfenahme radikalen politischen Tuns, im Gegentum zu extremer Untat und mittelständischer Untätigkeit.

Der geschundene und mißgedeutete Begriff des Kulturkampfes ist natürlich von beschränkter Gültigkeit, bezieht sich aber auf eine bestimmte Phase des Widerstandes gegen die Überhelfung des Kulturimperialismus, die mit der Kolonialisierung einherging. Der Kulturkampf sollte lediglich verhindern, daß sich die Aktivisten der unabhängigen Kulturschiene der DDR insbesondere vor den Eingeborenen und nicht so sehr vor dem Gemüse zum Obst machen.

Aus diesem Kampf konnten nur Sieger und Helden hervorgehen. Die Sieger standen allerdings von Anfang an fest, den durch-gegeigten Helden wurde Beliebigkeit aufgebrummt und die Partisanen wurden mit der Wucht der Saläre gepudert.
So kam es zum vorübergehenden Sieg der Markenartikel.

10 „wo ich bin/ist öder ort/spätestens nach fünf minuten/& dann in einem fort“ – Katalysatoren dieses individualapokalyptischen Zustandes sind im Prenzlauer Berg Künstler (Installateure, Projektanten und Konzeptler), Milchkaffeestudenten, Radfahrer und Bauarbeiter, oft in Tateinheit. Der Tourismus ist in diesem Zusammenhang ein geringes Übel und der Selbstdarstellungssucht herausragender Inhabitanten geschuldet. Damit müssen wir leben, man kann ja nicht alle erschießen, schon allein aus moralischen Gründen. Außerdem kann man sich davon prima erholen, indem man lecker in Urlaub fährt oder sich doppellecker ein Aufenthaltsstipendium sonstwo geben läßt – das beste an Berlin ist ja gerade das Zurückkommen, außer der Staatsapparat natürlich.

Kopfzerbrechen bereitet mir allerdings die Verrohung der Kunst- und Kulturschiene, die sich ja einige Zeit noch mit Brunst und Blutrunst hat über Wasser halten gekonnt, jetzt aber völlig verschorft ist. Aggression und Humor verkamen zu Schlingensief und Westentasche. Ich sehe lange Mienen in den Kantinen, ich betrachte Dinge des täglichen Bedarfs in den Galerien, ich höre narrativen Quatsch anstatt auch nur der geringsten Erfahrung, und ich kann beim besten Willen nicht verstehen, warum sich die Schauspieler immer so aufregen.

Schuld an diesen Phänomenen sind Randprobleme des Wirtschaftslebens, das man vielleicht mal so langsam in eigene Regie nehmen sollte, aber sachte, nicht gleich wieder alle umnieten, wie gesagt. Die Motivation derer, die aus den Üppigen in die Nassen kommen, ist hoch – der Lumpenintelligenzia sei’s in den Tisch geritzt. Was hält euch zurück, ran an die Produktionsmittel, nicht so überstürzt, nicht gleich alle auf einmal. Das Leben muß ja auch weitergehen; immer schön drastisch in der Poesie und lakonisch in der Prosa, oder wie man sich ausdrückt.

„worüber man schweigen kann
sollte man nicht ausplaudern“
Serxwerbun! Und, wenn’s geht – keinen eigenen STAAT bitte.

Bert Papenfuß: In den achtziger Jahren Protagonist der Künstlerszene in Prenzlauer Berg, Autor meherer Lyrikbücher, Zusammenarbeit mit verschiedenen Musikformationen, Redakteur der Zeitschrift „Sklavenaufstand“.

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