NOWOSTI

(Aus telegraph #100)

Einheit gut – aber nicht alles gut
Mehr als zwei Drittel aller Ostdeutschen ziehen zehn Jahre nach dem Fall der Mauer eine positive Bilanz der deutschen Vereinigung. Das ist das Ergebnis einer in der „Berliner Zeitung“ veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest Dimap. Was an der Einheit gut und was schlecht ist, wissen die Ossis dabei ganz genau: Das politische System der Bundesrepublik beurteilen nur 45 Prozent der Ostdeutschen als besser, 20 Prozent aber als schlechter als das der DDR. Die Zukunftsperspektiven der nachwachsenden Generation sehen 67 von hundert Befragten als schlechter an. Auch die soziale Absicherung kriegt kaum Punkte: 58 Prozent aller Befragten sagen, diese sei im Vergleich zur DDR schlechter gworden. Allerdings gibt es auch eindeutig Gutes an der deutschen Einheit zu entdecken: 95 Prozent aller Ostdeutschen finden das Angebot von Waren und Dienstleistungen besser als früher, 92 Prozent schätzen die Möglichkeit zu reisen. Na immerhin!

Einheit gut – Ossis gut
Der CDU-Spenden-Vorsitzende Wolfgang Schäuble fand zum Jahrestag des Mauerfalls ermutigende Worte für die Ostdeutschen. Auch wenn es heute oft so scheine, gebe es keine Bürger zweiter Klasse in Deutschland. „Es gab ein Leben auch vor der Wende und Lebensleistung, Würde“, betonte Schäuble. Keiner sei 1989 „mit leeren Händen gekommen“. Mit leeren Geldkoffern wohl auch?

Grand prix de démocratie
Eifersüchtig wie ein Schlagersternchen zeigte sich mal wieder die frühere DDR-Bürgerbewegte Freya Klier: Schorlemmer, der Oppo-Pfarrer aus Wittenberg, war doch „alles andere als ein Systemgegner“ verkündete sie vor der Presse. Freya warf Friedrich Verrat an der Kirche und Kultivierung seiner eigenen „Lebenslüge“ vor. Schorlemmer habe zu jenem Teil der Kirche gehört, „der sich im Machtgefüge der DDR bequem eingerichtet hatte“ und noch dazu „diesem Mechanismus nach Kräften bedient.“ Bekannt sei ein Fall vom Wittenberger Kirchentag 1983, als der Kunsthandwerker Stefan Nau demonstrativ ein Schwert zu einer Pflugschar umschmiedete. Nachdem die Staats-Schikane gegen den Mann einsetzte, habe Schorlemmer Nau „auch noch von den Friedensgebeten ausgeschlossen“. Ob diese Vorwürfe PR-Arbeit oder Neurose sind, weiß man nicht. Dass Nau damals von der gesamten Gruppe ausgeschlossen wurde schon. Der Grund: Nau hatte nach Ansicht der Gruppenmitglieder seinen „staatsfeindlichen“ Auftritt ausschließlich dazu benutzt um in den goldenen Westen zu gelangen. (Diese Methode dürfte Freya Klier ja irgendwie bekannt vorkommen). Was er seinen Mitstreitern damals nämlich nicht erzählte, die Staatsorgane jedoch wussten, er hatte längst einen Ausreiseantrag zu laufen. Wer also kultiviert hier welche Lebenslüge?

Rock’n Roll I
Überhaupt nicht lustig fand die Hilfsorganisation für die Opfer politischer Gewalt “Help” den Kino-Kassenschlager „Sonnenallee“. Wegen Beleidigung der Maueropfer stellte sie Strafanzeige gegen den Regisseur des Films. Besonders beanstandet wurde die Mauerszene, bei der Wuschels „Exile On Main Street“ (englische Pressung!) von einer Kalaschnikow-Salve der Grenztruppen durchlöchert wurde. Darüber hat man nicht zu lachen!
Mit der bekannten Methodik der Gleichsetzung von Drittem Reich und DDR, Auschwitz und Bautzen meldete sich „Help“-Geschäftsführer Alexander Hussock gegenüber der „tageszeitung“ zu Wort:“… man kann nicht vor einer Mauer Lustspiele aufführen, an der 255 Menschen ihr Leben ließen, über tausend verkrüppelt wurden und zehntausende in U-Haft gerieten. Ich kann auch nicht jemanden weinen lassen um den Verlust einer Schallplatte, aber nicht um den Verlust seiner Freiheit und Gesundheit. … Wenn man das durchgehen lässt, lachen die Leute auch über Konzentrationslager.“

Rock’n Roll II
So viel geballte Humorlosigkeit sorgte in den Medien für einige Irritationen. Während die meisten Beiträge die Strafanzeige nur als exemplarisch für das notorische Gejammer von Ex-Bürgerrechtlern abstempelten, erklärte der „Focus“ das Ganze sogar zum gezielten PR-Gag des von Fördergeldern abhängigen Vereins an. Das ist aber alles Quatsch! Der einzige, der wirklich verstanden hat, worum es geht, ist Bov Bjerg. In der „tageszeitung“ führte er aus: „Eine der Szenen, die Hussock anführt, um seinen Vorwurf zu belegen, geht so: Ein Junge will über die Mauer, auf ihn wird geschossen, er liegt da wie tot. Öffnet die Augen und heult. Weil sie ihm seine Schallplatte zersiebt haben. „Exile On Main Street“. Von den Stones. Herrn Hussocks Verein aber heißt: „Help“. Von den …? Na? Eben.“

Weniger Demokraten
Sozialforscher der Universität Stuttgart haben jetzt wissenschaftlich untersucht, wie es mit den politischen Einstellungen der Bürger, mit ihrer Teilnahme an der Politik und mit ihrem Wahlverhalten in Ost und West steht. Ergebnis: in Ost und West herrscht Konsens darüber, dass Meinungsfreiheit eine gute Sache sei. Auch die Idee der Demokratie finde man allgemein okay. Mit der realen Demokratie seien die Ostler allerdings sehr viel weniger zufrieden als die Westler. So habe es 1998 im Westen doppelt so viele zufriedene Demokraten gegeben wie im Osten; dafür habe man im Osten doppelt so viele Nichtdemokraten festgestellt. Den Satz „Sozialismus ist eine gute Idee, die nur schlecht ausgeführt wurde’’ bejahten immer noch beschämende zwei Drittel der Ostdeutschen. Nach den Erkenntnissen der Wissenschaftler liegt das alles an den Medien, die bei den Ossis für miese Stimmung sorgten. Leider seien heute die Erfolge nur noch relativ selten eine Story wert; im Gegenteil seien die Berichte über die Einheit seit 1995 zunehmend negativer geworden.

Weniger Bildung
Vielleicht liegt der Grund für den Mangel an Demokraten aber auch in einem Mangel an Bildung im Osten. Wie das Statistische Bundesamt mitteilte, haben die ostdeutschen Bundesländer um 1200 Mark oder 14 Prozent pro Schüler und Jahr niedrigere Bildungskosten als die West-Länder. Mit 6500 Mark pro Schüler verzeichnete Sachsen 1997 die geringsten Ausbildungskosten in öffentlichen Schulen, während die öffentliche Hand im Bundesdurchschnitt 8200 Mark ausgab. Lediglich Berlin lag mit 9100 Mark über dem Bundesdurchschnitt. Dazwischen platzierten sich Thüringen (8100 Mark), Sachsen-Anhalt (7700 Mark), Brandenburg (6800 Mark) und MV (6700 Mark). Am teuersten war die Schulausbildung in Hamburg mit 11 700 Mark pro Schüler.

Kati im Glück
Na endlich. Nach drei Jahren wilder Ehe ziehen Katarina Witt (34) und Marcus Herrmann (33) doch zusammen. Ganz oben unterm Dach, in der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte, bauen sie sich ihr Liebesnest. Für zwei Millionen wird gerade renoviert. Warum gerade Marcus? Es sind vor allem die gemeinsamen Wurzeln, erklärte die Kufenkönigin der „Super-Illu“: „Ich muss ihm nicht ständig erklären, wo ich herkomme und wie ich aufgewachsen bin. Vielleicht sind die Männer aus dem Osten bescheidener, haben mehr Bodenhaftung, sind nicht solche Angeber.“

Zuchtbullen
Vielleicht liegt es auch an den ostdeutschen Spermien. Denn die sind nämlich besser als die westdeutschen. Zwar ist die direkte Fortpflanzungsfähigkeit der Männer in ganz Deutschland in den letzten Jahrzehnten drastisch gesunken – aber im Osten viel weniger, als im Westen. Das zeigt eine Untersuchung der Universität Oldenburg im Auftrag des WWF. Die Oldenburger analysierten vier Studien aus Unikliniken in Berlin, Leipzig, Magdeburg und Hamburg. Dabei zeigte sich ein Rückgang der Spermienkonzentration um 70 % in Hamburg, 47 % in Magdeburg und 34 % in Leipzig. Auch in Berlin ist nur eine schwache Abnahme der Spermienkonzentration zu verzeichnen, allerdings hat sich dort der Anteil der missgebildeten Spermien deutlich erhöht #

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