SED-PDS Der dritte Weg ins Jenseits

aus telegraph 10/1989
vom 20. Dezember 1989

Einen „dritten Weg“ jenseits von Stalinismus und Monopolkapital solle die SED anstreben, hieß es in einem der vielfältigen Papiere, die den Parteitag der SED vorbereiteten. So ähnlich wurde es dann auch auf dem Parteitag als provisorisches Programm und Statut verabschiedet. Eine Partei, die einstmals allmächtig war in diesem deutschen Teilstaat, kann sich heute nur noch negativ definieren. Sie will weder das Eine noch das Andere, aber was sie nun eigentlich will, weiß sie nicht mehr. Da hilft auch nicht der beschlossene Zusatz PDS zum Parteinamen – Partei des Demokratischen Sozialismus. Nicht eine Maßnahme, die diesen Namen verdient, kann die SED-PDS mehr vorschlagen. Die Debatten des Parteitags waren von der Abrechnung mit ihrer alten Führung geprägt, nicht vom Willen zur politischen Gestaltung. Das Leben geht an dieser Partei vorbei. Im Land werden Betriebdirektoren von aufgebrachten Arbeitern kurzerhand abgesetzt und noch amtierende Direktoren verlangen die Mitarbeit der sich bildenden Arbeiterkomitees, weil ohne sie die Produktion nicht mehr aufrecht erhalten werden kann. Auf dem SED-Parteitag ist davon nicht die Rede. Die frühere „Partei der Arbeiterklasse“ hat dazu nichts zu sagen. Wo werden die Studenten der Humboldt-Universität in Zukunft studieren? Hier oder an der FU? Die SED sagt nichts dazu. Die Arbeit der kommunalen Verwaltungen kommt mehr und mehr zum Erliegen, weil niemand noch weiß, wo es langgeht und die alten Bürgermeister untragbar geworden sind. Wer soll heute diese Verwaltung ausüben? Wer oder was soll beispielsweise die KWVen ersetzen angesichts des tödlichen Verfalls unserer Städte. Die SED weiß es nicht – woher sollte sie es auch wissen? Was sollen die Betriebe in Zukunft produzieren und für wen? Gewachsene Marktbeziehungen gibt es nicht mehr dank der zerstörerischen Wirtschaftspolitik von Günter Mittag, aber einen verbesserten Plan der Modrow-Übergangsregierung gibt es auch nicht – im Wirtschaftsjahr 1990 droht ein ökonomisches Chaos von unvorstellbarem Ausmaß. Die SED hat keine Antwort. Was nützt das Wort vom demokratischen Sozialismus, wenn das Einzige, was die ModrowRegierung tut, darin besteht, den westlichen Unternehmen Tür und Tor zu öffnen, die gar nicht mehr warten wollen, bis die sogenannten Rahmenbedingungen geschaffen sind, die Kohl und Haussmann vehement fordern. Die SED weiß nichts und sagt nichts, sie ist eine innerlich tote Partei, auch wenn ihr, wie Gysi verkündete, immer noch 1,7 Millionen Menschen angehören. Sie hat dem Lande nichts mehr zu bieten. Kraftlos versucht sie sich in Aufbruchstimmung zu reden – ihr Verfall aber wird weitergehen.

War die SED überhaupt eine Partei? Kommunisten und Sozialdemokraten, die sich in ihr 1946 zusammenschlossen, waren es wohl, aber in der SED wurden beide Parteien zerstört durch die Schaffung der „Partei Neuen Typus“. Sie hat beide Richtungen der deutschen Arbeiterbewegung nicht vereint, sondern vernichtet, und auf ihren Trümmern einen Apparat errichtet, die seine eigenen Interessen über die der Arbeiterbewegung und die des Landes stellte. Die Vereinigung von 1946 leitete nicht die Überwindung der Krise der organisierten Arbeiterbewegung ein, sondern ihre Zerstörung, zumindest auf dem Boden der DDR. Gysi spricht davon, die SED sei immer noch die stärkste politische Kraft in der DDR, aber das ist nur ein bequemer Selbstbetrug. Viele derjenigen, die auf dem Parteitag als Delegierte auftraten, können gar nicht wissen, ob ihre sogenannte Basis überhaupt noch besteht. Jeder weiß doch,was den größten Teil der Mitglieder früher in die Partei geführt hat. Die werden jetzt als menschlicher Staub aus der Partei herausgeweht in alle Winde, und der verübergegangenen Parteitag wird diesen Prozeß nicht dämpfen, sondern verstärken. Die SED ist keine Partei. Nach dem Parteitag ist sie höchstens noch ein Traditionsverein von Menschen, die Angst haben, nach einer neuen Perspektive Ausschau zu halten.

SED plus Stasi – das war der Staat. Ihr Verfall bedeutet Staatskrise. Diejenigen Linken außerhalb der SED, die die DDR als eigenständiges Gebilde erhalten wollen, sind im Moment eher der Panik nahe als einer verantwortlichen Politik, die der Bevölkerung einen Weg zeigen könnte. Die Menschen im Lande sind ratlos. Die einzigen, die einen Plan haben für die DDR, sind die westlichen Banken und Konzerne. Gysi sprach von seinem Wunsch, die DDR möge nicht zum Armenhaus der Bundesrepublik werden. Wir sind es schon – und jeder DDR-Bürger erlebt es peinvoll bei jeder Reise in den Westen. Kein Wunder, daß vielen die Einheit Deutschlands nicht nur als nationales Bedürfnis, sondern als einzige Rettung erscheint angesichts der Katastrophe, die über sie hereinbricht. Nicht sie haben Schuld an dieser Lage, sie sind Opfer. Trotzdem arbeiten sie immer noch und halten das Leben aufrecht. Sie versuchen sogar mit der Gründung von Ausschüssen und Komitees, die Lücke zu füllen, die die bankrotte SED hinterlassen hat. Ihnen eine politische Perspektive zu geben, ist das Gebot der Stunde.
p.h.

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