„Schon immer ein wenig autonomer als die Restzone“

Die Dresdner Basisgruppen nach der Wende

aus telegraph 10/1990
von Wolfgang Rüddenklau

Ganz anders als in Erfurt, viel differenzierter und ambivalenter sind die Verhältnisse in Dresden. Dresden ist die einzige größere Stadt in der DDR, in der die CDU ihren Stimmenanteil gegenüber den Kommunalwahlen noch erhöhen konnte. Sie hat 60% der Stimmen und damit die absolute Mehrheit gewonnen. Immerhin war der CDU- Bürgermeister, Dr. Wagner Mitglied der Gruppe der 20. „Er ist reichlich autoritär“, heißt es in Kreisen von Dresdner Linken, „aber es ist zumindestens nicht der letzte Arsch, es hätte schlimmeres werden können.“

Das Neue Forum Dresden steht verhältnismäßig rechts in der DDR-weiten Bürgerbewegung. In der Stadtverordnetenversammlung hat es im „Bündnis 90“ zusammen mit „Demokratie Jetzt“ 10 Sitze gewonnen. Weil „Demokratie Jetzt“ aber keinen Spitzenkandidaten plaziert hatte, konnte „Demokratie Jetzt“ von den 10 Sitzen nur zwei belegen. Selbst Leute aus dem in Dresden üblichen Spektrum des Neuen Forum meinen, daß die 10 Sitze an ziemlich stark rechts stehende Kandidaten gefallen sind.

Zu den Basisgruppen hat, neben der Vereingten Linken eigentlich nur „Demokratie Jetzt“ einen guten Kontakt, – unterstützt sie bei Entmilitarisierungsaktionen, bietet Druckmöglichkeiten an, etc.. Die Vereinigte Linke fing mit einer Reihe dummer Aktionen an. Beispielsweise ließ sich ein Mitglied beim Einschlagen des Schaufensters des Bertelsmann-Buchladen erwischen – mit seinem Kandidatenschein in der Tasche. Trotz einiger profilierungssüchtiger Führungsfiguren leisten die Basisgruppen der VL jetzt gute Arbeit, besonders die Basisgruppe Nord und die Frauengruppe. Interessant ist das Projekt einer symbolischen Besetzung der äußeren Dresdner Neustadt am 23. und 24. Juni. Mit Straßentheater und symbolischem Barrikadenbau, Wählen einer autonomen Regierung (samt Sturz am Schluß) will die VL gegen den Verkauf der Dresdner Neustadt an westliche Unternehmer protestieren.

Damit sind wir schon bei einem wesentlichen kommunalen Problem Dresdens, der durch jahrzehntelange Mißwirtschaft der KWV heruntergekommenen Neustadt. Neben gerade noch bewohnbaren Häusern gibt es eine Reihe von leerstehenden. Vor der Wende hatte der Rat der Stadt Dresden den Plan gefaßt, die jahrelange Vernachlässigung durch einen Totalabriß zu beenden. Dagegen gab es natürlich Widerstand in der Bevölkerung. Die Wende kam und mit ihr neue Pläne:

Die Dresdner Neustadt wurde mit Häusern und Geschäften flächendeckend an westliche Unternehmer verkauft. Schon richten die ersten westlichen Firmeninhaber ihre Geschäfte ein und Luxusrenovierung mit folgender Maximalsteigerung der Wohnungsmieten ist vorgebucht. Mieter werden mit schätzenswerter Unverschämtheit behandelt. Eine Familie mit drei Kindern bekam beispielsweise eine Ausbauwohnung mit vier Zimmern unter der Bedingung angeboten, daß sie die Wohnung in Eigenleistung mit Spannteppich und dergleichen Schnick-Schnack renovieren. Nachdem das geleistet worden ist, soll wegen des größeren Komforts der Wohnung die Miete steigen. Und das ist kein Einzelfall.

Gegen diese Art von „Sanierung“ mobilisieren verschiedene Basisgruppen und besetzen, wie in anderen Städten, Häuser, richten selbstverwaltete Kneipen und sonstige Betriebe ein. Es gibt wie in anderen Städten einen Häuserrat, der sich in unregelmäßigen Abständen trifft und Rat und gegenseitige Unterstützung bei Behördengängen versucht.

Ein kleiner Gang durch Dresdner Szene-Cafes zeigt ähnlichkeit mit den Ostberliner Verhältnissen, sogar hinsichtlich der astronomischen Preise. Die Neustädter Punks besetzten im November Räume und machten daraus das „Cafe Stillos“, ein mit Müllmöbeln eingerichtes Cafe mit lautstarker Musik, in dem sich nur die Punks wohl fühlten. Auf Dauer sprangen die meisten Initiatoren ab und der einzig übriggebliebene versuchte, dem Cafe einen neuen Stil zu geben, indem er Ausstellungen und Vorträge organisierte und Videos vorführte, aber auch gepfefferte Preise einführte.

Das „Stadler“ in der Kammenzer Straße wurde von Antifa-Leuten und autonomen Frauen gegründet. Es gibt einen normalen Cafebetrieb, daneben Infos und Vorträge und Möglichkeiten zum Treff von Gruppen. Geplant ist die Einrichtung einer Frauenbibliothek und die Einrichtung von Frauenschutzräumen. Letzteres Projekt mußte allerdings wegen der ständigen Faschistenüberfälle vorerst aufgeschoben werden.
Das „Cafe Bronx“ findet ebenfalls in einem besetzten Raum statt. Es ist ein Info-Cafe, in dem alle vier Wochen Veranstaltungen stattfinden. Leider ist der verbliebene Betreiber weniger an einem Veranstaltungsort für Gruppen als am Umsatz interessiert und die Preise sind traumhaft hoch.

Der „Stettiner Hof“ ist eine ehemalige Kneipe, ebenfalls besetzt und wird von ihrem verbliebenen Betreiber ausschließlich kommerziell benutzt. Man kann dort zwar nachts mal einen Cafe trinken, frau ist aber dabei von betrunkenen Kriminellen umringt.

Das „Bronx“ hat eine Gewerbegenehmigung, der „Stettiner Hof“ ebenfalls, die anderen sind noch illegal, bemühen sich mehr oder weniger, eine Nutzungsgenehmigung zu bekommen. Das „Stillos“ möchte illegal bleiben. Eingetragener Verein will niemand werden.

Als offiziellen „Jugendclub Anderson Nexö“ gibt es schon lange die „Scheune“ in der Alaunstraße. Es war einer der Jugendclubs, die auch schon vor der Wende für offiziell nicht allzu beliebte Veranstaltungen Raum zu geben versuchten. Auch die Dresdner Homosexuellenvertretung fand in diesem Jugendclub in den letzten Jahren immer Möglichkeiten zu Veranstaltungen. Nach der Wende versuchte sich die Scheune als linksorientierter Jugendclub zu profilieren und bietet tatsächlich eine Reihe von sehr guten Veranstaltungen sowie Räume für linke Initiativen.

Neu in Dresden ist das Projekt Friedenshaus. Ein Rest der Gruppe der 20, die Entmilitarisierungsgruppe, will sich als Verein eintragen lassen und offiziell ein Haus beantragen, in dem sich ein Cafe, eine Druckerei und Veranstaltungsräume befinden sollen. Es sind aber zu wenig Leute und aus der autonomen Szene will niemand mitmachen, weil sie nicht in einen offiziellen Verein eintreten wollen, schon gar nicht einen, in dem es einen Vorsitzenden, einen Stellvertreter und einen Schatzmeister gibt.

„Dresden war schon immer ein wenig autonomer als die Restzone“, interpretiert Johanna vom Friedenskreis `Wolfspelz´. „Wir sind hier eigentlich kaum in irgendwelchen neugegründeten Parteien und Bewegungen vertreten. Das ist hier nicht üblich. Es gibt ein allgemeines Gelächter, wenn einer mit einem Verein anfängt.“

Der Friedenskreis Wolfspelz besteht schon seit 10 Jahren. Er genoß, beginnend mit Organisation der ersten Demonstration zur Jahresfeier der Zerstörung Dresdens im Jahre 1981 bis zur Wende jederzeit die gespannte Aufmerksamkeit der Stasi. Schon seit Jahren arbeitete Wolfspelz in den Zusammenhängen der Initiative Frieden und Menschenrechte mit – bis zur DDR-weiten Gründung. 6 Wochen nach diesem Akt trat Wolfspelz aus der Initiative aus. Grund war die zunehmende Verletzung basisdemokratischer Grundsätze. Die Berliner Führung ließ sich Geld und Dienstwagen geben und verschaffte sich Privattelefone. Schlußpunkt war, daß Werner Fischer auf einem Treffen der Organisation verkündete, um die Menschenrechte brauche man sich nicht mehr zu kümmern, das sei zunächst einmal flächendeckend abgesichert, jetzt gehe es darum, ins Parlament zu kommen.

„Wozu sollen wir uns legitimieren lassen, wenn es uns schon lange gibt?“, fragt Johanna von Wolfspelz: „Ich finde es absolut sinnlos, wenn wir jetzt überall herumrennen müssen und fragen müssen, ob es uns gibt. Uns gibt es und daran kann kein Zettel rütteln, auch wenn sie jetzt einen Zettel ausschreiben, daß es uns nicht gibt. Es ist einfach eine Prinzipienfrage, ob man jemanden anerkennt, der bestimmt, was es gibt und was es nicht gibt. Das ist so ähnlich wie mit dem Eheschein.“

„Wir haben den Vorteil, daß wir ein sehr kleiner Kreis sind. Dadurch, daß jeder einzeln und mit verschiedenen Kreisen zusammenarbeitet, hat Wolfspelz nur so eine Art Stützfunktion. Damit haben wir keine Probleme mit geschlossenem Auftreten oder mit Räumen. Deshalb können wir es uns leisten, unabhängig zu bleiben und legen natürlich auch Wert darauf. Wir wollen einfach beweisen, daß anarchistische Strukturen funktionieren und das lassen wir uns auch etwas kosten. Wir wollen in einem Staat, wie autoritär er auch immer sei (und das war er und wird er wohl auvch wieder werden) unser Ding machen und uns nicht vom Staat hineinfunken lassen. So wie in Tschernyschewskis Roman „Was tun“, den ich für ein anarchistisches Buch halte. Dort versuchen Leute innerhalb des Zarenreiches unabhängige Strukturen aufzubauen und schaffen das auch.“

Neben Wolfspelz gibt es in Dresden noch zwei andere autonome Gruppen. Die Gruppe Pax ist vor zwei Jahren im Zuge der Kämpfe gegen das Reinstsiliziumwerk in Gittersee entstanden. Pax und Wolfspelz arbeiten jetzt zusammen. Ebenfalls eine feste Gruppe mit anarchistischen Anschauungen ist Schlagloch.

Ganz aus der Menschenrechtsproblematik ist Wolfspelz übrigens nicht ausgestiegen. Johanna ist bei in der Berliner Führung von Amnesty International engagiert: „Die Struktur ist ja zum Kotzen. Aber Amnesty rettet jedes Jahr 300 Menschen vor dem Tod. Und da kann ich das erst einmal mitmachen.“ Auch dort profilieren sich jetzt eine Reihe von machtgierigen Konjunkturrittern. Johanna steht vor der Entscheidung, ob sie ihrem Widerwillen nachgibt und ihnen das Feld überläßt oder dagegen ankämpft.

r.l.