Gedanken eines Delegierten nach „seinem“ Parteitag

aus telegraph 10/1989
vom 20. Dezember 1989

(Parteitag des „Demokratischen Aufbruchs“ in Leipzig)

Eines hat dieser Parteitag auf jeden Fall gezeigt, der Demokratische Aufbruch wurde seinem im Oktober 1989 formulierten Anliegen, sich Partei eines vielleicht neuen Typs, d.h. nicht auf Ideologien ausgerichtet zu sein, sondern ein gleichberechtigtes Spektrum von sozialistischen, sozialdemokratischen, ökologischen, liberalen und konfessionellen Ansichten darzustellen und für die Demokratisierung in allen Lebensbereichen unserer Gesellschaft einzustehen, nicht gerecht. Leider. Der Mißbrauch der gewaltlosen Revolution der Hunderttausenden für Demokratie und Menschenrechte in unserem Land zum Aufmarschgebiet großdeutscher Wichtigtuer ist deutlich zu erkennen.

Die Worte „sozial und ökologisch“ im Parteinamen scheinen durch den harten Umschlag in rechtsliberal-deutschnationale Ausrichtung in die Bedeutungslosigkeit abgedrängt worden zu sein.

Denn der sich auch zu sozialistisch-demokratischen Werten bekennende linkere Flügel der Partei, vor allem aber die Jugend, welche die Bildung eines weitestgehend von der Partei unabhängigen Verbandes anstrebt, hat es nicht vermocht, in das umstrittene Parteiprogramm seine Vorstellungen eines Sozialismusbildes, von Problemen sozialer Marktwirtschaft und das Generalthema der deutschen Einstaatlichkeit einzubringen. Somit besteht die Gefahr, daß die noch junge Partei durch Spaltung in zwei zerstrittene Lager an politischer Kraft verliert und nach außen und im Hinblick auf die Wahl `90 an Glaubwürdigkeit einbüßt.

Die nächsten Monate werden zeigen, ob diese Partei es schafft, die unterschiedlichen Auffassungen zu einem von allen Mitgliedern getragenen eindeutigen Programm zur Lösung der gesellschaftlichen, ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Probleme jetzt und in der Zukunft in diesem Land zu einen.

Oder der als parteischädigend und rot verunglimpfte linkere Flügel läßt sich auf ein ökosoziales Abstellgleis der Partei schieben; kommt durch Abtrennung zu einer eigenen Partei; findet seine politische Heimat in einer der vielen anderen neuen Parteien in diesem Land.

m.h.

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