Gedanken über Recht und Gesetz von Andrea F. Tahir
Im Frühling 1991 war es wohl, da saß ich in einem kleinen Saal unserer Universität. Ein Experte aus dem Westen sprach zu uns Interessierten über das westdeutsche Ausländerrecht. Er war nicht nur Experte, sondern entstammte mutmaßlich linken Kreisen, denn an dem besagten Recht mit all seinen Gesetzen und Beispielen aus der Praxis ließ er kein gutes Haar. Das Publikum teilte seine Kritik. Hatte schließlich jahrelang nichts anderes gehört über dieses Land, das Gastarbeiter/innen ins Land lockte, schuften ließ und später an den Rand der Gesellschaft abschob wie z.B. Ali alias Günter Wallraff. Dieses Land, das schutzbedürftigen Kämpfer/inne/n für Frieden und Freiheit schon deshalb keinen Aufenthalt gewährte, weil deren Kampf die Grundfesten des deutschen Grundgesetzes infragestellte. Ja, das Publikum teilte seine Auffassungen, bis…, ja bis plötzlich und wutentbrannt ein Lektor für arabische Sprache – er war syrischer Herkunft, halb Kurde, halb Araber, um mit genauen ethnischen Etiketten zu arbeiten und er war Dichter… – aufstand, das Ausländerrecht in der Hand hochhielt und rief: „Ich bin froh, endlich einen Gesetzestext zu haben, auf den ich mich notfalls berufen kann …“
Mit dem Aufenthalt der Ausländer/innen in der DDR war es – wie allgemein bekannt – tatsächlich eine absurde Sache. Wir wollen jedoch nicht im einzelnen behandeln, wie es welcher spezifischen Gruppe von Ausländer/inne/n erging.1 Uns soll es lediglich darum gehen, einige Notizen über die Gruppe der Flüchtlinge zu machen, die mit der Gruppe der Gaststudent/inn/en verwoben war.
Die Genfer Konvention zur Rechtstellung von Flüchtlingen (1951) wurde von der DDR nicht ratifiziert. Folglich können wir ihr auch keinen Vorwurf machen, wenn sie nicht jedermann/jederfrau das Recht einräumte, im Ersten Arbeiter- und Bauernstaat auf Deutschem Boden Asyl zu suchen und zu finden. Allerdings schuf sich die DDR doch eine Art Asylklausel. Und dies vor eben demselben Hintergrund, vor dem auch der Art. 16 in das Grundgesetz der BRD Eingang gefunden hatte: In direktem Zusammenhang mit den Erfahrungen Emigrierter bzw. an der Emigration Gehinderter während der Nazizeit diskutierten Verfassungsausschüsse bereits 1946 in westlichen Ländern einen Paragraphen zur Gewährung des Asyls für politisch Verfolgte. Beispielhaft seien hier Bayern, Rheinland-Pfalz und Hessen genannt.2 Am 10. Dezember 1948 verabschiedete die UNO-Vollversammlung „Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“, die in Artikel 14 fixierte, dass wer vor politischer Verfolgung fliehe, das Recht habe, in anderen Ländern Asyl zu suchen und zu genießen. Die DDR-Verfassung erklärte schließlich in Art. 23 Abs. 3, daß der Staat „unter gewissen Voraussetzungen Ausländern Asyl gewähren (könne). Der Minister entscheidet über Gewährung und Aberkennung des Asylrechts.“
Die Ausländerverordnung von 1956 bekräftigt dies unter § 2 Satz (1) wo es hieß: „Ausländern wird der Aufenthalt (…) gestattet, wenn sie für die in der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik niedergelegten Grundsätze eingetreten sind und deshalb im Ausland verfolgt werden. Sie werden weder ausgeliefert noch ausgewiesen.“3
Auch das Ausländergesetz las sich an entsprechender Stelle so. Der Minister entscheidet, die Formalitäten werden durch die Dienststellen (Melde- und Paßwesen) sowie andere berechtigte Stellen erledigt.4
Justizierbar war dieses Recht natürlich nicht. Denn ebensowenig wie Staatsbürger/innen der DDR ein einklagbares Recht auf ihre Staatsbürgerschaft hatten – Ausbürgerung als Strafe! –, konnten sich Nicht-Staatsbürger/innen auf irgendein Recht berufen. Dies führte zu absurden Episoden. So versuchte ein Kurde, Mitglied der PKK, nach dem Militärputsch in der Türkei im September 1980 über Osteuropa in die DDR zu gelangen. Schließlich verstand er sich als Marxist und hatte vage Vorstellungen von der DDR als einem sozialistischen Land. Er stellte sich den Behörden und tatsächlich: Er wurde nicht an die Türkei ausgeliefert. Nur ausgewiesen – über Westberlin in den Geltungsbereich eines Gesetzes zur Durchführung des Asylverfahrens.
Ähnlich erging es einem Kurden aus dem Irak einige Jahre später. Mitglied der damals noch marxistisch-leninistischen Liga der Werktätigen (Komala; Bestandteil der Patriotischen Union Kurdistans), floh er in die DDR. Aber: kein Asyl nirgends für Maoisten. In Westdeutschland kämpfte er mehr als sechs Jahre, bis er Asyl erhielt. Seine politischen Anschauungen widersprachen zwar dem Grundgesetz, aber Genfer Konvention ist Genfer Konvention. Und justizierbares Recht eben justizierbares Recht.
Fragt man/frau sich, wer die 455 anerkannten Flüchtlinge waren, die noch im Jahre 1989 in der DDR lebten …5 Während in den 50er Jahren einer große Gruppe von Griech/inn/en der Status von Flüchtlingen zuerkannt wurde – viele von ihnen verließen nach dem Sturz der Militärdiktatur in Griechenland die DDR wieder –, waren es in den 70er Jahren vor allem Chilen/inn/en, über die auch am meisten bekannt sein dürfte. Schwierige Personengruppen aber kamen z.B. aus dem Irak. An diesem Beispiel soll kurz die Mehrschichtigkeit des Problems bzgl. Aufenthalt in der DDR verdeutlicht werden. Es wäre sehr einseitig, der DDR vorzuwerfen, sie hätte nur nach ihrem eigenen Gutdünken generöse Aufenthaltstitel verteilt. Vielmehr kamen andere Interessen ins Spiel. Erstens: Linke Parteien und Parteien von nationalen Befreiungsbewegungen hatten immer ein Interesse daran, besonders begabte Kader/innen (die Auswahl ist freilich nicht immer von persönlichen Beziehungen zu trennen) ins Ausland zum Studium zu schicken. Oder sie hatten ein Interesse daran, den Exilaufenthalt zu nutzen, um den/die Kader/in zu qualifizieren – für den späteren Einsatz, den Neubeginn, was auch immer. Ein dauerhafter Aufenthalt wurde weder unbedingt von der DDR noch von den entsprechenden Parteien gewünscht. Dies drückte sich aus z.B. in den Schwierigkeiten von sogenannten bi-nationalen Eheschließungen. Es lag auch nicht in der Hand der DDR, wann und wie solche Parteien entscheiden, Kader/innen wieder zurückzuholen und gegebenenfalls in den (illegalen/bewaffneten) Kampf zu schicken. Die Kommunistische Partei Irak ist da beispielhaft. Zweitens: War das herrschende Regime auch noch eines, mit dem sich der Ostblock arrangiert hatte, das er versuchte, für die eigene Politik einzuspannen (im Falle des Irak ist dies allerdings nie gelungen), so ergab sich ein ernsthaftes Problem in der Ausländerpolitik der DDR. Welche Student/inn/en seien zu bevorzugen? Der Status als Student/in als Ersatz für Asyl? Im Falle des Irak hieß die Frage sogar: Wer ist zu schützen? Die (arabischen und kurdischen) Kommunist/inn/en und anderen Kurd/inn/en vor den Baath-Student/inn/en und der Botschaft? Ähnlich lautete die Frage im Falle von Kurd/inn/en und Palästinenser/inne/n und wiederum von Kommunist/inn/en aus Syrien. Um dieses Thema hinreichend aufzuarbeiten, bedarf es sicherlich eines Studiums gewisser Akten in der G-Behörde sowie anderweitiger Recherchetätigkeiten. Das kann an dieser Stelle nicht geschehen.
Vielmehr soll zum Anfang zurückgekehrt werden und somit zu der Frage, die ein Mann aufgeworfen hatte, der mitten unter uns gesessen und das Ausländergesetz hochgehalten hatte. In den vergangenen Jahren sind wir hinsichtlich des Asylrechts mit mehreren Geisteshaltungen konfrontiert. Arg verkürzt gesagt, heißt es von rechts: Das Asylrecht sei zu generös, das Asylrecht biete Wirtschaftsflüchtlingen ungerechtigterweise Sozialleistungen… Und von links: Grenzen auf, Freies Fluten und Bleiberecht für alle…! Nun, gegen diese letztgenannte, verkürzt dargestellte Position habe ich persönlich nichts einzuwenden. Sie erscheint mir jedoch so entfernt wie der Tag des Jüngsten Gerichts. Da ich seit Jahren in der Flüchtlingsberatung tätig bin, kenne ich die Grenzen meiner Arbeit genau. Ich kenne auch den Frust und den Zynismus, die jeweils Folge von Misserfolgen sind. Dennoch: vor dem Hintergrund der Tatsache, dass in den vergangenen Jahren von Seiten des Gesetzgebers entscheidende Schritte unternommen wurden, um für Flüchtlinge als Akteur/inn/en das Asylrecht immer weniger justizierbar zu machen (Drittstaatenregelung §26a AsylVfG; Regelung sichere Herkunftsländer §29a AsylVfG; Aufenthaltsbeschränkungen, finanzielle Beschränkungen usw.), vor diesem Hintergrund halte ich es für sinnvoll, ernsthaft nach Folgendem zu streben: Der gerechten Justizierbarkeit eines generösen Asylrechts auf der Grundlage der Genfer Konvention.
1 Vgl. Artikel v. Dirk Teschner in Heft 3/4 1998 zu DDR-Staatspolitik und Ausländer/innen
2 Über die Verfassungsdiskussion vgl. H. Kreuzberg: Grundrecht auf Asyl. Materialien zur Entstehungsgeschichte. Köln 1984;
3 Ausländerverordnung vom 14.12.1956
4 Ausländergesetz vom 28.06.1979
5 Dirk Jasper: Ausländerbeschäftigung in der DDR. In: Marianne Krüger-Potratz: Anderssein gab es nicht. Ausländer und Minderheiten in der DDR. Münster/New York 1991, S. 171
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