Neues vom Untersuchungsausschuß

aus telegraph 10/1989
vom 20. Dezember 1989

Eigentlich war es ja schon immer klar, wo die Verantwortlichkeiten für die Vorfälle um den 40. Jahrestag zu suchen sind. Nach der letzten Sitzung des unabhängigen Untersuchungsausschusses am 5. Dezember ist bewiesen: Die Befehle kamen von Honecker, Schabowsky war Einsatzleiter der Berliner Bezirkseinsatzleitung und Mielke am Tatort anwesend. Interessant sind die Details. Bereits einen Tag nach der Konstituierung des Untersuchungsausschusses war das Tonband mit dem Mitschnitt der Schabowsky-Rede vor der Volkskammer unterwegs. Das war der 9. November, an dessen Abend Schabowsky hektisch die Öffnung der Grenzen bekanntgab. Das Thema Untersuchungsausschuß war erst einmal von der Presselandschaft verdrängt. Trotzdem wurde Schabowsky am 15. November vor den Untersuchungsausschuß zitiert. Er erschien auch prompt nach Anruf, hatte anscheinend bereits den ganzen Tag darauf gewartet. Er bot auch sofort seine „aktive Mithilfe“ bei der Aufklärung an, mit dem Versprechen, einen Befehlsgeber aus dem Nationalen Verteidigungsrat zur Befragung zu zitieren. Aber wohl durch einen Rüffel des damaligen Politbüros mußte er seine Zusage zurückziehen. Der Ausschuß drohte daraufhin unter diesen Umständen der offensichtlichen Ermittlungsbehinderung, seine Arbeit einzustellen. Bis zur nächsten Sitzung des Untersuchungsausschusses hatte sich das Machtkarussell bereits weitergedreht. Am 6. Dezember erschien ein Vertreter des Nationalen Verteidigungsrates, der Sekretär desselben, Generaloberst Strelitz, Stellvertreter des Ministers für Verteidigung und mußte sich den bohrenden Fragen stellen. Diese Sitzung brachte dann doch den erhofften Durchbruch. Auf Bitte von Strelitz waren auch Polizeipräsident Rausch sowie Generalmajor Hähnel (Stasichef von Berlin) anwesend.

Am 26. September, so Strelitz, bekam er von Honecker den Auftrag, einen Befehl des Nationalen Verteidigungsrates zur Aufrechterhaltung von Ordnung und Sicherheit am 40. Jahrestag auszuarbeiten. Darin war u. a. die Rede von Provokationen und Hetzkampagnen seitens aus der BRD und Westberlin gesteuerter und von dort ausgehaltener feindlicher Gruppen, denen entschieden entgegenzutreten sei. Noch am 26. September unterschrieb Honecker im Genesungsurlaub. Am 27. wurde er dem Rest des Nationalen Verteidigungsrates zur Kenntnis gereicht. Die bestehende Struktur, so Strelitz, machte es möglich, daß Honecker als Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates unumschränkt Befehle geben konnte, ohne den Nationalen Verteidigungsrat in einen Entscheidungsprozeß einzubeziehen. Zwei weitere Befehle existierten für Leipzig und die anderen Regionen. Zur Koordinierung wurden Kreis- und Bezirkseinsatzleitungen gebildet und beauftragt, in Verbindung mit den jeweiligen SED-Leitungen. Erst am 30. November wurden sie aufgelöst. Auch im ZK gab es eine Sicherheitsabteilung unter Vorsitz von Herger. Für Berlin hatte Schabowsky, als SED-Bezirksleitungschef, die Einsatzleitung inne. Generalmajor Hähnel berichtete, daß es im Befehl von Mielke um die Auflösung von aktiven Zusammenrottungen ging. Auch Rausch bestätigte, daß die Führung von Stasiminister Mielke ausging. Nicht Rausch, sondern Mielke hatte befohlen, die Demonstration unter keinen Umständen zuzulassen und aufzulösen. Er fügte hinzu, daß auch nicht er, sondern Mielke befohlen hatte, Personen länger als 24 Stunden festzuhalten. Dabei betonte er, daß es ihm dabei nicht um das Ansehen seiner Person ginge. Strelitz antwortete auf die Frage nach dem Befehl des Einsatzes der Spezialausrüstung, daß mit der Ausgabe derselben auch ihre Anwendung befohlen ist. Nachdem sich diese Zeugen verabschiedet hatten, folgte der eigentliche Knalleffekt des Tages.

Ein Angehöriger der kasernierten Einheiten des MdI, der ausdrücklich anonym bleiben wollte, sagte aus. Zuerst schilderte er einen Vorgang, der den Ernst und die ganze Tragweite seiner Aussagebereitschaft verdeutlicht. Nachdem er einige seiner mitdienenden Kameraden brieflich gebeten hatte, ebenfalls auszusagen, erschienen Anfang Dezember zwei Herren vor seiner Wohnung. Auf die Frage, was sie wünschten, erhielt er einen Faustschlag ins Gesicht, schaffte es aber noch, die Tür schnell wieder zu schließen. Es ist anzunehmen, daß es sich um Angehörige des Sicherheitsapparates handelte.

Bereits Anfang Mai, 4 Tage vor der Kommunalwahl wurde seine Einheit in die umliegenden Wälder befohlen, wo eine Art Waffenschau stattfand. Polizeischutz- und Sonderausrüstung wurden vorgeführt, vom Gummiknüppel bis zum Wasserwerfer. Auf einer Tribüne konnte er neben Offizieren Krenz entdecken.

Am 7. Juli, dem Tag der zweiten Protestdemo gegen die Wahlfälschung, wurde seine Einheit rings um den Alexanderplatz verteilt, um gegen „Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorzugehen“. Nach seinen Schätzungen aufgrund von Umfragen bei anderen Sicherheitsbeamten waren ca. 2 500 am Alex im Einsatz.

„Uns wurde ganz stolz berichtet, daß man an diesem Tag die SEDBezirksleitung davon überzeugen konnte keine Journalisten zuzulassen, am Alexanderplatz. Die Leute, die dort filmen,sind alles nur Leute von uns und es wird also keiner im nachhinein irgendwie belangt werden können weil es eben nur die Leute sehen, die ohnehin Stillschweigen darüber bewahren.“

Weiter führte er aus, daß in Vorbereitung des 40. Jahrestages ab Anfang August Angehörige der Kampfgruppen im Objekt Basdorf Nahkampfausbildung erhielten, Anwendung von Knüppeln, Absperren und Räumen von Plätzen, Straßenzügen usw.
Er selbst wurde zum Wachdienst ins Präsidium der VP versetzt, wo er an einer Schleuse gegenüber dem Parkhaus stand. Dort holten Tag und Nacht Fahrzeuge der Kampfgruppen Waffen und Munition ab unter Aufsicht von Befehlshabern mit sehr hohen Dienstgraden. „Das war von dort ziemlich deutlich einsehbar, wie sie mit diesen ziemlich alten Maschinengewehren auf zwei Rädern über den Hof fuhren um die dann zu verladen.“

Dann berichtete er noch vom Einsatz am 7. Oktober in der Schönhauser Allee. Die Truppe war am Nachmittag mit der Sicherung der Protokollstrecke während des Abflugs von Gorbatschow betraut. Gleich danach wurden die Einheit „ziemlich wahllos“ in der Stadt umhergeschickt und kam so auch zur Schönhauser Allee.

„Wir mußten dort mit unserem Militärkraftfahrzeug zwei Sperrketten passieren und standen dann unmittelbar vor den Demonstranten…Ich konnte dort sehen, wie immer wieder versucht wurde, den Demonstrationszug auseinanderzubringen. Nachdem das nicht glückte, wurde versucht, einzelne Leute herauszulösen, wie das im Polizeisprachgebot heißt. Ich würde das anders formulieren…Die Fahrzeuge mit den Räumgittern hatten Befehl, langsam an den Demonstrationszug heranzufahren, zwei Beamte weigerten sich, worauf Berufspolizisten die Türen des Fahrzeugs aufrissen, die zwei herausrissen und zusammenschlugen. Nachdem dann der Demonstrationszug über mehrere Seitenstraßen umfahren worden war, stand die Einheit nun auf der anderen Seite der Demonstranten und konnte so auch das Geschehen beobachten. Plötzlich hielt in 20 Meter Entfernung ein Citroen, aus dem zwei Männer in Zivil stiegen. Bei dem einen bemerkte ich an seinem rechten Ohr einen kleinen Ohrhörer. Es handelte sich also um Personenschutz allerhöchster Repräsentanten. Kurze Zeit später stieg Herr Mielke aus, lief ein paar Schritte. Sofort meldeten Offiziere. Er winkte bloß ab, sah in Richtung Demonstrationszug, der durch eine Sperrkette von Angehörigen des Stasi – Wachregiments Dzierzinsky abgeriegelt war und rief: „Haut sie doch zusammen, die Schweine!“, „Jetzt müßt ihr hier dicht machen.“ und solche Parolen eben.“

Bemerkenswert an den Ausführungen des ehemaligen MdI-Mannes war noch, daß er auf die Frage, ob es Angebote an die Bereitschaftspolizisten gab, am Einsatz nicht teilzunehmen, antwortete, dieses sei nicht der Fall gewesen.

Am Vormittag des 8. Oktober wurden die Angehörigen der BePo informiert, sie sollten nicht erschrecken, wenn ab jetzt Gas eingesetzt würde. Das Erstatten von Strafanzeigen gegen den ehemaligen Leiter der Bezirksbehörde Berlin des MfS Hähnel (noch immer im Amt beim jetzigen Sicherheitsdienst), gegen den ehemaligen Polizeipräsidenten von Berlin, Rausch, gegen den ehemaligen Stasi-Minister Mielke und andere „herausragende Persönlichkeiten des politischen Lebens“ ist nur eine erste Konsequenz. Es bleibt wohl abzuwarten, was sich aus der Arbeit des Untersuchungsausschusses noch weiterhin ergibt.

Eine weitere Tagung des Untersuchungsausschusses fand am 14. Dezember statt. Dabei ging es hauptsächlich um die Anhörung von 6 Betroffenenberichten, die bereits vorliegende Informationen, welche schon in den Sammelmappen der Öffentlichkeit vorgelegt wurden, bestätigten.
Interessant an dieser ansonsten unspektakulären Sitzung war allerdings der Beschluß, an drei Mitglieder des Untersuchungsausschusses Mahnbriefe wegen ständiger Abwesenheit derselben zu versenden. Sie sollen sich überlegen, ob sie ihre Mitarbeit noch als wesentlich ansehen würden. Darunter befindet sich auch der 2. Sekretär der Berliner FDJ-Bezirksleitung, Andreas Dywicki. Er beschwerte sich noch im Oktober belegbar ungerechtfertigterweise in Artikeln verschiedener Zeitungen über die angebliche Unzuverlässigkeit eines Mitglieds der Umweltbibliothek. Im Anschluß an diese Sitzung reichte der Polizeipräsident von Berlin, Rausch, seinen Rücktritt ein. Das Gesuch wurde inzwischen genehmigt.

t.b.

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