Kommentar: Hat die Regierung Modrow ein Konzept?

aus telegraph 10/1989
vom 20. Dezember 1989

Hat die Regierung Modrow ein Konzept?
Ja, den Ausverkauf der DDR!

„Was passiert, wenn zum jetzigen Zeitpunkt Mindestumtausch und Visumpflicht für alle Bundesbürger entfallen“, fragte in diesen Tagen ein Plakat der „Autonomen Aktion Prenzlauer Berg“. Arbeit in der DDR lohne sich nicht mehr, denn selbst die ärmsten Bundesbürger seien beim Umtausch ihrer Währung den genau so hart arbeitenden DDR-Bürgern überlegen. Gewarnt wird auch vor westdeutschen Neonazis, die sich dank der neuen Regelung ungehindert auf dem Gebiet der DDR bewegen und zum Zünder für Explosionen werden könnten. „Wenn die Regierung weiterhin mit so leichter Hand Verträge unterschreiben kann, dann brauchen wir am 6. Mai 1990 nicht mehr zu wählen, weil es nichts mehr zu wählen gibt.“

Es ist allerdings auffallend, daß die Regierung Modrow bisher kaum etwas über flankierende Maßnahmen zu der neuen Grenzöffnung verlauten ließ. Dienstleistungen, Kneipen, Theater, Kinos und vieles andere, soviel ist sicher, werden von DDR-Bürgern in Zukunft kaum noch besucht werden können. Welcher Westberliner wird noch für teure Westmark zum Friseur in Westberlin gehen, wenn er das gleiche für wenige Pfennige einige hundert Meter weiter haben kann. Die Arroganz von DDR-Kellnern wird sich noch verstärken: Es gibt schließlich genügend Gäste und die besseren geben auch schon mal eine Westmark als Trinkgeld. Ganz abgesehen von der Frage, ob die ewig angespannte Warendecke der DDR diesen Ansturm von BRD-Bürgern nach Schuhen, Werkzeugen, Textilien, allem, was nicht verzollt wird, aushalten kann.

Aber die von niemand legitimierte Regierung Modrow (auch die Volkskammer ist nicht legitimiert!) trifft auch weittragendere Entscheidungen. Sie segnet Vereinbarungen zwischen Ost- und Westunternehmen über Beteiligung von Westkapital ab, die bis dato keinerlei gesetzliche Grundlage haben. Sie trifft mit Siemens Vereinbarungen über Nachrüstung von alten und den Bau von neuen Atomkraftwerken. Sie trifft Grundsatzentscheidungen, zu denen sie als Übergangsregierung mitnichten befugt ist. Sie macht das in einer Geschwindigkeit, die jede künftige Volksvertretung vor vollendete Tatsachen stellt.

Auf dem Sonderparteitag der SED warf am Samstag der für Wirtschaftsfragen zuständige Nowakowski der Modrow Regierung genau das, den plan- und konzeptlosen Ausverkauf der DDR und den Import fremden Kapitals vor. Die Wirtschaftsministerin der Modrow-Regierung, Prof. Christa Luft (SED) verteidigte sich folgendermaßen:

„Wir sehen die Wirtschaftsreform natürlich nicht als ein Ziel, sondern wir sehen sie als ein Mittel. Die Gestaltung der Wirtschaft in diesem Lande, mit der wir dieses Land zu einer attraktiven Heimat für 16 Millionen Menschen machen können, und vielleicht auch für welche, die uns verlassen haben, daß sie jetzt zurückkommen, – zu einer Heimat zu machen, daß sie freiwillig gern hier bleiben, daß sie entsprechend ihrer Leistung ihre Bedürfnisse befriedigen können, ihre sozialen und ihre ökologischen Bedürfnisse gleichermaßen und daß sie bitteschön auch ein Eigentümerbewußtsein und ein Eigentümerverhalten entwickeln. Dieses Verhalten muß natürlich zuerst in unseren volkseigenen Betrieben beginnen, indem die Werktätigen dort Einfluß gewinnen auf die Gestaltung effektiver Produktionsstrukturen, indem sie auch Einfluß bekommen darauf, wer sie leitet, indem sie auch Einfluß bekommen auf die Arbeits und Lebensbedingungen, usw.. Aber dieses Eigentümerbewußtsein, dieses Eigentümerverhalten, diese Bindung an die Heimat zu erreichen, ich persönlich sehe dafür auch solche Möglichkeiten wie die Ermöglichung des Kaufs von Grundstücken, von Eigenheimen, von Eigentumswohnungen bitteschön, (Applaus) – alles muß durch die Volkskammer noch hindurch. Und dies kann, dies kann ich unterstreiche das dick – bis zum Erwerb von Aktien gehen, aber auch dies bedarf ja noch des Konsens in unserer Gesellschaft. Ich muß eine Bemerkung dazu machen. Diese Regierung muß sich Gedanken machen, wie wir den Kaufüberhang in unserem Lande sinnvoll binden. Denn, was wir nicht wollen, ist eine Abwertung unserer Währung, die die vielen kleinen Sparer doch vor allen Dingen treffen würde!“ (Applaus).

-Frau Luft sprach beredt vom Einfluß der Werktätigen in den Betrieben und auf deren Leitung. Wurde nicht genau das bisher von Partei und Regierung erfolgreich verhindert?
-Frau Luft möchte bei den Bürgern der DDR „Eigentümerverhalten“ entwickeln. Das soll aber nicht geschehen, indem die Arbeiter ihre Betriebe selbst übernehmen, sondern über Ankauf von Grundstücken, Eigentumswohnungen und – Aktien. Preisfrage: Welche Leute werden das Geld haben, um Aktien und anderes zu kaufen? Arbeiter oder Angehörige der Führungsschicht?

-In einem Punkt möchten wir Frau Luft zustimmen: Ein neues Vereingungsrecht, ein neues Mediengesetz, ein neues Zivilrecht, ein neues Arbeitsrecht, ein neues Strafrecht und nicht zuletzt eine neue Verfassung, „alles muß durch die Volkskammer noch hindurch“. Und nicht zuletzt muß eine wirkliche Volksvertretung geschaffen werden.

Glaubt Frau Luft im Ernst, daß es den „volkseigenen Betrieben“ nach ihrem Konzept ad hoc und auf Dauer möglich sein wird, gegen internationale kapitalistische Konzerne anzustinken, die Herr Modrow ins Land lassen will und die doch zu einem wesentlichen Teil auf den Billiglöhnen der 3. Welt basieren. Und wie soll das mit der Ökologie zusammengehen, wenn doch internationale Konzerne dadurch überlegen sind, daß sie die Lösung ihrer ökologischen Probleme den Regierungen und Gesellschaften überlassen, bzw. in die dritte Welt verschieben.

Leider löste das Phantasiekonzept von Frau Luft lebhaften Beifall der Delegierten des SED-Parteitages aus, während Rudolph Bahro, 1978 aus der Partei ausgeschlossen, zu 8 Jahren Haft verurteilt und dann in die BRD abgeschoben, mit seinen Überlegungen nur höhnisches Gelächter und Unverständnis erntete: „Auch Hans Modrow will das Hase- und Igel-Spiel fortsetzen, dieses Autorennen TrabiWirtschaft gegen Mercedes-Wirtschaft, bei dem unsere Wirtschaft auf der Strecke bleiben muß.“

So sehr sich die SED gewendet hat, Nachdenklichkeit über die Sackgasse der Industriegesellschaft kann man von ihr nicht erwarten. Noch weniger leider von den anderen Alt- und Neu-Parteien, soweit sie nicht ohnehin, wie der Demokratische Aufbruch, soweit verstritten sind, daß ihre Spaltung vorgebucht ist. Langsam geht auch die Hoffnung verloren, daß sie wenigstens im Interesse ihrer Selbstprofilierung den Runden Tisch nutzen, um den unzeitigen Tatendrang der Regierung Modrow zu bremsen und wenigstens Grundsatzentscheidungen wie z.B. die über ein neues energiepolitisches Konzept bis zu einer Volksentscheidung zurückzustellen.

Möglichkeit zu einer kompetenten Entscheidung wird die Bevölkerung auf lokaler Ebene haben. Hier werden Parteienvertreter keine Sprechblasen erzeugen können, hier sind konkrete Antworten gefragt. Es wird Aufgabe der Ökologiegruppen und anderen Basisgruppen, der Bürgerkomitees und anderen Bürgerinitiativen, der Betriebsräte vor Ort sein, die realen Probleme des Landes zu benennen und eine wirklichen ökologischen und sozialen Umbau der Industriegesellschaft anzuregen. Deshalb bleibt, selbst abgesehen von der Wahlfälschung, der nächste logische Termin eine Wiederholung der Kommunalwahlen, und zwar vor den Volkskammerwahlen, selbstverständlich nach einem neuen Wahlgesetz. Eine verfassungsgebende Versammlung kann dann aus den Vertretern von Kreisen, Bezirken bzw. Ländern zusammengesetzt werden.
Eine Demokratie sollte von unten nach oben aufgebaut werden, nicht umgekehrt.

r.l.

© telegraph. Vervielfältigung nur mit Genehmigung des telegraph