Westmülldiskussion in Kallinchen

aus telegraph 10/1989
vom 20. Dezember 1989

Der Umweltausschuß der Gemeinde hatte für den 7. Dezember zu einem Bürgerforum eingeladen, zu dem auch BürgerInnen der umliegenden Gemeinden Schöneiche und Gallun erschienen. Versammlungsleiter Ulrich Wolter (Umweltschutzaktiv des Gemeinderates) berichtete zunächst, daß es im Sommer auf der Deponie mehrmals gebrannt habe. Dies war auch der Anlaß, die Versammlung einzuberufen. Dann erinnerte er an die Vorgeschichte der Westmülldeponie (Schöneiche ist geteilt; neben der Westmüllkippe gibt es eine Ostmüllkippe, die seit den 20er Jahren in Betrieb ist und seinerzeit den Grossberliner Müll aufnahm): 1974 sollte die Gemeinde ihren Beitrag zum 25jährigen Republikgeburtstag leisten und der Errichtung der Deponie zustimmen, die Regierung hätte aufs Beste für alles gesorgt. Die Gemeinde stimmte zu, erteilte aber Auflagen: Nur für Siedlungsabfälle, nur für Berlin, Garantie für Nicht-Beeinträchtigung des Naherholungswertes(Kallinchen ist ein beliebter Urlaubsort), Schutz des Grundwassers durch eine Abdichtung nach unten, Maßnahmen zum Lärmschutz, gegen Verwehungen und Ungeziefer. Kein Problem, hieß es damals, eure Auflagen werden erfüllt. Sickerwasser falle bei einer solchen Art von Deponie sowieso nicht an (womöglich eine Erfindung der Westmedien? d. Red.). Die Deponie werde sich der Naherholung anpassen (?). Aber, so Wolter, die Auflagen seien nicht eingehalten worden, die Bürger hätten keine Kontrollmöglichkeiten gehabt, da ihnen der Zutritt verwehrt wurde.

Darauf ergriff Bezirksrat Rössiger das Wort. Ja, die Auflagen der Gemeinde seien nicht immer voll eingehalten worden, aber er könne die Bürger beruhigen. Seit einem Jahr (!) mache man sich auf Bezirksebene intensive Gedanken und von einer Beeinträchtigung des Grundwassers sei ihm nichts bekannt. Diese Wissenslücke konnte sofort geschlossen werden. Vertreter der Wasserwirtschaft und der TU Dresden berichteten von ihren Meßergebnissen, wonach die Kontrollbrunnen rund um die Deponien teilweise erheblich belastet seien. Dabei schätzten sie den Anteil der (erheblich älteren) Ostmüllkippe an der Verseuchung höher ein als den der Westmüllkippe, die allerdings stark im Kommen sei. Das Grundwasser fließe nach Norden, damit sei mittelfristig auch das Wasserwerk Mittenwalde gefährdet.

Nun kam der Vertreter der Intrac, gekleidet in einen Manager-Kampfanzug aus feiner dunkelblauer Seide, und versuchte, die Bauern abzubluffen. Wir vom Aussenhandel…internationale Verträge auf höchster Ebene…Nein,und mit den Umtrieben des Schalck hätten sie aber auch gar nichts zu tun gehabt, alle Valutaerträge, alle seien der Aussenhandelsbank der DDR überwiesen worden, 11,3 Mrd DM seit Gründung der Intrac. Und man habe…wegen der gutnachbarlichen Beziehungen zu Westberlin…auch die Abfälle, und dann hätten die Westberliner ihre Müllkippe gar nicht voll gekriegt, so habe man in Westdeutschland aquirieren müssen, in Hessen…Biomasse (vulgo: Klärschlämme) für bis zu 100 DM/t. Ob das nicht Dumpingpreise seien? Nein..die internationale Konkurrenz… der Markt,..aber der Vertrag mit Westberlin (z.Zt. 42 DM/t), der sei schon recht günstig.

Dann kamen endlich die Bürger zu Wort, und sie ließen Dampf ab. Betrogen worden seien sie damals, und „auch heute versucht ihr noch zu lügen“. Die Bürgermeisterin von Gallun war „erschüttert, erst heute zu erfahren, dass sie ihr Wasser aus dem eigenen Brunnen eigentlich nicht mehr trinken könne“. Was denn Hygiene und Gewässeraufsicht die ganzen Jahre gemacht hätten? Ein Bauer berichtete, wie er damals sein Land, „bestes Ackerland der Gegend“, habe abtreten müssen. 0,15 M/qm hatte man ihm geboten, aber er könne auch ohne Entschädigung enteignet werden, da habe er unterschrieben. Eine Bürgerin erinnerte sich, daß auch der Büttenredner vom Karneval von einigen Herren zur Seite genommen wurde und das Verbot erhielt, über Müll zu reden – die Stasi dachte an alles. Und die vielen Versprechungen von damals: auf die zentrale Wasserversorgung warte man noch heute, und die Kaufhalle, die hätte schließlich die LPG selber gebaut. Und der eigene Müll müsse noch immer in den Wäldern verscharrt werden, weil sie nicht auf die Deponie dürften. Auf dem Podium versuchte man zu retten, was noch zu retten war. Die Wasserversorgung sei schon im Plan 1990 mit 49 Mill M bilanziert, und die Grundwasserverschmutzung, das seien doch die vielen Fäkaliengruben der Anwohner. Aber gewiss, man werde darüber nachdenken, die Region stärker von den Valutaeinnahmen profitieren zu lassen. Und einfach keinen Müll mehr annehmen….das ginge doch nicht…internationale Verträge…

Die Versammlung ging nach Mitternacht auseinander, konkrete Beschlüsse wurden nicht gefaßt. Ein Antrag des Gemeinderates, in dem u.a. der sofortige Stop von Müllieferungen aus der BRD und dem übrigen kapitalistischen Ausland; Schließung der Deponie 1994 (Erfüllung des Vertrages), Stillegung der Sondermüllverbrennungsanlage, die Errichtung einer zentralen Wasserversorgung, ferner der Rücktritt von Reichelt und die Bestrafung der Verantwortlichen gefordert wurde, konnte an diesem Abend nicht mehr beschlossen werden, da der Gemeinderat zu später Stunde nicht mehr beschlußfähig war (dies wurde mittlerweile nachgeholt; inzwischen haben sich auch die Gemeinden Gallun und Schöneiche, sowie die Kreise Zossen und Königs-Wusterhausen angeschlossen).

oeh

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