Besuch aus der Vergangenheit

Protestaktion gegen ein Treffen von Ritterkreuzträgern in Dresden
von JO
aus telegraph 1/1996 (#92)

Es soll Leute geben, die mit Geistern und Dämonen aus der Vergangenheit sprechen können. Lag es an meiner Phantasielosigkeit oder Naivität, ich hätte nie gedacht, daß dieses einmal für mich wahr werden würde. Aber unser neues Deutschland hat wahrlich immer noch Überraschungen parat. Für uns diesmal eine unangenehme. Aber der Reihe nach:

Viele von uns wußten echt nicht, daß solche wie die „Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger des Eisernen Kreuzes“ überhaupt noch eine öffentliche Rolle spielen dürfen, noch dazu als e.V.. Deshalb konnten wir es kaum glauben, als bekannt wurde, daß eben dieser eingetragene Verein am 18./19. Oktober in Dresden seine 42. Jahreshauptversammlung abhalten will. Noch unwahrscheinlicher war uns die Tatsache, daß der organisatorische Rahmen der Veranstaltung nebst Kranzniederlegung, Blasmusik und militärischer Zeremonie auf dem Dresdner Nordfriedhof durch die Bundeswehr gestellt werden sollte. Nicht, daß wir der Bundeswehr alles Mögliche und Unmögliche zugetraut hätten. Aber ein derart offenes Bekenntnis, „daß die soldatischen Traditionen der Bundeswehr auch im Brauchtum der Wehrmacht zu finden sind“, hat uns doch erstaunt – und entrüstet ohnesgleichen. Prompt lag uns auch das Begrüßungsschreiben des Generalmajor von Scotti an die Altnazis vor, in dem er schrieb, daß „er sich sehr freue, daß die Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger des Eisernen Kreuzes e.V. unsere altehrwürdige Garnisionsstadt ausgewählt hat.“

Also war klar, der Spuk war Realität. Tatsächlich sollten 90 Greise nebst Gattinnen und sogenannten Nachgeborenen in unserer Stadt feiern und öffentlich auftreten dürfen. Spontan trafen sich eine Reihe von Menschen aus den verschiedensten Gruppen, um diesen Skandal zu verhindern. Dieses Aktionsbündnis verfaßte als erstes ein Protestschreiben für Presse und Parlament, mit der Forderung, die Herren Kriegsverbrecher einfach auszuladen. Auch die Grünen versuchten, die anderen Parteien zu überzeugen, daß solcherart Vergangenheitsbeweihräucherung nix in Dresden zu suchen hätte. Leider meinten die Damen und Herren der SPD, sie könnten sich dazu nicht äußern, weil sie zu wenig von dem Verein wüßten. Die CDU meinte, sie wüßte zwar alles, würde es aber nicht als Gefahr für die Demokratie betrachten, wenn die Herrschaften ihre Zeremonie bei uns abhalten würden. Also wurde in aller Eile Material zum Thema besorgt, um der etwas schlafmützigen SPD ein Licht aufgehen zu lassen. Als die Parlamentarier schwarz auf weiß nachlesen konnten, daß alle über 7.000 Ritterkreuzträger des Eisernen Kreuzes „für besonderen soldatischen Mut gegenüber dem Feind“ auf persönliche Anweisung Hitlers dekoriert worden waren, darunter auch 463 für die Niederschlagung des Aufstandes im Warschauer Judenghetto, beeilten sie sich, doch noch einen Kommentar abzugeben. Es hieß aus den SPD-Reihen: „Wenn Willi Brandt sagt: ‚Nun wächst zusammen, was zusammengehört‘, so sagen wir hier, das gehört nicht zusammen.“ Oberbürgemeister Wagner, nun den kommenden Stunk riechend, erklärte auf dringende Anfrage verschreckt, er werde die Herren nicht öffentlich empfangen. Brav geflüstert, Löwe, und tatsächlich was dazugelernt nach den peinlichen offiziell genehmigten Naziaufmärschen in näherer Vergangenheit in Sachsens Landeshauptstadt. Die CDU hatte erwartungsgemäß immer noch keine andere Meinung, und so konnte man sich nicht zu einem Verbot der Zeremonie durchringen. Inzwischen liefen die Vorbereitungen für die Gegenaktionen auf Hochtouren. Auch die Dresdner Presse war sehr an dem Thema interessiert, und unterstützte uns tatsächlich mit einigen guten, informativen Artikeln. Ein weiteres Protestschreiben vom Aktionsbündnis „Jetzt reichts“, in dem der Satz „… fühlen wir uns genötigt, den Skandal mit unseren Mitteln zu beenden“, stand, veranlaßte das Dresdner Genehmigungswesen doch noch am Tag vor der Zeremonie auf dem Nordfriedhof, den Kriegsopas wenigstens Auflagen zu erteilen. Sie dürften nur genehmigte Lieder singen, hieß es unter anderem. Natürlich klagten die Ritterkreuzträger beim Verwaltungsgericht gegen die furchtbare Einschränkung ihrer freien Meinungsäußerung – und gewannen. Aber die Drohung „… mit unseren Mitteln…“ zeigte offenbar gemeinsam mit dem immer lauter werdenden allgemeinen Unmut doch Wirkung. In der Nacht vor dem großen Spektakel zog die Bundeswehr ihre Zusage zur aktiven offiziellen Unterstützung zurück, und die Polizei überzeugte den Vorsitzenden der Ordensgemeinschaft, auf den offiziellen Teil ihres Besuches zu verzichten. Das allerdings erfuhren wir erst am Samstag morgen, als wir uns 8.00 Uhr vor dem Militärhistorischen Museeum zur Gegenaktion trafen. – Bloß nun glaubten wir es dem freundlich uns die Situation erklären wollenden Polizisten nicht mehr, der uns am liebsten gleich nach Hause geschickt hätte, und warteten erst mal. Eine Stunde lang beobachteten Leute das Hotel Bellevue und den Nordfriedhof (wo trotz angeblichen Ausfalls der Zeremonie jede Menge Bullen, Pferde und Hunde waren), bis klar war, daß die Nazihelden von früher mit ihren Nazifreunden von heute, einige davon in Bundeswehruniform, zwar nicht offiziell, aber ganz persönlich, zur Gedenkfeier in Richtung Friedhof anrückten. Ob nun die Ritterkreuzler die Polizei, oder die Polizei uns verschaukeln wollte, wird ein Rätsel bleiben. Nun gut, wir rund 100 Demonstranten hatten auch gegen die ganz persönliche Anwesenheit der Ordensträger auf dem Friedhof unsere Einwände, und so blockierten wir den einzigen Zufahrtsweg zu eben diesem. Eine Kette über die Straße, Transparente, noch ging es ganz ruhig zu. Passanten wurden natürlich durchgelassen. Nur, woran sieht man, was ein Opa ist, der ein Grab pflegen will, und was ein Kriegsverbrecher? Wieder einmal half uns die Polizei. Die ersten drei Mörder wurden mit Polizeischutz auf unsere Kette zugeführt. Klar, daß das keine friedlichen Rentner waren, – die bekommen solchen Schutz nicht mal, wenn sie Stau durchquerend auf die andere Straßenseite wollen. Pfiffe, wütendes Gebrüll: „Haut ab, wieviele Einheiten hast du umlegen lassen“, „Geh´ nach Haus und stirb in deinem Bett!“ schlug den Ordensträgern nebst ihren fürsorglichen Beschützern entgegen. Nur das – auch wenn sie eigentlich mehr verdient hätten. Eine einzelne Tomate landete auf einem Nachgeborenen, dann griff die Polizei ein, und entwendete das Grünzeug. Aber zum Friedhof war kein Durchkommen. Nach einer mittelmäßigen Rangelei mußten die Mörder kehrt machen, und die Polizei Verstärkung anfordern. Mit Helm und Hund ertönte alsbald der Befehl zum Räumen. Einzelne Polizisten taten sich jedoch sichtlich schwer, die auf dem Boden sitzenden, und „Deutsche Polizisten räumen für Faschisten“-Rufenden anzugreifen. Erst der zweite, wütendere Befehl bewirkte das Ausschalten der Bullenhirne und das Einsetzen von Arm- und Fußkraft zu staatsdienstlicher Tätigkeit. Die Herausgezerrten wurden zu Wannen geschleift und verladen. Als man da keinen Platz mehr hatte, wurden „verladefertige“ Demonstranten einfach mit Handschellen an einen Baum gekettet, bis der Gefängniswagen kam. Nach zirka 20 Minuten war die Straße leider frei, und die Polizei sichtlich erschöpft. Wir 47 zugeführten Demonstranen wurden zum Polizeirevier Mitte gekarrt und, wie man uns sagte, in Beseitigungsgewahrsam genommen, d.h. nach Geschlecht getrennt in 4 Großzellen verpackt und durchsucht.

Die übriggebliebenen Demonstranten gingen auf den Friedhof und diskutierten dort gemeinsam mit einigen erbosten älteren Menschen, mit den Ritterkreuzträgern und einigen, die es noch werden wollen. Sie bekamen prompt von der Auschwitzlüge bis zu sogenannten neuesten historischen Erkenntnissen allen Schwachsinn der Welt zu hören. Wir Einsitzenden wurden dann zwischen 16.00 und 17.00 Uhr der Reihe nach entlassen. Dort wurden wir von den wartenden „freien Bürgern“ empfangen, um ins Cafe Donnersberg zu einer Nachbesprechung zu gehen, dessen Besitzer sich telefonisch bei den Demonstranten bedankt und uns eingeladen hatte.

Die Ritterkreuzträger aber gifteten: „Die Regeln der Demokratie sind mit Füßen getreten worden“ und „wir haben gedacht, das Treffen würde so gut laufen, wie in allen vergangenen Jahren in den alten Bundesländern“, „wir müssen uns eben überlegen, wo wir uns in Zukunft treffen“ und „wir sind sehr enttäuscht und unzufrieden“.

Na prima, nun liegt es an uns, ob die Dämonen aus der Vergangenheit nächstes Jahr wieder (k)einen Platz zum öffentlich Sprechen finden.

© telegraph. Vervielfältigung nur mit Genehmigung des telegraph